Medical Tribune
24. Apr. 2024«Fertilitätserhalt in den meisten Fällen möglich»

Kinderwunsch trotz Zervixkarzinom

Leitliniengemäss sollte allen Frauen mit einem Zervixkarzinom im Frühstadium eine fertilitätserhaltende Therapie angeboten werden. Prof. Dr. Michael Mueller, Inselspital Bern, beschreibt, unter welchen Voraussetzungen dies möglich und sinnvoll ist, und wie sich die verfügbaren fruchtbarkeitserhaltende Optionen auf onkologische Prognose und Kinderwunsch auswirken.

Frauen mit einem Zervixkarzinom soll heute nach Möglichkeit eine fertilitätserhaltende Therapie angeboten werden.
Jo Panuwat D/stock.adobe.com

Pro Jahr gibt es rund 260 neu diagnostizierte Fälle von Zervixkarzinomen in der Schweiz. Fast die Hälfte der Neudiagnosen wird hierzulande vor dem 50. Lebensjahr gestellt. Viele der betroffenen Frauen sind damit zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose im fruchtbaren Alter.

«Wird ein Zervixkarzinom im Frühstadium entdeckt, soll der betroffenen Patientin laut geltenden S3-Leitlinien immer eine fertilitätserhaltende Therapieoption angeboten werden», berichtet Prof. Dr. Michael Mueller, Co-Klinikdirektor und Chefarzt Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie am Inselspital Bern (1,2).  

Voraussetzungen für eine fertilitätserhaltende Therapie

Für eine fertilitätserhaltende Behandlung müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, sagt der Experte. Dazu gehört ein vorhandener Kinderwunsch, das Alter der Patientin, ihre Ovarialreserve, und eine realistische Chance auf eine Schwangerschaft.

In Frage kommen ausserdem nur Patientinnen mit auf die Zervix beschränkten, nicht aggressiven und klassischen Karzinomen. Atypische Formen (z.B. neuroendokrines Karzinom, kleinzelliges Karzinom, Melanom) sind hingegen meist zu aggressiv für Therapien mit Organerhalt.

Gründliche Vorbereitung bei der Entscheidungsfindung

Bei diesen Entscheidungen essenziell ist aber auch ein gutes diagnostisches Workup im Vorfeld, so Prof. Mueller. Dazu gehört eine genaue histopathologische Aufarbeitung, einschliesslich

  • Tumorgrösse
  • Invasionstiefe
  • Grading
  • Infiltration der Perineuralscheiden
  • Infiltration der Lymphgefässe

Vor der Konisation sollten zudem ein MRI zur Beurteilung, ob auch die Parametrien (Halteapparat der Gebärmutter) betroffen sind, und ein PET-CT zum Ausschluss von Lymphknotenmetastasen (lymphovascular space involvement, LVSI) durchgeführt werden.

Vorgehen bei Karzinomen im Frühstadium

Bei mikroinvasiven Karzinomen im Stadium IA1 (Stromainvasion ≤ 3 mm) sollte als erstes eine Konisation mittels Zervixkürettage (siehe Kasten) durchgeführt werden, so Prof. Mueller. «Oft reicht das dann als Therapie bereits aus.»

Eine Lymphadenektomie ist in diesen Fällen ohne weitere Risikofaktoren meist nicht notwendig.

Fertilitätserhaltende OP-Techniken im Überblick:

Konisation: Entfernen eines Gewebekegels (Konus) aus der Zervix

Einfache vaginale Trachelektomie (Zervixamputation): Entfernung von rund zwei Dritteln der Zervix und einem schmalen Teil der Scheide, gefolgt von prophylaktischer Cerclage

Radikale vaginale Trachelektomie (RVT): Entfernung von rund zwei Dritteln der Zervix, einem schmalen Teil der Scheide, sowie der Parametrien (Halteapparat der Gebärmutter), gefolgt von prophylaktischer Cerclage

Lymphadenektomie: Entfernung (potenziell) betroffener Lymphknoten

Finden sich allerdings positive Ränder im Konisat (R1, bzw. CIN), wird entweder eine Rekonisation oder eine einfache vaginale Trachelektomie vorgenommen, im Zuge derer bereits vorsorglich eine Permanent-Cerclage angelegt wird.

Bei den anderen Frühstadien (Stadium IA2 oder IA1 mit Lymphgefässinfiltration) empfiehlt sich ebenfalls eine Wide Conisation oder einfache Trachelektomie. Zusätzlich werden aber üblicherweise aber auch die Sentinel-Lymphknoten entfernt (Lymphadenektomie); «denn bisweilen werden kleinere Metastasen im PET-CT nicht erkannt» erinnert der Experte.

Patientinnen weitere Operationen ersparen

Sentinel-Lymphknoten mit positiver ICG-Färbung beim Zervixkarzinom.
Michael Mueller

Oft gibt während der operativen Tumorentfernung oft schon die Fluoreszenzbildgebung mittels Indocyaningrün (ICG) einen Hinweis auf eine Lymphknotenmetastase, wie im obigen Bild dargestellt ist.

In diesen Fällen werden oft schon während der Operation die Sentinel-Lymphknoten per Schnellschnitt untersucht – ein Verfahren, das in einer Untersuchung am Inselspital eine Falschnegativrate von rund fünf Prozent hatte.

«So kann vielen Frauen mit Zervixkarzinomen im Frühstadium eine unnötige radikale Operation erspart werden», sagt Prof. Mueller. Die Lymphknoten können nach dem Schnellschnitt per Ultrastaging weiter untersucht werden.

Vorgehen im Stadium IB

Ist der Tumor etwas grösser (3 mm – 2 cm, Stadium IB1), reicht meist ebenfalls eine Wide conisation oder eine einfache Trachelektomie mit Zervixcerclage aus. In diesen Fällen gilt die Sentinel-Lymphadenektomie aber als dringend erforderlich. Je nach Leitlinien wird zusätzlich eine pelvine Lymphadenektomie empfohlen.

Eine radikale Trachelektomie ist im Stadium IB hingegen heute nur mehr in Spezialfällen (z.B. Stadium IB1 mit LVSI) erforderlich, sagt Prof. Mueller. «Denn die Parametrien sind in diesem Stadium nur selten betroffen.»  In einer aktuellen Übersichtsarbeit an 5.862 Patientinnen (3) erlitten Betroffene im Stadium IB1 sowohl nach Konisation, als auch einfacher Trachelektomie, radikaler Trachelektomie oder Laparotomie kaum Rezidive (2,4-5,2 %).

Haben Betroffene noch etwas grössere Tumoren von 2 bis 4 cm (Stadium IB2) kann ihnen innerhalb von Studien eine neoadjuvante Chemotherapie (NACT) angeboten werden, berichtet Prof. Mueller. Die NACT soll den Primärtumor und mögliche Mikrometastasen verkleinern. So kann oft ein chirurgisches Downstaging erreicht werden. Im Anschluss kann der Tumor dann oft mittels Konisation oder einfacher Trachelektomie entfernt werden.

Im Stadium IB2 ist die Rezidivrate nach einer NACT und anschliessender einfacher Trachelektomie dabei etwas höher als nach einer radikalen (abdominalen) Trachelektomie – dafür gelang in der Übersichtsstudie aber auch die Schwangerschaft bei Frauen mit einfacher Trachelektomie wesentlich häufiger.

Nach einem Zervixkarzinom: Schwangerschaft und Rezidive

Generell haben Patientinnen mit Zervixkarzinomen nach einer fertilitätserhaltenden Chirurgie meist eine hohe Chance auf eine Rezidivfreiheit und Schwangerschaft. Das illustriert unter anderem eine Studie aus dem Jahr 2021 an 48 Patientinnen mit Zervixkarzinomen in den Stadien IA1 mit LVSI bis IB1. Sie hatten eine Konisation oder einfache Trachelektomie erhalten. In dem gemischten Kollektiv wurde ein 5-Jahres-PFS von 97,6 Prozent, und ein Gesamtüberleben von 97,9 Prozent beobachtet. 40 Frauen wurden schwanger.

Der Erhalt der Fertilität gelingt eigentlich in den meisten Fällen, fasst Prof. Mueller die Datenlage zusammen. «Der Anteil an Frauen, die erfolgreich schwanger werden und Kinder zu Welt bringen beläuft sich auf etwa 55 bis 70 Prozent.»

Die entstandenen Schwangerschaften sind dabei umso komplikationsloser, je mehr Zervixgewebe bei den Frauen nach OP noch vorhanden ist. Mögliche Schwangerschaftskomplikationen sind auch nach einem fertilitätserhaltenden Eingriff z.B. Infektionen, Aborte und Frühgeburtlichkeit. «Das sollte man jedenfalls mit den Patientinnen besprechen», so Prof. Mueller.