Wie Chemikalien und Mikroplastik die Lunge schädigen
Fast eine halbe Million neuer Chemikalien sind in den letzten 60 Jahren praktisch ohne Kontrolle ihrer Gesundheitseffekte eingeführt worden. Viele gelten heute als Umweltschadstoffe, aber selbst vermeintlich harmlose Produkte wie Haushaltsreiniger, Körpercremes und Nahrungsmittelzusätze könnten hinter Erkrankungen stecken, deren Inzidenz seit Jahren ansteigt.
Der Chemikalienboom begann um 1960 und wurde begleitet von einem exponenziellen Anstieg der Allergie- und Asthmaerkrankungen. Dies machen Daten aus der Schweizer Armee deutlich: 1960 litten ein bis zwei Prozent der Armeeangehörigen an einer Allergie, 2010 hatte sich der Anteil mehr als verzehnfacht, berichtet Prof. Dr. Cezmi A. Akdis, Direktor des Schweizerischen Instituts für Allergie- und Asthmaforschung Davos (1). Das zeigt höchstwahrscheinlich: Schadstoffe können Körperbarrieren durchdringen und sie permeabler machen für Allergene, Toxine und Mikroorganismen.
Chemikalien bleiben am Geschirr haften
Dabei beeinflussen sich die verschiedenen Barrieren im Körper gegenseitig: Beginnt das Darmepithel zu lecken, leidet auch die Lungenmukosa, und die pulmonale Inflammation nimmt zu. Umgekehrt funktioniert das Wechselspiel genauso.
Als Beispiel für weit verbreitete Chemikalien mit zum Teil unklaren Effekten auf die Gesundheit nennt der Immunologe Chemikalien, die Reinigungsmitteln für Profispülmaschinen zugesetzt werden. Sie sollen schnelle Waschgänge von ein, zwei Minuten Dauer bei über 80 °C und hohem Druck ermöglichen. Solche Reinigungsmittel werden überall dort verwendet, wo grosse Geschirrmengen schnell gereinigt werden müssen – und damit auch in Schulen, Kantinen, und Krankenhäusern.
Toxisch wirken vor allem die in den letzten 20 Sekunden zugeführten Klarspüler bzw. das darin enthaltene Alkoholetoxylat. «Alkoholetoxylat ist eine der giftigsten Substanzen überhaupt – es bleibt toxisch selbst bei einer Verdünnung von 1:20.000», erläutert Prof. Akdis. Klarspüler persistieren auf Geschirr und Gläsern und sorgen für den gewünschten Glanz. Sie lassen sich später aber auch in den servierten Gerichten und Getränken nachweisen.
Emulgatoren dicken auch den Schleimhautfilm ein
Ein weiteres Beispiel sind Emulgatoren und Konservierungsmittel in Nahrungsmitteln. Ihnen ist zu verdanken, dass Saucen cremig bleiben und Abgepacktes monatelang haltbar ist. «Lässt sich das erreichen, ohne humane Zellen zu schädigen? Nein, bisher jedenfalls nicht», so Prof. Akdis.
Denn die verwendeten Emulgatoren dicken nicht nur Saucen an, sondern auch den Flüssigkeitsfilm auf Schleimhäuten. Das stört den Austausch zwischen Epithel, Immunzellen und Mikrobiom. Die Kommensalen werden in der verdickten Schleimhautfilm gefangen, das Mikrobiom büsst Diversität ein. «Wenn Ihr Asthmapatient eine gestörte Mukosabarriere im Intestinum hat, wird die Asthmakontrolle schlechter», warnt Prof. Akdis.
Bei vielen anderen Erkrankungen sieht er ähnliche Zusammenhänge zwischen Emulgator-Exposition, epithelialen Barrierestörungen und mikrobieller Dysbiose einerseits, Krankheitsstart und ungünstigem Verlauf andererseits. Dazu gehört die Neurodermitis und Heuschnupfen, eosinophile Ösophagitis, M. Crohn und Colitis ulcerosa, aber auch Autoimmunerkrankungen von Diabetes bis Multiple Sklerose, und neuropsychiatrischen Krankheiten.
Hohe Mikroplastik-Belastung in Innenräumen
Erst in den letzten Jahren ist die inhalative Exposition gegenüber Mikroplastik ins Bewusstsein gerückt. Lange galt sie vor allem als Problem von Menschen, die beruflichen Umgang mit Asbest und Silikaten haben, tatsächlich kann ihr aber mittlerweile praktisch niemand mehr entgehen. Mikroplastik entsteht, wenn grössere Kunststoffgegenstände (z.B. Spielzeug oder Möbel) oder -kleidungsstücke zerfallen.
Es wird aber auch absichtlich synthetisiert, z.B. Nanopartikel für Kosmetikprodukte. «Mikroplastik finden Sie überall, auf dem Gipfel des Himalaya genauso wie in der Tiefsee», betont Prof. Dr. Barbro Melgert, Universität Groningen. In Innenräumen ist die Konzentration um ein Vielfaches höher als draussen, meist handelt es sich dabei um Partikel aus Polyester, Nylon und Polypropylen von Kleidung und Haushaltstextilien. Etwa 30 Prozent des Staubs bestehen aus synthetischen Fasern.
Dass Mikroplastik den Weg über die Lunge in den Organismus schafft, konnten Wissenschaftler kürzlich zeigen. Im Blut ihrer Probanden schwammen pro Milliliter im Schnitt knapp 2 µg Polyester, Polyethylen und Polystyrene. «Der einzige Weg, auf dem diese Stoffe dorthin gelangen können, ist durch lückenhafte Epithelbarrieren», so Prof. Melgert.
Auch in der Lunge finden sich derartige Partikel. Es liegt daher nahe, dass zumindest ein Teil des Plastiks im Blut mit der Atemluft in den Körper gelangt ist.
In Versuchen mit Lungen-Organoiden, die Atemwege und Alveolen nachbilden, untersuchte das Team der niederländischen Toxikologin, was textile Mikrofasern bewirken. Nichts Gutes: Speziell Atemwegsepithel-Organoide verkümmerten, wenn sie Plastik, vor allem Nylon, ausgesetzt waren. Dabei scheint es sich nicht um einen direkten toxischen Effekt zu handeln, vielmehr stört Nylon die Entwicklung der Organoide und wahrscheinlich auch Reparaturprozesse in geschädigten Lungen. «Gute Nachrichten für Erwachsene, aber schlechte für Schwangere, Kinder und Lungenkranke», kommentiert Prof. Melgert. Für den Moment rät sie, jeder solle helfen, die Exposition zu reduzieren, d.h., lüften, staubsaugen, und den Plastikverbrauch minimieren.
Referenz
- ERS International Congress 2022, 4-6 September 2022, Barcelona