Alzheimer frühzeitig im Blut erkennen
Mangels therapeutischer Optionen macht es bislang wenig Sinn, die Alzheimerkrankheit im präklinischen oder MCI-Stadium nachzuweisen. Durch die Entwicklung präventiv wirksamer Antikörper könnte sich dies jedoch bald ändern.
Nach 50 Jahren Forschung zur Alzheimertherapie ist die Zulassung von Lecanemab in den USA ein «wirklicher Quantensprung», erklärt Prof. Dr. Jens Wiltfang, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (1).
Der Antikörper gegen Protofibrillen aus Beta-Amyloid-Protein kann die Symptomverschlechterung in der Frühphase der Alzheimerdemenz verlangsamen. Weitere «Mabs» werden für diese Indikation gerade geprüft.
Blutbasierte Diagnostik bietet viele Vorteile
Angesichts der zu erwartenden Therapiemöglichkeiten wird es immer wichtiger, eine Demenzentwicklung im Einzelfall vorhersagen zu können. Schliesslich klagen viele ältere Menschen über subjektive kognitive Defizite (SCD) und nicht aus jeder nachgewiesenen leichten kognitiven Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI) resultiert eine Alzheimerdemenz.
Aktuellen Studien zufolge lassen sich kognitive Veränderungen mit Krankheitswert über blutbasierte Biomarker erstaunlich früh feststellen, sagte Prof. Wiltfang. Sie bieten im Vergleich zu anderen Verfahren den Vorteil geringerer Kosten und Invasivität sowie einer niedrigeren Strahlenbelastung.
Vor zwei Jahren haben schwedische Forscher einen Algorithmus zur Vorhersage einer Alzheimerdemenz bei MCI-Patienten vorgestellt, der sich aus vier einfachen Kennwerten zusammensetzt: dem phosphorylierten Tau-Protein (p-Tau) 217 oder 181, dem ApoE-ε4-Genotyp – beide Faktoren sind per Bluttest bestimmbar – sowie zwei simplen psychometrischen Tests zur Messung von Gedächtnisleistung und exekutiver Funktion.
Anhand der Konstellation dieser Parameter liess sich der Übergang in eine Demenz innerhalb von vier Jahren mit hoher diagnostischer Zuverlässigkeit vorhersagen. Die Prädiktion war dabei deutlich besser als die Prognose von Ärzten einer Gedächtnisklinik, basierend auf einer umfassenden Beurteilung der Patienten und struktureller Bildgebung, berichtet Prof. Wiltfang.
p-Tau 217 als Marker für die Degenerationsdynamik
Eine weitere Studie aus dem vergangenen Jahr zeigte die Möglichkeit auf, mithilfe von Biomarkern eine drohende Alzheimerdemenz bei kognitiv asymptomatischen Probanden vorauszusagen. Anhand der Beta-Amyloid-42/40-Ratio im Liquor und von p-Tau 231 konnten Hochrisikopatienten am besten identifiziert werden.
p-Tau 217 ist zudem ein Marker für die Dynamik der Neurodegeneration auch schon im präklinischen Stadium. Dies ermöglicht nach Aussage des Kollegen, die therapeutische Effektivität innovativer, primärpräventiver Ansätze im Verlauf abzubilden.
Unauffällige Biomarker bedeuten zwar, dass kein erhöhtes Risiko für eine Alzheimerdemenz besteht, so Prof. Wiltfang. Die Entwicklung einer anderen Demenzform könne man dadurch aber nicht ausschliessen. Statistisch gesehen sei es in diesen Fällen wahrscheinlicher, dass eine Depression oder grosser psychosozialer Stress zu kognitiven Einbussen geführt hat.
Bislang wird die Alzheimervorhersage mittels Blutbiomarkern nur in der Forschung genutzt. Die Studienteilnehmer verzichten explizit darauf, ihr individuelles Risikoprofil rückgemeldet zu bekommen. Es sei schliesslich auch eine ethische Frage, ob man Menschen bereits 10 oder 15 Jahre vor der wahrscheinlichen Manifestation einer Alzheimerdemenz eine solche Diagnose mitteilt, gibt Prof. Wiltfang zu bedenken.
Präsymptomatisches Screening am Horizont?
Diese Einstellung müsse aber gegebenenfalls überdacht werden, wenn Lecanemab und möglicherweise weitere Substanzen ab dem MCI-Stadium sekundärpräventiv verordnet werden können. Sollte sich herausstellen, dass die Effektivität dieser Medikamente umso besser ist, je früher man sie einsetzt, sei eventuell auch ein Biomarkerscreening in der präsymptomatischen Phase gerechtfertigt.
- 13. Psychiatrie-Update-Seminar, 24. und 25. Februar 2023, Mainz