Medical Tribune
25. Aug. 2022Massnahmen zur Kostendämpfung

Artikel 47c KVG: Gesetzesänderung mit Folgen?

Am 19. August 2020 hat der Bundesrat beschlossen, eine Vernehmlassung zum zweiten Kostendämpfungspaket durchzuführen - aufgrund der Ergebnisse entschied er am 28. April 2021, die Vorlage in zwei Pakete aufzuteilen. Der Bund argumentiert mit einer Steigerung des Effizienzpotenzials in der Gesundheitsversorgung, er betont, dass somit eine grosse Kostenersparnis erreicht wird. Kritiker aber sehen dies anders: Sie befürchten, dass die Einsparungen in den Verwaltungsaufwand fliessen würden, mit dem negativen Ergebnis, dass die Patientenzufriedenheit und die Qualität abnehmen werden.

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AndreyPopov/gettyimages

Im Sinne der Entscheide des Bundesrats vom 28. März 2018, dem 8. März 2019 und dem 20. Mai 2020 hat das EDI mit der Änderung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung - Paket 2) einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» der Mitte vorgelegt (1).

Bund will mit Paket Steuerung des Gesundheitssystems verbessern

In seinen Entwürfen will der Bundesrat Kostenziele für die obligatorische Krankenkasse definieren, sowie Massnahmen zur Korrektur bei allfälligen Zielüberschreitungen definieren. Mit Einführung einer obligatorischen Erstberatungsstelle für alle Versicherten soll zudem der Eintritt ins Gesundheitssystem besser koordiniert werden. Es werden entsprechende Versorgungsnetzwerke als eigene Leistungserbringer definiert und Programme der Patientenversorgung (sogenannte Patientensteuerungsprogramme) gefördert. Ferner sollen die Kompetenzen dem Bund übertragen werden, zum Beispiel bei der Regelung für die Vereinbarung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen. Der Bundesrat betont, dass sich die Massnahmen an alle Akteure richten. Das EDI schätzt das Einsparpotenzial von Paket 2 auf mehrere hundert Millionen Franken pro Jahr (2).

Viele kritische Stimmen

Aktuell äussern sich allerdings viele Kritiker zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung. Eine davon ist die selbständige Ärzteberaterin Vanessa Federer. «Obwohl der Bundesrat rechtfertigt, die geplante Kostensteuerung habe nichts mit dem Globalbudget zu tun, läuft es auf dasselbe hinaus: Die Vorlage verlange nicht nur, dass die Tarifpartner die Abgeltungen aushandeln, sondern auch ein Budget, sprich Mengen und Fallzahlen. Übersteigen die Fallzahlen und Kosten das vorgegebene Mass, müssen die Leistungserbringer Rückzahlungen leisten oder die Tarife werden gesenkt.» Einigen sich die Tarifpartner nicht, würde der Bundesrat subsidiär das Kostenziel festlegen.

Für Frau Federer sind die Anreize, sich auf ein Kostenziel zu einigen, völlig ungleich: «Die Kostenträger können nicht davon ausgehen, dass der Bundesrat in ihrem Sinn entscheiden wird.» Ihren Befürchtungen nach sei kaum davon auszugehen, dass die Verhandlungen zielführend sind. Dies habe sich seinerzeit schon bei der Revision von Tarmed gezeigt. «Der Gesundheitsminister muss zugeben, dass der Bundesrat das Kostenziel selbst festlegen will.» Die unmöglich zu erfüllende Prämisse der Einigung zwischen den Tarifpartnern komme diesem Plan entgegen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Sparmassnahmenpaket die Kosten nicht senken wird: Es würden zusätzlich hunderte von Staatsangestellten beschäftigt. Somit würden allfällige Einsparungen in den Verwaltungsaufwand fliessen.

Über ein Globalbudget wurde nicht zum ersten Mal abgestimmt

Wie unlängst in der Schweizerischen Ärztezeitung berichtet (3), wurde das Globalbudget bereits zweimal abgelehnt. Diesmal könnte es jedoch anders sein: Durch den scheinbaren Paradigmenwechsel der Mitte-Fraktion hin zum Fraktionszwang, hat die Annahme der Vorlage in der kleinen Kammer nun Chancen auf Erfolg. Möglich wäre bei einer Annahme durch den Ständerat in der nächsten Session, dass die FMH das Referendum ergreift, bzw. dass das Volk letztlich entscheidet, ob es mit der Einführung einer Zweiklassenmedizin einverstanden ist.

Deutschland will sich von Globalbudgets verabschieden

Auch Dr. med. Felix Huber, Präsident der mediX Ärztenetze, äussert sich auf der Homepage von mediX sehr kritisch zum Vorhaben des Bundesrates. Er betont zudem, dass Deutschland mittlerweile die Lehren aus diesem «untauglichen Planungswahnsinn» ziehe und aus der Budgetierung aussteigen wolle, weil sie die hausärztliche Versorgung in Deutschland zerstört habe. Für ihn ist unverständlich, dass die Schweiz diese nun einführen will (4).

Ärzte sollen ihre Patienten über die Thematik aufklären und sensibilisieren

Frau Federer führt weiter aus, dass sich mit Zielvorgaben, Kostenobergrenzen und Globalbudgets die Patientenversorgung verschlechtern würde und dem Patienten keinen Mehrwert bringe – im Gegenteil. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand wäre immens und schaffe unnötig hohe Kosten. «Es wäre empfehlens- und wünschenswert, dass sich die Ärzte gesundheitspolitisch vermehrt engagieren und die Patienten über die Thematik und die damit einhergehenden Konsequenzen aufklären. Sparmassnahmen auf Kosten der Gesundheit der Patienten und die damit geschaffene Zweiklassenmedizin liegen sicherlich nicht im Sinne der Patienten.»

Sinnvoll und ebenfalls hilfreich wäre es, dass man das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung fördert: «Etwa in Bezug auf gesundheitliche Eigenverantwortung, Realismus bei den Ansprüchen an die Medizin und welche medizinischen Leistungen wirklich nötig sind.»

Vanessa Federer berät Ärztinnen und Ärzte

Durch ihre Ausbildung als Medizinische Praxisassistentin und Dipl. Wirtschaftsfachfrau mit langjähriger Berufserfahrung bringt sie umfassende Expertise in der Unternehmensberatung im Gesundheitswesen mit - (https://vanessa-federer.ch).

Referenzen
  1. Bundesamt für Gesundheit (BAG), KVG-Änderung: Medienmitteilung, Massnahmen zur Kostendämpfung – Paket 2. (abgerufen am 09.08.2022).
  2. Bundesamt für Gesundheit (BAG), KVG-Änderung: Medienmitteilung, Massnahmen zur Kostendämpfung – Paket 2. (abgerufen am 09.08.2022).
  3. Schweizerische Ärztezeitung, Die vielen Leben des Artikels 47c KVG, (abgerufen am 14.07.2022).
  4. mediX, Ein Globalbudget führt zur Rationierung medizinischer Leistungen (abgerufen am 14.07.2022).