Medical Tribune
14. Sept. 2023Alles andere als harmlos

Rezidivierende Polychondritis: Von rotem Ohr bis Atemnot

Sie deformiert Ohren und Nasen und bedroht Atemwege, Augen und Gefässe: Die rezidivierende Polychondritis ist alles andere als harmlos. Und obwohl sich die Knorpelentzündung häufig ganz typisch präsentiert, sind Fehldiagnosen vorprogrammiert. Ein Experte berichtet beim EULAR, wie man eine Polychondritis dingfest macht.

Bei der rezidivierenden Polychondritis sind besonders das Erscheinungsbild des Ohres und der Nase auffällig.
John C. Starr et al. / Klaus D. Peter, Wiehl, Germany / wikimedia

Bei der rezidivierenden Polychondritis sind besonders häufig das Erscheinungsbild des Ohres und der Nase auffällig.

Die rezidivierende Polychondritis (RP) ist eine überaus seltene Erkrankung. Laut einer britischen Studie beträgt ihre Inzidenz 1/Mio. Personenjahre, ihre Prävalenz 9/Mio. Menschen.

Zwei Faktoren unterscheiden sie von anderen rheumatischen Erkrankungen: Sie tritt vor allem in einem Alter zwischen 40 und 60 Jahren auf, und Männer und Frauen sind gleichermassen betroffen. Das erklärt Professor Dr. Laurent Arnaud von der Abteilung für Rheumatologie am Universitätsklinikum Strassburg (1).

Ohr, Nase und Trachea am häufigsten betroffen

Hauptmanifestationsort der rezidivierenden Knorpelentzündungen ist das Ohr (bei 90-95 % der Patienten). In 50 bis 70 Prozent der Fälle ist die Nase betroffen, in 30 bis 50 Prozent die Trachea. Bis zu 30 Prozent der Patienten mit Polychondritis leiden zudem unter einer Costochondritis.

Als systemische Erkrankung kann die rezidivierende Polychondritis jedoch zahlreiche weitere Manifestationen aufweisen, erinnert Prof. Arnaud. Drei Viertel der Patienten haben eine rezidivierende, asymmetrische seronegative Arthritis, bei der die Beschwerden oft von einem Gelenk zum nächs­ten wandern.

Auch die Wirbelsäule ist manchmal beteiligt. Radiologisch finden sich allerdings keine Lä­sionen, es sei denn, es handelt sich um ein Überlappungssyndrom mit rheumatoider Arthritis oder axialer Spondyloarthritis.

Tinnitus, Hörverlust und Schwindel häufig

Jeder dritte Patient berichtet über eine Beteiligung des Innenohrs mit Hörminderung, Otitis, Vertigo, Tinnitus oder Hörverlust. Kardiovaskuläre Manifestationen wie eine Aortitis kommen ebenfalls vor. In diesen Fällen muss unbedingt an das VEXAS-Syndrom gedacht werden, warnt Prof. Arnaud (s. Kas­ten).

Polychondritis oder VEXAS-Syndrom?

Knorpelentzündungen sind beim VEXAS-Syndrom häufig, weshalb diese neue Erkrankung eine wichtige Differenzialdiagnose zur RP darstellt. Laut Prof. Arnaud gibt es aber deutliche Unterscheidungsmerkmale.

Beim VEXAS-Syndrom sind nahezu 100 Prozent der Patienten männlich, bei der rezidivierenden Polychondritis ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen. VEXAS-Patienten haben meist das 60. Lebensjahr überschritten, der Peak bei RP-Patienten liegt zwischen 40 und 60 Jahren. VEXAS führt ausserdem häufiger zu nicht-infektiösem Fieber, Hautläsionen, Herzbeteiligung und Lungeninfiltraten. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist auch die Myelodysplasie, die bei VEXAS in drei Viertel der Fälle vorkommt, bei RP fast nie. Typische Blutbildveränderungen sind dabei Makrozytose und Thrombozytopenie.

Am Auge sind Skleritis oder Episkleritis häufig und bei jedem Fünften der Grund für die Erstpräsentation. Uveitiden gehören dagegen bei der rezidivierenden Polychondritis zu den seltenen Symptomen.
Zum Arzt gehen die Betroffenen in vielen Fällen wegen akuter, starker, lang anhaltender Schmerzen am Ohr.

Häufig kommt es zu Fehldiagnosen

Prinzipiell lässt sich die Chondritis mit ihren typischen Symptomen am Ohr gut erkennen. Das Ohr ist rot, oft geschwollen und die Entzündung auf den knorpeligen Anteil beschränkt – d.h., das Ohrläppchen bleibt typischerweise verschont.

Trotzdem kommt es häufig zu Fehldiagnosen, berichtet Prof. Arnaud. Verkannt wird die rezidivierende Polychondritis vor allem als:

  • Infektion
  • Insektenstich
  • Sonnenbrand oder Frostbeule
  • Winklersche Krankheit
  • physiologische (vasomotorische) Rötung
  • T-Zell-Lymphom

Patienten mit Verdacht auf rezidivierende Polychondritis sollten ihr Ohr fotografieren

Häufig muss die Diagnose retrospektiv gestellt werden, weil die erste Episode der Erkrankung nicht als solche erkannt wurde. In diesen Fällen helfen Bilder des Ohres weiter. Leider denken die wenigsten Patienten aber von selbst daran, ihr schmerzenden Ohr zu fotografieren.

Prof. ­Arnaud rät Betroffenen mit Verdacht auf eine rezidivierende Polychondritis, beim nächsten Rezidiv ihr Ohr sofort abzulichten. Nach mehrere Episoden einer rezidivierenden Polychondritis ist das Ohr zudem oft deformiert. Das sog. Blumenkohl­ohr kann allerdings auch eine hämatombedingte Folge von Kontaktsportarten wie Rugby oder Kickboxen sein. Bei der rezidivierenden Polychondritis lagert sich jedoch Kalk im Ohrknorpel ab, und der lässt sich manchmal tas­ten und fast immer im Röntgenbild nachweisen.

Gefährliche Komplikation Stenose

Die nasale Knorpelentzündung ist im akuten Schub optisch weniger auffällig als die Ohrchondritis. Typischerweise beklagen die Patienten eine schmerzende Nase – und zwar am Übergang zwischen Nasenbein und Knorpel. Zeichen einer lokalen Entzündung sieht man dort meist nicht. Die wiederholte Chondritis resultiert bei etlichen Patienten in einer Deformation, z.B. in Form einer Sattelnase.

Stenosen gelten als die gefährlichsten Folgen bei Beteiligung der Atemwege. Eine Chondritis des Larynx äussert sich durch Stimm­störungen, Halsschmerzen und Stridor. Sind Trachea und Bronchien betroffen, kommt es zu Husten und Brustschmerzen, bei starker Ausprägung droht eine Ateminsuffizienz. Entzündete Rippenknorpel verursachen Schmerzen, manchmal sieht man von aussen auch Deformitäten des Brustbeins.

Differenzialdiagnosen GPA und VEXAS-Syndrom

Wenn klar ist, dass es sich um eine Knorpelentzündung handelt, muss man diverse Differenzialdiagnosen bedenken. Die beiden wichtigsten heissen Granulomatose mit Polyangiitis (GPA) und das bereits erwähnte VEXAS-Syndrom. Polychondritiden treten zudem – wenn auch sehr selten – z.B. bei systemischem Lupus erythematodes, Sarkoidose oder Morbus Crohn auf.

Besteht der Verdacht auf eine rezidivierende Polychondritis, rät Prof. Arnaud, sich Kopf, Hals und Thorax im CT genauer anzuschauen. So lassen sich die Knorpelerosionen gut nachweisen, ausserdem hilft die CT bei der Abgrenzung zur Granulomatose mit Polyangiitis. Eine diagnostische Bronchoskopie darf nur ein geübter Experte vornehmen, da durch die Stenosen ein sehr hohes Risiko besteht, die Bronchialwände zu verletzen.

CRP oft normal

Laborwerte sind mit Vorsicht zu interpretieren. Ein normales CRP schliesst die rezidivierende Polychondritis nicht aus, denn der Entzündungswert bleibt in bis zu 40 Prozent der akuten Schübe unauffällig. Unspezifische Antikörper sind häufig vorhanden. Im Gegensatz zur Granulomatose mit Polyangiitis weisen Patienten mit rezidivierende Polychondritis jedoch keine Anti-MPO/PR3-Antikörper auf. Die Bestimmung der Anti-Kollagen-II-Autoantikörper (gegen Knorpel) bzw. der Anti-Matrilin-1-Antikörper spielt diagnostisch nur eine untergeordnete Rolle. Denn das Ergebnis fällt nur bei 33 rsp. 13 Prozent der Betroffenen positiv aus.

Prof. Arnaud rät deshalb von dieser Untersuchung ab. Ebenfalls für überflüssig hält er die Knorpel­biopsie. Muss zwischen rezidivierender Polychondritis und lokaler Granulomatose mit Polyangiitis entschieden werden, kann eine nasale Mukosabiopsie weiterhelfen.

Bei 20 Prozent liegt ein Überlappungssyndrom vor

Steht die Diagnose rezidivierende Polychondritis, ist die Diagnostik damit allerdings noch nicht komplett abgeschlossen: 20 Prozent der Patienten haben ein Überlappungssyndrom mit Kollagenosen, Vaskulitiden, Hämopathien oder Infektionskrankheiten (siehe Tabelle). Diese gilt es immer abzuklären, um durch gezielte Behandlung die Prognose zu verbessern.

Für die Behandlung der rezidivierenden Polychondritis gibt es keine allgemeingültigen Empfehlungen, sie beruht bisher einzig auf Expertenerfahrungen. Prof. ­Arnaud beginnt bei einer ersten einfachen Chondritisepisode mit einer Glukokortikoid-Kurzzeittherapie (40 mg/d Prednisolonäquivalent, dann tapern). Kommt es zu Rezidiven, gibt er entweder Methotrexat oder Colchicin dazu.

Bei schweren Organmanifestationen kommen höhere Dosen Prednisolon zum Einsatz, in den meisten Fällen verordnet er zudem Cyclophosphamid. Andere Rheumatologen behandeln mit Hydroxychloroquin oder Dapson. Biologika und JAK-Inhibitoren zeigten bei dieser Erkrankung bisher wenig Effekt.

Plastisch korrigierte Nasen können durch Schübe wieder zerstört werden

Manche Patienten benötigen auch nichtmedikamentöse Ansätze bzw. Hilfen. Ausgeprägte Tracheal­stenosen machen mitunter Prothesen erforderlich. Menschen mit krankheitsbedingtem Hörverlust helfen Cochleaimplantate. Deformierte Nasen lassen sich mithilfe von Knorpelverpflanzungen plastisch-chirurgisch wieder richten. Betroffene sollten allerdings wissen, dass jeder neue Erkrankungsschub auch den implantierten Knorpel angreifen kann.

Diese Entitäten überlabben sich häufig mit der rezidivierenden Polychondritis

  • Rheumatische Erkrankungen (RA, SLE, Sjögren Syndrom, Antiphospholipidsyndrom, Morbus Behçet, SpA, familiäres Mittelmeerfieber)
  • entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)
  • Hämopathien (Myelodysplasie, Lymphom)
  • Infektionskrankheiten (Hepatitis C, HIV-Infektion)
  • andere (Hashimoto-Thyreoiditis, primäre biliäre Zirrhose, Myasthenie)