Medical Tribune
27. Sept. 2023Fehlbildung mit vielen möglichen Folgen

Lippen-Kiefer-Gaumenspalte richtig versorgen

Eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann einige Funktionen beeinträchtigen. Dazu zählen Essen, Hören, Sprechen, Zahnstellung und nicht zuletzt die Ästhetik. Behandeln lassen sollten sich Betroffene früh, und unbedingt in einem spezialisierten Zentrum.

Geöffneter Mund während Operation einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte.
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Der Verschluss einer Gaumenspalte schafft die Voraussetzungen für normales Sprechen und eine gute Tubenbelüftung.

Mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kommt etwa eines von 500 Babys zur Welt. Entdeckt wird sie häufig bereits im Zuge einer pränatalen Ultraschall-Untersuchung. Manchmal fällt sie aber erst bei der Geburt auf.

Jungen sind dabei von der Fehlbildung häufiger betroffen (58%) als Mädchen, ist in einer aktuellen Übersichtsarbeit zu lesen.

Entstehung in der Frühschwangerschaft

Grundsätzlich unterscheidet man drei verschiedene Formen der Spaltbildung:

  1. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (43 %)
  2. Spalten des harten und weichen Gaumens (31 %)
  3. Lippen- und Kieferspalten (26 %)

Die Fehlbildungen entstehen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten. Beteiligt daran scheinen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren zu sein, definitiv gibt es eine familiäre Häufung. Wichtig: Lippen-Kiefer-Gaumenspalten treten nicht selten gemeinsam mit anderen Fehlbildungen (z.B. an Herz und Nieren) bzw. Syndromen auf. Daher ist eine entsprechende Abklärung angezeigt.

Fehlbildung in unterschiedlichen Ausprägungen

Spalten können sich dabei ein- oder beidseitig, vollständig oder unvollständig entwickeln.

Liegt eine vollständige einseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vor, fehlt der knöcherne Nasenboden. Bei beid­seitiger Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist der Zwischenkiefer nur am Nasenseptum befestigt, der Nasenboden fehlt dabei vollständig komplett. Isolierte Gaumenspalten liegen in der Mitte und gehen immer mit einer vollständigen Segelspalte einher. Bei einer Kieferspalte gibt es unter Umständen keine angrenzenden Zähne oder sie haben Auffälligkeiten.

Manche Fehlbildungen fallen hingegen auf den ersten Blick gar nicht auf. Dazu gehört die submuköse Gaumenspalte (s. Kasten).

Stillen mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

Eines der ersten Probleme bei Fehlbildungen von Lippe, Kiefer, und Gaumen betrifft das Stillen. Dieses ist bei Säuglingen mit einer Spaltbildung zwar möglich, manchmal muss die stillende Mutter jedoch Tricks anwenden. So hilft es beispielsweise bei alleiniger Lippenspalte, wenn die Mutter einen Finger zum Ausgleich für den fehlenden Lippenschluss auf den Babymund auflegt.

Liegt hingegen eine Gaumenspalte vor, muss man den Kopf des Babys beim Stillen aufrecht halten, um einen nasalen Reflux zu verhindern.

Bei Problemen um das Stillen von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann eine Stillberatung unterstützen.

Wird das Baby hingegen mit dem Fläschchen ernährt, hilft es, die Öffnung am Sauger durch einen Kreuzschnitt zu erweitern. Zu berücksichtigen ist auch, dass das Füttern von Kindern mit einer Spalte deutlich länger dauert, egal ob gestillt, oder mit der Flasche ernährt wird.

Betreuung nur in spezialisierten Zentren

Kinder mit einer Spaltbildung sollten immer in einem Spaltzen­trum von einem entsprechend qualifizierten Behandlungsteam betreut werden. Unmittelbar nach der Geburt erfolgt die Vorstellung des Babys beim Mund-Kiefer-Gesichts­chirurgen des Spaltteams, der die Eltern berät (oder schon pränatal beraten hat) und die weitere Behandlung plant. Danach fertigt man für Kinder mit einer Spalte des harten Gaumens eine Gaumenplatte an, die den Defekt verschliesst.

Je nach Ausdehnung der Fehlbildung führt man den Primärverschluss der Spalte in einer oder mehreren Operationen meist innerhalb des ersten Lebensjahres durch. Ziel ist neben der anatomischen und funktionellen Wiederherstellung auch ein gutes kosmetisches Ergebnis. Der Verschluss einer Gaumenspalte schafft aber auch die Voraussetzungen für normales Sprechen und eine gute Tubenbelüftung.

Vor der Pubertät oft weitere Operationen nötig

Vor der Einschulung sind die meis­ten Kinder vollständig rehabilitiert. Nur ein Teil der Betroffenen benötigt weitere chirurgische Eingriffe. So brauchen einige Patienten mit Kieferspalten im Alter von etwa zehn bis elf Jahren eine Kieferspalt-Osteoplastik unter Verwendung von Beckenkamm-Spongiosa.

Kinder und Jugendliche sollten jährlich im Spaltzentrum vorgestellt werden, um ihre Entwicklung beobachten zu können. Gegebenenfalls werden dann weitere Massnahmen geplant. Dazu gehören je nach Situation beispielsweise:

  • logopädische Behandlung
  • Kontrollen beim HNO-Arzt und bei Bedarf HNO-Eingriffe
  • kieferorthopädische Behandlung

Im weiteren Verlauf können unter Umständen Korrekturen an Lippe und Nase, die Insertion von Implantaten (bei fehlenden Zähnen) oder eine sprechverbessernde Operation erforderlich werden. Bei deutlicher Grössendiskrepanz von Mittelgesicht und Unter­kiefer helfen kieferverla­gernde Operationen.

Wenn die Spalte zunächst unentdeckt bleibt

Submuköse («verdeckte») Gaumenspalten werden meist spät erkannt. Hinweise sind eine Uvula bifida, eine Kerbe am Hinterrand des harten Gaumens und eine durchscheinende Zone in der Mittellinie des Gaumens (Zona pellucida).

Klinisch macht sich die submuköse Gaumenspalte bemerkbar durch:

  • Fütterungsprobleme und nasalen Reflux bei Säuglingen
  • rezidivierende Mittelohrentzündungen und als Folge davon Schwerhörigkeit
  • Probleme bei der Lautbildung/beim Sprechen (z.B. «Näseln»)

Häufig werden Betroffene in einem Spaltzentrum erst vorgestellt, wenn eine mehrjährige logopädische Behandlung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Die submuköse Gaumenspalte sollte dann wie eine offene operiert werden.