Medical Tribune
21. Apr. 2023Neuroleptika

Wenn das Neuroleptikum eine Hypothermie auslöst

Neuroleptika sind gut wirksam, können aber die Körpertemperatur herabsetzen. Die meisten Fälle sind dabei für die Wirkstoffe Risperidon und Clozapin bekannt, die z.B. Patienten mit Schizophrenie einnehmen.

Eine Hypothermie nach Neuroleptikagabe hat mit dem Serotonin- oder Dopaminhaushalt zu tun.
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Eine Hypothermie nach Neuroleptikagabe hat mit dem Serotonin- oder Dopaminhaushalt zu tun.

Eine Hypothermie – das Absinken der Körperkerntemperatur unter 35 °C – äussert sich mit starkem Zittern, auch verbunden mit Lethargie. Der Tremor lässt unterhalb von 31 °C nach, was den Wärmeverlust beschleunigt. Bei fortschreitender Hypothermie drohen Verwirrung, Halluzinationen und Koma, in schweren Fällen inklusive Pupillenstarre. Atmung und Herzschlag verlangsamen sich und hören schliesslich auf.

Anfangs besteht Sinusbradykardie, später kommt es zu langsamem Vorhofflimmern, Kammerflimmern oder Asystolie, ist in einer aktuellen Übersichtsarbeit (1) zu lesen.

Präparate wirken an den Rezeptoren unterschiedlich

Im ZNS ist Serotonin (5-Hydroxy­tryptamin, ­5-HT) an der Regulation der Körpertemperatur beteiligt. Je nach Ort und Rezeptortyp trägt der Neurotransmitter zum Anstieg oder zum Abfall bei. Auch Dopaminrezeptoren vom Typ 1 und Typ 2 (D1- und D2-Rezeptoren) spielen beim Aufrechterhalten der Temperatur eine wichtige Rolle. Eine Aktivierung des α2-Adreno­zeptors führt unter anderem zum Absinken der Körpertemperatur; seine Blockade hemmt Vasokonstriktion und Muskelzittern, was eine Hypothermie weiter verstärkt.

Wirkstoffe mit Hypothermie-Bezug

  • Das bereits seit den 1950er-­Jahren eingesetzte Chlorpromazin blockiert post- und präsynaptische D1- und D2-Rezeptoren und antagonisiert Serotonin- und Adrenalinrezeptoren. Obwohl die Substanz kaum noch verwendet wird, wurden der EMA zehn Hypothermiefälle mitgeteilt, ebenso viele wie für ­Thioridazin.
  • Ein weiteres Neuroleptikum aus der Gruppe der Phenothiazine, das Levomepromazin, bewirkt nur eine mässige Blockade der Dop­aminrezeptoren, hemmt aber die zentrale Temperaturregulation. Es kommt auf 39 bei der EMA gemeldete Unterkühlungen.
  • Haloperidol ist als potentes Anti­psychotikum ein starker zentral wirksamer D2-Rezeptor­antagonist. Bei der EMA sind 84 Hypothermiefälle erfasst.
  • Gleichfalls zur Sub­stanzgruppe der Butyrophenone gehört Pipamperon, das eine besonders hohe Affinität zu den 5-HT2-Rezeptoren zeigt. Die EMA hat bis Ende 2022 insgesamt 63 Temperaturabfälle im Zusammenhang mit Pipamperon dokumentiert.
  • Risperidon besitzt eine hohe Wirksamkeit an den serotonergen ­5-HT2- und den dopaminergen D2-Rezeptoren, zudem bindet es an α2-adrenerge Rezeptoren. Eine erniedrigte Körpertemperatur wird in der Fachinformation als seltene Nebenwirkung angegeben (≥ 1/10 000 bis < 1/1000). Die Datenbank der EMA verzeichnet 280 Meldungen.
  • Clozapin zeigt hohe Affinität zum D4-Rezeptor und wirkt stark anti-α-adrenerg, anticholinerg und antihistaminerg. EMA listet 120 Fälle von Hypothermie. Olanzapin, hat einen stärkeren Effekt am ­5-HT2- als am D2-Rezeptor. Insgesamt kommt es selten zu Unterkühlungen, bei der EMA gingen Meldungen über 157 Ereignisse ein. ­Quetiapin interagiert mit einer Vielzahl der Rezeptoren. Offiziell dokumentiert sind 132 Hypothermien.