Bewältigungsstrategien für die Praxis
An dem von der TU München, Centrum für Disease Management, und den Psychiatrischen Universitätskliniken Basel veranstalteten Symposium «Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz» berichtete Dr. Barbara Hochstrasser, Chefärztin, Privatklinik Meiringen, über die Therapie bei Stresserkrankungen und Burn-out. Bei dem von ihr entwickelten integrativen Behandlungskonzept werden verschiedene Interventionen kombiniert: Die psychologische Auseinandersetzung mit den eigenen Stressverstärkern, Entspannungstechniken, Achtsamkeitsübungen und Meditation in Verbindung mit angemessener körperlicher Aktivität bilden die Säulen dieses Stressbehandlungskonzepts.
Auf diesen Komponenten beruht auch das Präventionskonzept von Dr. Edda Jaleel, die mit Sifu Noel Gaillard und Sifu Aleksandar Avram, alle Basel, unter dem Titel «Die Kraft zur Führung mental und körperlich stärken» Techniken vorstellte, die auf mentaler und körperlicher Ebene zugleich den kontrollierten Wechsel von Aktivierung und Ruhefindung üben lassen und Beweglichkeit und Vitalität fördern.
Die biologische Stressreaktion sichert das Überleben über zwei Optionen: Kampf oder Flucht. Doch an die Stelle der Bedrohungen von einst sind nervenaufreibende Herausforderungen im Alltag getreten. Ort der Handlung ist nicht eine feindliche Umwelt, sondern der Arbeitsplatz. Über die Ausschüttung von Cortisol und Noradrenalin kommt es zur körperlichen und geistigen Aktivierung. Wenn auf diese Stressaktivierung eine angemessene Erholungsphase folgt, bleibt alles «im grünen Bereich». Unter chronischer Stressbelastung, die in ein Burn-out münden kann, kommt es zu einer Verminderung der kognitiven Leistung, der Gedächtnisbildung, der sensorischen Wahrnehmung und Verarbeitung und insgesamt der Vitalität.
Das subjektive Stressempfinden entscheidet darüber, wie das Individuum mit Herausforderungen umgeht, so Dr. Hochstrasser (s. Grafik). «Das Stressempfinden ist ein persönlich bedeutsamer und als unangenehm empfundener Ungleichgewichtszustand mit Diskrepanz zwischen den Anforderungen (Leistungszielen) und den eigenen Handlungsmöglichkeiten – oder zwischen den Angeboten (Belohnungen) und den eigenen Bedürfnissen» (nach Semmer, 1984). Dabei spielen persönliche Einstellungen, Ressourcen (Resilienz) und Vulnerabilität eine entscheidende Rolle.
Im Stadium der Stressbelastung versucht man, die biologische Stressreaktion zu modulieren. Dies gelingt sehr gut durch konsequente sportliche Aktivitäten und körperliches Training. Ergänzend haben sich Entspannungstechniken (progressive Muskelentspannung, autogenes Training) und energetische Übungen wie Qigong oder Yoga sowie meditative Verfahren und das Achtsamkeitstraining bewährt. Dr. Jaleel stellte mit ihrem Kampfkunst-Team Sifu Noel Gaillard und Sifu Aleksandar Avram eine Kombination aus niedrig- und hochenergetischen Übungen vor, die mittels kontrollierter Energieführung auf Körperebene im Sinne des Embodimentmodells die Gedanken- und Emotions-Kontrolle unterstützen und so das Selbstbewusstsein des Übenden stärken.
Zusätzlich kommen entspannende Körpertherapien und Massagen infrage. Bei Körperberührungen wird Oxytocin ausgeschüttet, das Stress dämpft und die Entspannung fördert. Zur psychobiologischen Wirkung von Sport erklärte Dr. Hochstrasser, dass dieser zu Stressabbau führt und beim Abschalten hilft. Ausserdem werden positive Emotionen geweckt.
Wichtig ist allerdings auch die Auseinandersetzung mit den eigenen «Stressverstärkern», also mit persönlichen Einstellungen und Bewältigungsstrategien, die den subjektiv wahrgenommenen Stress erhöhen. Dies können z. B. eine hohe Perfektionstendenz, Unsicherheit, Mangel an Selbstvertrauen oder ein hoher Leistungswille sein. Therapeutische Gespräche oder ein Coaching können hier hilfreich sein. Ziel sollte es sein, eine möglichst gute Übereinstimmung zu erreichen zwischen
- den Bedürfnissen der Person und den Möglichkeiten am Arbeitsplatz
- zwischen den Fähigkeiten der Person und den Arbeitsanforderungen
- sowie zwischen den Wertvorstellungen der Person und den in der Firma gelebten Werten.