Medical Tribune
9. Okt. 2017Sauerstoff-Langzeittherapie

«Die Luft gibt’s umsonst, Sauerstoff ist teuer»

Auf keinen Fall, meint Professor Dr. Leonardo Fabbri von der Universität Ferrara, Vertreter der Pro-Sauerstoff-Position. Er ist zwar ebenfalls der Meinung, dass Patienten, wie sie im Long-Term Oxygen Treatment Trial* beobachtet wurden, keine Sauerstoff-Langzeittherapie (LTOT) verordnet werden sollte. Das waren jene mit stabiler COPD und moderater Entsättigung in Ruhe (pO2 89–93 %) bzw. bei leichter Belastung (pO2 im 6-Minuten-Gehtest unter 90 % für mindestens 10 sec). Die Patienten durften aus­serdem keine relevanten Begleit-erkrankungen aufweisen und kurz zuvor keine antibiotika- oder steroidpflichtige Exazerbation gehabt haben. Kurz gesagt: Es handelte sich um relativ leicht erkrankte Patienten ohne wesentliche Komplikationen und Komorbiditäten. Für sie hatte die Studie keinerlei Benefit nachgewiesen, weder hinsichtlich Mortalität, Exazerbationen oder Hospitalisationsrate noch bei Lebensqualität, Lungenfunktion oder körperlicher Leistungsfähigkeit.

Letztlich wurde gezeigt, dass Patienten, die keinen Sauerstoff brauchen, auch nicht davon profitieren – so hatte Professor Dr. Tobias Welte, Hannover, die Studie einmal kommentiert. Allerdings: Bei der relativ kleinen Subgruppe von Patienten, die in den drei Monaten vor Einschluss eine Exazerbation erlitten hatten, war doch eine signifikante Reduktion des Sterbe- und Hospitalisationsrisikos demonstriert worden, gab Prof. Fabbri zu bedenken. Er verwies ausserdem darauf, dass in der täglichen Praxis sehr unterschiedliche Patienten auftauchen, bei denen die Entscheidung pro oder kontra Sauerstofftherapie ansteht. In Einzelfällen könne die LTOT durchaus indiziert sein, selbst wenn Patienten nur moderat entsättigen. Dann nämlich, wenn sie hoch gefährdet erscheinen zu sterben oder wiederholt schwere akute Exazerbationen erleiden. Auch bei begleitender Schlafapnoe oder nächtlicher Hypoxämie trotz nichtinvasiver Beatmung erscheint ihm ein Versuch mit LTOT gerechtfertigt. Eine weitere Indikation sieht er bei Patienten mit ausgeprägter Dyspnoe, die nicht adäquat auf andere Therapien ansprechen.

In Einzelfällen könnte die LTOT doch sinnvoll sein

«Wir müssen diese Therapie individualisieren – ich gebe Ihnen ein Beispiel», sagte Prof. Fabbri. «Wenn ein Patient in Ihre Praxis kommt und moderat entsättigt ist, dazu eine Herzinsuffizienz hat und eine eingeschränkte Nierenfunktion: Was würden Sie tun? Ihm keine LTOT geben?» Jeder fünfte COPD-Patient habe eine myokardiale Pumpschwäche, jeder dritte Herzinsuffiziente auch eine COPD.
Professor Dr. Robert Wise von der Johns Hopkins University in Baltimore kam die Aufgabe zu, kontra Sauerstoff für moderat hypoxämische COPD-Patienten zu argumentieren. Das sei in etwa so, wie zu behaupten, die globale Erwärmung sei gut für den Planeten, ulkte er. Immerhin, es gebe Physiker, die das behaupteten. Einer von ihnen berate den amerikanischen Präsidenten in Fragen der Wissenschaft.
Aber ernsthaft: Dass Patienten mit schwerer Hypoxämie unter Langzeitsauerstoff länger überleben, steht für die meisten Kollegen aus­ser Zweifel. Dabei stützt sich auch diese Auffassung auf relativ wenige Daten. Die zugrunde liegende Studie des Medical Research Council umfasste gerade einmal 87 Patienten, und profitiert haben nur die Frauen (weniger als ein Drittel aller Teilnehmer). «Auf dieser schma­len Basis geben wir jedes Jahr zwei Milliarden Dollar für Sauerstoff aus», betonte Prof. Wise. Die Studie der Gesundheitsbehörden war auch nicht die erste zur moderaten Hypoxämie bei COPD, die keinen Benefit gezeigt hat. Vorangegangen waren bereits andere Arbeiten. Die letzte, eine retrospektive Studie mit fast 500 Emphysem-Patienten nach Lungenvolumenreduktion, hat sogar eine erhöhte Sterblichkeit unter Sauerstofftherapie gezeigt.

«Sauerstoff nutzt Patienten mit moderater Hypoxämie nicht, aber es schadet den meisten wohl auch nicht», resümierte der amerikanische Pneumologe. «Luft gibt es umsonst, Sauerstoff ist teuer – also warum ihn verordnen?»

* Long-Term Oxygen Treatment Trial

Research Group N Engl J Med. 2016; 375: 1617–1627.

ATS (American Thoracic Society) Conference 2017