Ärztelöhne im Kreuzfeuer der Kritik
Nachdem die FMH seit 2013 nicht mehr befugt ist, die Einkommen der Ärzteschaft zu publizieren, geben die Löhne der Mediziner mehr denn je Anlass zu hitzigen Diskussionen. FMH-Präsident Dr. Jürg Schlup und der Generalsekretär vom Verband chirurgisch und invasiv tätiger Fachgesellschaften Schweiz (fmCh) Dr. Markus Trutmann nehmen im Interview mit Medical Tribune Stellung zu den jüngsten Äusserungen von Bundesrat Alain Berset.
Bundesrat Alain Berset hat die Löhne mancher Spezialisten kritisiert, welche offenbar über eine Million Franken pro Jahr verdienen. Es handle sich dabei um 80 000–90 000 Franken pro Monat, welche durch die Prämien finanziert würden. Was sagen Sie dazu?
Dr. Schlup: Die Aussagen des Gesundheitsministers, der santésuisse-Direktorin Verena Nold sowie zweier Regierungsräte im Zusammenhang mit den Löhnen von Spezialärzten wurden bislang nicht konkret belegt. Eine solche Summe kann von einem einzelnen Arzt nicht aus Tarifleistungen der Sozialversicherung erwirtschaftet werden. Möglicherweise rechnen mehrere Ärzte über die gleichen Zahlstellennummern ab. Grundsätzlich ist es möglich, hohe Summen zu erwirtschaften, wenn noch andere Einkommensanteile beispielsweise aus der Privatversicherung oder eine Expertentätigkeit hinzukommen. Welche Ärzte das sein sollen, ist uns nicht bekannt.
Dr. Trutmann: Ich fordere ebenfalls, dass die Ärzte genannt werden, die in der Kritik stehen. Nach Aussagen von Pascal Strupler, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), handelt es sich um Spezialärzte von Mitgliedschaften der fmCh. Falls die 140 zur Diskussion stehenden Ärzte tatsächlich ein Millionen-Einkommen aus der Grundversicherung generieren, erklärt sich unser Verband bereit, die Fälle zu untersuchen. Sollte nicht korrekt abgerechnet worden sein, dulden wir diese Situation keinesfalls und werden gegen die fehlbaren Berufskollegen vorgehen. Grundsätzlich empfiehlt es sich, die Löhne differenziert zu betrachten. Ich denke, dass wir im internationalen Vergleich faire Verhältnisse vorfinden, was die unteren bis oberen Einkommen betrifft.
Auffällig sind die Lohnschätzungen der Chef- und Belegärzte, die mehr verdienen als Geschäftsleitungsmitglieder von Unternehmen. Das zeigen zumindest die Hochrechnungen des Vergütungsexperten Urs Klingler. Ist das ein zunehmendes Problem im Zeitalter der stetig steigenden Gesundheitskosten?
Dr. Schlup: Laut einer Umfrage der Chefärzte-Vereinigung im Jahr 2016, welche von 1000 der rund 1500 Chefärzte beantwortet wurde, verdienen Chefärzte durchschnittlich 370 000 Franken inklusive Zusatzeinkommen. Die Schätzungen des Vergütungsexperten von bis zu 1,5 Millionen Franken ergeben völlig andere Einkommen. Ob effektiv vereinzelt Chefarztlöhne in derartiger Höhe existieren, kann ich nicht beurteilen. Die FMH würde solche Einkommen nicht unterstützen.
Dr. Trutmann: Es kommt auch darauf an, wie sich ein Einkommen zusammensetzt. Im Westschweizer Fernsehen hat der bekannte Genfer Chirurg Prof. Philippe Morel sein Einkommen in der Höhe von 670 000 Franken offen dargelegt. Allerdings sind auch seine akademische Tätigkeit sowie Privatpatienten Teile seines Lohnes, die mit der Grundversicherung nichts zu tun haben. Ein Arzt, der eine Spitzenposition einnimmt, muss seinen Lohn meines Erachtens nicht verbergen.
Sollte eine obere finanzielle Grenze eingeführt werden, was die Einkünfte der Chefärzte betrifft?
Dr. Schlup: Chefarzt-Verträge in öffentlichen Spitälern werden von den Spital-Direktionen abgeschlossen und vom Regierungsrat verantwortet. Sie kennen möglicherweise den Marktwert eines Chefarztes.
Dr. Trutmann: In dieser Liga spielt der Markt eine Rolle, denn die Spitäler stehen stets im Wettbewerb
zueinander. Nicht zuletzt spielt das Renommee eines Chefarztes eine zentrale Rolle, denn dadurch wird
das öffentliche Ansehen einer Einrichtung beeinflusst. Das betrifft auch die Zuweisung von Patienten.
Besteht die Schwierigkeit insbesondere auch darin, dass sogenannte Belohnungen lediglich auf den Umsatz ausgerichtet sind?
Dr. Schlup: Die FMH spricht sich seit Jahren gegen mengenbezogene Bonusvereinbarungen in Spitalarztverträgen aus. Resultate der FMHBegleitstudie zeigen überdies, dass die entsprechenden Zahlungen bei Chefärzten im Bereich der Akutsomatik klar zurückgehen, was wir mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen.
Dr. Trutmann: Die fmCh lehnt Boni ebenfalls kategorisch ab, denn es handelt sich um falsche Anreize.
Vielmehr sollte die Qualität der Versorgung im Mittelpunkt stehen. Es kann nicht sein, dass die berufliche Motivation in erster Linie auf solche «Lockmittel» ausgerichtet ist.
Im Gesundheitswesen fehlen bisher wesentliche Sparanreize. Müsste darüber vermehrt diskutiert werden?
Dr. Schlup: Die FMH hat kürzlich Einsparungsvorschläge publiziert, doch diese stossen auf geringes Interesse. Wir weisen beispielsweise auf wichtige Ansatzpunkte hin, was die Schaffung überkantonaler
Spitalregionen sowie die Auflösung der Governance-Konflikte der Kantone betrifft. Eine einheitliche Finanzierung stationärer und ambulanter Leistungen ist unverzichtbar, wenn ein Prämienschub vermieden und die Attraktivität integrierter Versorgungsmodelle gesteigert werden soll. Nebst der Reduktion des grossen Administrationsaufwands sind auch Tarifierung und Zulassung von zentraler
Bedeutung.
Dr. Trutmann: Der Bundesrat hat kürzlich eine Expertengruppe eingesetzt, welche 38 Massnahmen zur Kostendämpfung präsentiert hat. Sämtliche Akteure sind aufgerufen, die Vorschläge ohne Abwehrreflexe zu studieren und zu überlegen, inwiefern eine konstruktive Zusammenarbeit möglich ist. Auch sollte es künftig darum gehen, Eingriffe, die nicht den gewünschten Erfolg mit sich bringen, zu vermeiden. Die fmCh hat ausserdem mit dem Krankenkassenverband santésuisse einen Vertrag über einen ambulanten Pauschaltarif, der die Vor- und Nachbereitung einer Behandlung beinhaltet, unterzeichnet. Wer auf diese Weise abrechnen will, verpflichtet sich zur Teilnahme an qualitätssichernden Massnahmen.
Zurück zur Lohndiskussion: Genaue Zahlen sind nicht vorhanden, da das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) der FMH untersagt hat, die Einkommensverhältnisse der Ärzteschaft bekannt zu geben. War das ein Fehlentscheid?
Dr. Schlup: Das BSV hat uns die weitere Verwendung der bis anhin benutzten Einkommensdaten der
Ausgleichskassen untersagt. Wir haben während 30 Jahren die Ärzteeinkommen preisgegeben im Sinne einer Transparenz, doch im Jahr 2013 wurde dies verboten mit der Begründung, es existiere kein überwiegendes Interesse an der Datenbekanntgabe, was offensichtlich nicht zutrifft.
Dr. Trutmann: Solange die Zahlen publik gemacht wurden, traten kaum Schwierigkeiten auf. Doch nun entsteht eine immer grössere Polemik. Unser Verband hat sich seinerzeit in einer Arbeitsgruppe der FMH engagiert mit dem Ziel, Statistiken zu verbessern und die verschiedenen Einkommensanteile auseinanderzuhalten. Es gilt u. a. auch zu unterschieden, ob ein Arzt Teil- oder Vollzeit arbeitet. Ansonsten lassen sich keine genauen Zahlen präsentieren. Diese Bestrebungen liegen inzwischen auf Eis. Es wäre sinnvoll, die Situation noch einmal zu überprüfen.
Mehr Klarheit dürfte eine geplante Studie des Bundesamtes für Gesundheit bringen, in welcher Höhe und Herkunft der Ärzteeinkommen bekannt gegeben werden sollen.
Dr. Schlup: Wir warten nach wie vor auf diese Publikation, die seit Monaten angekündigt wird. Die FMH
fordert eine faktenbasierte Diskussion über Ärzteeinkommen. Doch nun sehen wir uns mit unbelegten
Behauptungen konfrontiert, die unserem Berufsstand Schaden zufügen. Wir begrüssen deshalb die künftige BAG-Studie.
Dr. Trutmann: Auf die Resultate des Bundesamtes für Gesundheit bin ich mehr als gespannt. Der Bericht in der SRF-Sendung «Rundschau» hat mich vor allem deshalb verblüfft, weil das BAG scheinbar über Fichen in Bezug auf Ärzteeinkommen verfügt. Ich frage mich, ob hierfür eine gesetzliche Grundlage existiert. Es stellt sich die Frage, ob auch die Einkommen des Pflegepersonals, der Physiotherapeuten und der Administratoren erfasst werden.
Führt die aktuelle Situation letzten Endes zu einem immer grösseren Zwist zwischen Bundesrat und Ärzteschaft?
Dr. Schlup: Derzeit fehlen die Daten, was eine sachliche Diskussion verunmöglicht. Wir rufen deshalb die Verantwortlichen auf, ihre Aussagen zu belegen und mit uns das direkte Gespräch zu suchen.
Dr. Trutmann: Der offene Brief unseres fmCh-Präsidenten Dr. Josef Brandenberg an Bundesrat Alain
Berset bezweckt, dass die bestehenden Auseinandersetzungen ein Ende nehmen und der Gesundheitsminister konkrete Namen jener Ärzte nennen soll, die seiner Meinung nach zu viel verdienen. Es wäre an der Zeit, diese Angelegenheit zu bereinigen, damit wir uns wieder wichtigen
Themen zuwenden können.
Besten Dank für das Gespräch!