Medical Tribune
12. Apr. 2013Nahrungsergänzungsmittel

Können Vitamine doch Krebs verhüten?

Nahrungsergänzungsmittel zur Verhütung von typischen Zivilisa-tionskrankheiten und zum Ausgleich unserer ungesunden Lebensweise waren lange Zeit "in". Dann haben Studienergebnisse Ernüchterung gebracht. Die ergänzenden Vitamine und Spurenelemente hielten der wissenschaftlichen Prüfung nicht stand: Kein messbarer Effekt bei gesunden Erwachsenen, bei Fehl- und Überdosierung sogar schädlich, so lautete das Urteil der Experten.

Im Rahmen der amerikanischen Physicians’ Health Study hat man nun aber doch festgestellt, dass eine Multivitamineinnahme die Krebsinzidenz zwar geringfügig, aber signifikant senkt.

Multivitamin-Einnahme: Geringer Nutzen, aber signifikant

An der Studie nahmen mehr als 14 000 männliche Mediziner im Alter über 50 Jahre teil. Mit einem mittleren Body-Mass-Index von 26 kg/m2 befanden sich die wenigsten von ihnen in mangelhaftem Ernährungszustand. Die Versuchsteilnehmer nahmen täglich ein kommerziell erhältliches Multivitaminpräparat ein, das unter anderem die Vit­amine D, A und C enthält, oder ein Scheinmedikament. Im Mittel beobachtete man die Teilnehmer 11,2 Jahre lang. Nach vier Jahren nahmen noch etwa 77 % der Teilnehmer und am Ende immer noch 67 % die Vitamine brav ein.

Insgesamt erkrankten im Beobachtungszeitraum 2669 Personen an Krebs, die Hälfte davon am Prostatakarzinom. Im Vergleich zu den Teilnehmern unter Placebo fiel die Krebsinzidenz geringer aus. Der Unterschied von 18,3 Fällen zu 17 Fällen pro 1000 Personenjahre war zwar klein, aber signifikant, schreiben die Studienautoren.

Bei Prostatakrebs scheinen Vitamine nicht zu wirken

Bezüglich des besonders häufigen Prostatakarzinoms schienen die Patienten allerdings nicht von dem Multivitaminpräparat zu profitieren. Mit ergänzenden Vitaminen erkrankten 9,1 Probanden pro 1000 Personenjahre an einem Prostatakarzinom, ohne Extravitamine traf dieses Schicksal 9,2 Probanden.

Nahm man diese Krebsart aber aus der Analyse heraus, so errechneten die Forscher eine Risikoreduktion von 12 % durch die zusätzliche Vitamineinnahme. An der Krebssterblichkeit und der Gesamtmortalität änderte die Vitamingabe allerdings nichts.

Krebs in der Familie macht Vorteil zunichte

Bei Krebs in der Familie scheint die zusätzliche Gabe von Vitaminen ebenfalls kaum Einfluss zu nehmen, schreiben die Studienautoren. Denn bei Probanden, deren Eltern schon an Krebs erkrankt waren, minderte die Nahrungsergänzung die Tumorinzidenz nicht. Vorteile ergaben sich dagegen für Patienten mit gesunder Familienanamnese: Bei ihnen senkte die tägliche Vitamineinnahme das Krebsrisiko um 14 %.

 J. Michael Gaziano et al., JAMA 2012; online first

Interview mit Prof. Dr. Marc Birringer, Fachbereich Oecotrophologie an der Hochschule Fulda

Gesunde Ernährung ist besser als Supplemente

Ist die Vitaminsupplementation nach den Ergebnissen der aktuellen Studie eventuell doch eine Option zur Primär- oder Sekundärprävention?

Prof. Birringer: Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist die beste Option der Krebsprävention der Verzehr von Obst und Gemüse. Dies haben epidemiologische Studien unzweifelhaft belegt. Ausgehend von der vorliegenden Studie eine Empfehlung zur Einnahme von Supplementen zu geben ist unseriös. Andere Studien mit ähnlicher Nahrungsergänzung kommen zu völlig anderen Ergebnissen. So haben mehrere Metaanalysen zu diesem Problemfeld gezeigt, dass die Supplementierung mit Vitaminen keinen Einfluss auf die Entstehung von Krebs (oder Atherosklerose oder Diabetes) hat, es sogar zu Nebenwirkungen wie Krebs oder Diabetes kommen kann.

Gibt es Personen- oder Patientengruppen, bei denen die Gabe von Vitaminsupplementen sinnvoll ist?

Prof. Birringer: Deutschland ist kein Vitaminmangelgebiet und es kommt nur äusserst selten zu Vitaminmangelerkrankungen. Es gibt Ausnahmen, wie Schwangere oder Neugeborene, bei denen eine Supplementierung mit Vitaminen empfohlen wird. Für Jugendliche und Senioren wird derzeit diskutiert, ob eine zusätzliche Gabe von Vitamin D sinnvoll ist. Einen Überblick geben die Internet-Seiten der DGE. Auch bei einigen Krankheitsbildern, etwa infolge einer zystischen Fibrose, kann es zu einem Vitaminmangel kommen, der sich durch Supplemente ausgleichen lässt.

Was kann man Krebspatienten raten, die zusätzlich zur Schulmedizin "etwas Gutes" für sich tun möchten?

Prof. Birringer: In erster Linie gilt es, eine gesunde Ernährungsweise einzuhalten. Diese ist jedoch nach einer Operation oder während einer Chemotherapie den Bedürfnissen der Patienten anzupassen. Einen ernährungsmedizinischen Leitfaden hierzu hat die Deutsche Krebshilfe erstellt. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn im hohen Mass Supplemente während einer chemotherapeutischen Behandlung genommen werden, da es zu unerwünschten Wechselwirkungen zwischen Medikament und Supplement kommen kann. Im schlimmsten Fall verlieren die Chemotherapeutika ihre Wirkung. 

Wie viele Menschen in Deutschland nehmen trotz bisher fehlender Evidenz zum Nutzen Nahrungsergänzungsmittel ein?

Prof. Birringer: Die letzte grosse Erhebung, die Nationale Verzehrsstudie II, hat gezeigt, dass 66 % aller Deutschen ihr Essverhalten als "zu viel und zu einseitig" einstufen. Daher verwundert es nicht, dass 28 % der Bevölkerung Vit­aminpräparate zu sich nehmen, um einen vermeintlichen Mangel auszugleichen.