Medical Tribune
1. Okt. 2015Immuntherapie – eine neue Ära

Genetische Defekte als prädiktive Marker nutzen?

Mit der Immuntherapie beginnt eine neue Ära: Erste klinische Ergebnisse weisen darauf hin, dass Karzinome mit bestimmten genetischen (DNA-)Mutationen, sogenannten MMR-Defekten (mismatch repair deficiencies) besonders gut auf die PD-1-Blockade ansprechen, während Karzinome ohne diesen Defekt keinen substanziellen Benefit von der Behandlung haben.

Damit ist ein erster Schritt getan, nicht mehr einzelne Tumorentitäten, sondern entitätenübergreifend anhand des genetischen Profils zu behandeln. Die wegweisenden Ergebnisse wurden in einer Phase-IIStudie bei nur 71 Patienten generiert.

MMR-Defekt als prädiktiver Marker

Hier zeigte sich, dass Karzinome mit MMR-Defekt deutlich besser auf die Behandlung mit dem PD-1-Inhibitor Pembrolizumab ansprechen als Tumoren ohne diesen genetischen Defekt und dass die MMR-defizienten Patienten von der Behandlung auch längerfristig profitieren (Abstract LBA100). Das Patientenkollektiv setzte sich aus drei Kohorten zusammen: 25 Patienten mit MMR-defizientem kolorektalem Karzinom (CRC) und 25 Patienten mit nicht MMR-defizientem CRC sowie 21 Patienten mit anderen MMR-defizienten Tumoren (kein CRC). Koprimäre Endpunkte waren die Ansprechrate und das progressionsfreie Überleben (PFS) nach 20 Wochen, jeweils bezogen auf die durchgeführte Immuntherapie mit Pembrolizumab.

MMR-Defekte treten besonders häufig beim CRC auf. Es handelt sich um eine genetische Instabilität als Folge einer DNA-Mutation, die dazu führt, dass der MMR-Signalweg nicht mehr funktioniert. Fehler bei der DNA-Replikation können nicht mehr repariert werden, sodass es zu weiteren genetischen Mutationen kommt, speziell im Bereich der repetitiven DNA (sogenannte Mikrosatelliten-Instabilität).

MMR-defiziente Karzinome haben daher eine hohe Rate an Mutationen, weshalb sie theoretisch besonders gut vom körpereigenen Immunsystem erkannt werden können, erläuterte die Studienleiterin Professor Dr. Dung Thi Le, Sidney Kimmel Comprehensive Cancer Center, Baltimore, USA. Ein MMR-defizienter Tumor, so Prof. Le, hat im Mittel etwa 1700 somatische Mutationen im Vergleich zu etwa 70 Mutationen bei nicht MMRdefizienten Tumoren.

Patienten mit MMR-Defekt profitieren

«Vor diesem Hintergrund sind wir davon ausgegangen, dass Tumoren mit MMR-Defekt besonders gut auf die PD-1-Blockade ansprechen», erläuterte Prof. Le. PD-1 ist ein Protein, das die vom Tumor exprimierten Liganden PD-L1 und PD-L2 bindet, und damit verhindert, dass das körpereigene Immunsystem den Tumor als fremd erkennt und angreift. Durch die medikamentöse PD-1-Blockade wird dieser «Tarnmechanismus» aufgehoben und das Immunsystem kann gegen den Tumor aktiv werden.

In der Phase-II-Studie erreichten gut 60% der Patienten mit MMRdefizienten Tumoren – unabhängig von der zugrunde liegenden Tumorentität – eine objektive Tumorrückbildung, aber kein einziger Patient ohne MMR-Defekt. Inklusive der Patienten mit vorübergehender Stabilisierung der Erkrankung profitierten 92% der Patienten mit MMR-defizientem CRC, 70% mit MMR-defizienten Nicht-CRCTumoren (Endometrium, Magen, Prostata, Duodenum, Gallenblase u. a.), aber nur 16% der Patienten ohne MMR-Defekt.

Die Verträglichkeit ist relativ gut

Die durch Pembrolizumab induzierten Tumorrückbildungen bei den MMR-defizienten Patienten hielten vergleichsweise lange und deutlich länger als bei den Patienten ohne MMR-Defekt an, erläuterte Prof. Le. Das mediane PFS und die mediane Gesamtüberlebenszeit (OS) seien hier im Vergleich zu median 2,3 Monaten  (PFS) bzw. 5,0 Monaten (OS) bei den Patienten ohne MMR-Defekt bislang nicht erreicht. Zusätzliche Untersuchungen wiesen darauf hin, so Prof. Le, dass die Mutationslast mit dem Therapieerfolg korreliere.

Die Verträglichkeit der Behandlung mit dem PD-1-Inhibitor bezeichnete die Referentin als «gut». Schwere Nebenwirkungen waren sehr selten. Im Vordergrund stünden Hautveränderungen (Rash, Pruritus: 17%), Pankreatitis (15%) und endokrine Beschwerden (12%).

Professor Dr. Neil Segal, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, USA, der die Ergebnisse kommentierte, wies auf die zukunftsweisende Bedeutung der Ergebnisse für die onkologische Behandlung hin: Das genetische Profil diene als prädiktiver Marker für die Therapieentscheidung. Pembrolizumab müsse beiMMR-defizienten Tumorpatienten weiter evaluiert werden, so Prof. Segal.

51th Annual Meeting of the American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2015, Chicago


PD-1-Blockade bei fortgeschrittenem HCC aktiv

Vielversprechende Phase-I/II-Studienergebnisse (Abstract LBA101) stellte Professor Dr. Anthony El-Khoueiry, Norris Comprehensive Cancer Center der Universität South California, Los Angeles, USA, auch für den PD-1-Blocker Nivolumab bei Patienten mit fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom (HCC) vor. Standard ist hier derzeit die Behandlung mit Sorafenib. Darüber hinaus gibt es keine Standardtherapie.

Das HCC ist häufig mit einer Hepatitis-B/C-Infektion assoziiert und eht mit einer erhöhten PD-1-Expression einher, so Prof. El-Khoueiry. Diese Patienten haben in der Regel eine sehr ungünstige Prognose. Die PD-1-Blockade mit Nivolumab erwies sich hier bei insgesamt 47 Patienten, darunter zwölf Patienten mit Hepatitis-C- und elf mit Hepatitis-B-Erkrankung sowie 24 Patienten ohne zusätzliche Infektion, als gut verträglich und sicher. Nebenwirkungen waren mehrheitlich nur mild bis moderat ausgeprägt (Grad 1–2). Das galt auch für die Patienten mit Hepatitis B/C. Knapp 70% der Patienten sprachen auf die B ehandlung an und erreichten mindestens eine Stabilisierung (48%).
Auch in dieser Studie zeigte sich, dass die Patienten, die auf die PD-1-Blockade ansprechen, vergleichsweise lange profitieren. Nach neun bzw. zwölf Monaten waren noch 70% bzw. 62% der Patienten am Leben.

«Das sind vielversprechende Daten, die wir weiter evaluieren werden», resümierte Prof. El-Khoueiry. «Nivolumab ist möglicherweise eine neue Therapieoption für Patienten mit HCC, die wir dringend benötigen.»