TARMED-Revision – Ausgang ungewiss
Die neue Tarifstruktur steht nach einem Revisionsprozess kurz vor dem Abschluss, doch noch ist offen, ob die Ärzteschaft hinter den neuen Anpassungen steht. Medical Tribune hat mit Dr. Urs Stoffel, Chirurg und FMHVorstandsmitglied, über mögliche Entwicklungen gesprochen.
In der Zwischenzeit sind die Revisionsarbeiten im Zusammenhang mit der ambulanten Tarifstruktur weitgehend abgeschlossen worden. Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Dr. Urs Stoffel: Bis Mitte Februar sind sämtliche FMH-Mitglieder aufgerufen, zu den neuen und revidierten Tarifpositionen Stellung zu nehmen und ihre Bemerkungen anzufügen, indem sie einen entsprechenden Browser herunterladen können. Mittlerweile wurden bereits über 11 000 solche Downloads registriert. Anschliessend werden die Kommentare ausführlich analysiert und den einzelnen Fachteams vorgelegt, welche dann ihrerseits die Möglichkeit erhalten, bis Anfang März die notwendigen Änderungen vorzunehmen.
Gab es bereits ernstzunehmende Einwände?
Dr. Urs Stoffel: Wir nehmen grundsätzlich jede Kritik ernst. Es sind bereits über 900 Rückmeldungen zur neuen Tarifstruktur eingetroffen, positive und negative Reaktionen sowie auch Forderungen nach Korrekturen und Berichtigungen von offensichtlichen Fehlern.
Mehr als 4000 Leistungspositionen wurden überarbeitet. Welcher Ihrer Meinung nach wichtigste Bereich konnte man in der neuen Fassung revidieren?
Dr. Urs Stoffel: Das Ziel bestand unter anderem darin, Leistungen zu vereinfachen und zusammenzufassen. Die jetzt vorliegende Tarifrevision beinhaltet zudem nur noch Leistungen, die entweder ambulant in der Praxis oder ambulant im Spital erbracht werden. Zusätzlich haben die Teams die Tarifpositionen auf ihre Sachgerechtigkeit und Betriebswirtschaftlichkeit überprüft, da die Datengrundlage für den Tarif und die Kostenmodelle aus dem Jahr 1996 stammen. Man hat beispielsweise die Löhne des nicht ärztlichen Personals seit 22 Jahren nicht mehr angepasst.
Stellen Sie Knackpunkte fest, die Anlass zu weiteren Diskussionen geben könnten?
Dr. Urs Stoffel: Immer wieder stellt sich die Frage, wie man eine Handlungs- und eine Zeitleistung klar definiert. Es existieren zwar Tarifierungsgrundsätze dazu, aber dennoch bestehen diesbezüglich immer noch Differenzen. Zudem müssen wir den Genehmigungsprozess des Krankenkassenverbandes Curafutura abwarten, und die leidigen «Limitationen» im Zusammenhang mit Leistungen sind immer noch ein Reizthema.
Wie haben Sie die Revisionsarbeiten erlebt?
Dr. Urs Stoffel: Es war ein langwieriger und schwieriger Prozess, da zahlreiche Interessen aufeinanderprallen und unter einen Hut gebracht werden müssen. Die Grundversorger sind vor allem auf die Zeitleistungen, die Gespräche mit den Patienten angewiesen. Und die invasiv tätigen Mediziner greifen insbesondere auf Handlungsleistungen für die verschiedenen Eingriffe zurück. In dieser Hinsicht wird weiterhin darüber diskutiert, wie diese entsprechend gewichtet werden sollen. Auch bedeutete es für die Fachteams eine grosse Herausforderung, die Tarifierungsgrundsätze ganzheitlich und fair anzuwenden. Für diverse Leistungen existieren je nach Patient erhebliche Differenzen bezüglich Zeit, die zur Erbringung dieser Leistungen aufgewendet werden muss. Es wäre demnach nicht korrekt, lediglich 15 Minuten hinter einer Tarifposition zu hinterlegen, wenn man eine halbe Stunde für den Ratsuchenden investiert hat.
Zeichnen sich neue Streitigkeiten zwischen Hausärzten und Spezialisten ab?
Dr. Urs Stoffel: Die Generalisten haben sich stets für eine adäquate Abbildung ihrer Leistungen eingesetzt und die Spezialisten ihrerseits betonen, dass endlich die Personalkosten und Infrastrukturkosten angepasst werden sollten. Es handelt sich um unterschiedliche Interessen, und letzten Endes müssen auch die Krankenkassen ihr Einverständnis abgeben.
Apropos Spezialisten: Diese haben im vergangenen Jahr über 10% mehr technische Leistungen angeordnet. Wie denken Sie darüber?
Dr. Urs Stoffel: Die Versicherer vertreten vor allem den Standpunkt einer reinen Mengenausweitung. Doch muss man diese Entwicklung differenzierter analysieren. Nicht wenige Leistungen werden aufgrund neuer Operationsverfahren durchgeführt, die heutzutage weitaus weniger gefährlich sind. Früher hat man eher auf Eingriffe verzichtet, weil die Resultate schlechter ausfielen und Komplikationen befürchtet wurden. Dies gilt es nebst den demografischen Entwicklungen abzuwägen und zu berücksichtigen. Deshalb bin ich der Ansicht, dass man nicht lediglich von einer Mengenausweitung sprechen kann.
Bringt die TARMED-Revision einen Kostenschub mit sich?
Dr. Urs Stoffel: Davon ist nicht auszugehen. Aber jedes neue System birgt ein gewisses Risiko, was man auch bei Swiss DRG beobachten konnte, und deshalb müssen nach einem Jahr Korrekturen vorgenommen werden. Der Bundesrat hat deshalb geplant, dass nebst der Tarifstruktur auch ein Konzept eingereicht wird, wie die Entwicklung des revidierten Tarifs monitorisiert werden kann. Dadurch kann ein Stück weit verhindert werden, dass man sich in eine vollends unbekannte Zukunft bewegt.
Es ist geplant, die revidierte Tarifstruktur dem Bundesrat am 30. Juni einzureichen. Handelt es sich um eine realistische Zeitspanne?
Dr. Urs Stoffel: Das hängt von der Vernehmlassung ab. Anschliessend beginnt der Genehmigungsprozess. Zunächst entscheidet die Delegiertenversammlung und später die Ärztekammer, bis schliesslich die Urabstimmung folgen wird. Auf kontroverse Diskussionen bin ich gefasst.
Besten Dank für das Gespräch.