Medical Tribune
4. März 2023Einfluss von Riechstörungen auf Kognition und Mortalität

Der Geruchssinn als Biomarker

Der Geruchssinn ist für weit mehr als die Wahrnehmung olfaktorischer Reize verantwortlich. Dementsprechend einschneidend sind Riechstörungen für die Lebensqualität und Fitness der Betroffenen, wie Prof. Antje Welge-Lüssen, Universitätsspital Basel aufzeigt.

Ein Mann schnüffelt an den weißen Blütenständen einer Vogelkirsche. Männliche Nase, Stempel und Staubblätter mit Pollen.
Svetlana Sarapultseva/GettyImages

Riechstörungen können bei neurodegenerativen Erkrankungen bereits präklinisch auftreten.

«Ab dem 60. Lebensjahr geht’s bergab», sagt Professor Dr. Antje Welge-Lüssen, Leitende Ärztin Hals-Nasen-Ohrenklinik, Universitätsspital Basel. Sie bezieht sich hierbei auf die stark steigende Inzidenz von Riechstörungen im Alter.

Treten signifikante Beeinträchtigungen des Geruchssinns bis hin zur Anosmie bei der Gesamtbevölkerung in fünf Prozent der Fälle auf, so sind es bei den über 80-Jährigen bereits 60 Prozent.

Eine altersbedingte Hyposmie betrifft vor allem die Schwelle, ab der die Patienten einen Geruch wahrnehmen. Grund hierfür ist u.a. eine respiratorische Metaplasie am Bulbus olfaktorius, im Zuge derer das Volumen des Riechkolbens kontinuierlich abnimmt. Eine Vielzahl von Studien bestätigt, dass dies nicht zu unterschätzen ist: So ist der Verlust des Geruchssinns assoziiert mit einer kognitiven Funktionsabnahme und einer steigenden Mortalität (2-4).

Geruchssinn als Biomarker für die Hirnalterung

Beispielhaft beschreibt Prof. Welge-Lüssen die Ergebnisse einer Untersuchung an 1.162 Probanden (Ausschlusskriterien: Parkinson oder Demenz) mit einem Durchschnittsalter von rund 80 Jahren, die im Mittel über 4,2 Jahre beobachtet wurden. Hierbei durchliefen die Teilnehmer einen Riechtest mit zwölf Düften. Jene Probanden, die nur sechs der zwölf Düfte erkannten, wiesen ein 36 um Prozent höheres Sterberisiko gegenüber jenen auf, die elf der zwölf Düfte identifizieren konnten.

Die mit zunehmenden Riechstörungen erhöhte Mortalität verdeutlicht die Bedeutung, die dem Geruchssinn zukommt. Er nimmt Einfluss auf die Ernährung (und den BMI), sowie die sozialen Interaktionen. Aufgrund seiner engen Beziehung zu neurophysiologischen Vorgängen eignet sich der Geruchssinn zudem als eine Art Biomarker für Hirnalterungsprozesse (5).

Insbesondere die präklinische Phase neurodegenerativer Erkrankungen zeichnet sich durch einen Rückgang sensorischer Funktionen einschliesslich des Riechens aus. «90 Prozent aller Patienten mit Parkinson leiden im Laufe ihrer Erkrankung unter einer Riechstörung», so die Referentin. Neben einer herabgesetzten Schwelle der Wahrnehmung sind typischerweise die Kapazitäten bei der Identifikation und Diskrimination von Düften reduziert.

Weiterhin leiden Patienten mit einem gestörten Geruchssinn häufiger unter postoperativen Komplikationen. Bei Anosmikern zeigte eine Untersuchung eine 2,5-fach gesteigerte Inzidenz für solche Ereignisse (6). Auch für eine Assoziation zwischen Riechstörungen und Arteriosklerose gibt es Hinweise. So deutet eine Studie darauf hin, dass eine frühzeitige Arteriosklerose bei Patienten unter 60 Jahren ein Risikofaktor für die Entstehung einer Riechstörung sein kann (7).

Kontrollen bei kognitivem Abbau erforderlich

Aufgrund des Einflusses des Geruchssinns auf eine Vielzahl von Gesundheitsfaktoren empfiehlt Prof. Welge-Lüssen ein regelmässiges Monitoring. Insbesondere kardiovaskuläre Faktoren (v.a. Hypertonie), Ernährung und körperliche Aktivität stehen hierbei im Fokus. Patienten mit Riechstörung sollten auf Nikotinkonsum verzichten, um diese nicht noch zu verschlimmern. Leiden die Betroffenen zusätzlich unter Anzeichen eines kognitiven Abbaus, sind wiederholte neurologische Untersuchungen ratsam.

Dem Rückgang des Geruchssinns lässt sich mit einem zweimal täglichen Riechtraining (vier Düfte aus Hennings Geruchsprisma, 20–30 Sekunden pro Flasche) über sechs Monate hinweg entgegenwirken. «Es ist nachgewiesen, dass Riechtraining hilft», so die Expertin.

Mehr zu den Hintergründen und der Durchführung eines Riechtrainings finden Sie auch in unserem kürzlich veröffentlichten Beitrag zum Thema.

Referenzen
  1. Forum für medizinische Fortbildung (FoMF): Allgemeine Innere Medizin Update Refresher
  2. Wilson RS et al. Chem Senses. 2011; 36(1): 63–67.
  3. Gopinath B et al. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2012; 67(2): 204–209.
  4. Devanand DP et al. Olfactory identification deficits and increased mortality in the community. Ann Neurol. 2015 Sep;78(3):401-11. doi: 10.1002/ana.24447
  5. Brai E et al. Smell, an Underrated Early Biomarker for Brain Aging. Front Neurosci. 2020 Aug 25;14:792. doi: 10.3389/fnins.2020.00792
  6. Van Regemorter V et al. Olfactory Dysfunction Predicts Frailty and Poor Postoperative Outcome in Older Patients Scheduled for Elective Non-Cardiac Surgery. J Nutr Health Aging. 2022;26(11):981-986. doi: 10.1007/s12603-022-1851-3
  7. Schubert CR et al. Inflammatory and vascular markers and olfactory impairment in older adults. Age Ageing. 2015 Sep;44(5):878-82. doi: 10.1093/ageing/afv075