Medical Tribune
1. Juni 2015Anamnese und klinische Untersuchung

Nervenschäden durch Chemotherapie

Typischerweise handelt es sich bei der chemotherapieinduzierten Neuropathie (CIN) um eine sensible axonale Neuropathie mit distal-symmetrischem Befall, schreiben Dr. 
Wolfgang Boehmerle vom Lehrstuhl für Experimentelle Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Kollegen. Je nach onkologischem Behandlungsschema können aber auch autonome bzw. motorische Neuropathien oder eine Demyelinisierung peripherer Nerven auftreten.

Eine CIN lässt sich meist durch eine gezielte Anamnese und klinische Untersuchung inklusive Reflexstatus und Prüfung des Vibrationsempfindens diagnostizieren, ergänzend sollte jedoch auch eine elektrophysiologische Untersuchung stattfinden. Zu den Zytostatikagruppen, die häufig Neuropathien induzieren, zählen Antikörperkonjugate, Platinverbindungen, Proteasominhibitoren, Taxane und Vinca-Alkaloide (siehe Tabelle).

Anpassung des Chemoplans einzig mögliche Prophylaxe

Kausale Behandlungsmöglichkeiten der CIN gibt es bisher nicht. In einer Studie mit 48 Patienten wurde für Venlafaxin eine präventive Wirkung bei Oxaliplatin-Therapie gezeigt, doch sind vor einem breiten klinischen Einsatz weitere Studien erforderlich. Deshalb bleibt derzeit als einzige sicher belegte Strategie zur Vorbeugung der CIN nur die Anpassung des Chemotherapieplans hinsichtlich der Frequenz, der Dosis und des Applikationswegs der neurotoxischen Substanz. Beispielsweise treten bei Bortezomib deutlich seltener Neuropathien auf, wenn die Substanz nicht intravenös, sondern subkutan verabreicht wird.

Bei starken Schmerzen Opioide erwägen

Haben Taxane bzw. Platinkomplexe eine Neuropathie ausgelöst, kann mit Duloxetin eine mässige, jedoch statistisch signifikante Schmerzlinderung erreicht werden. Dies ergab eine Phase-III-Studie mit 231 CIN-Patienten, die eine Woche lang Duloxetin in einer Tagesdosis von 30 mg und anschliessend 60 mg täglich erhalten hatten. Duloxetin war bei Patienten mit einer durch Platinverbindungen ausgelösten Neuropathie erfolgreicher als bei Patienten mit einer CIN durch Taxane.

Ein topisch aufgetragenes Gemisch aus Ketamin, Amitriptylin und Baclofen zeigte in einer Doppelblindstudie mit CIN-Patienten zumindest eine gewisse Symptomlinderung. Auch ein Behandlungsversuch mit Amitriptylin, Gabapentin und Pregabalin kann gerechtfertigt sein, da diese Substanzen bei neuropathischen Schmerzen anderer Genese Erfolge zeigen. Klagen CIN-Patienten über starke Schmerzen, sollte man nach Ansicht der Autoren Opioide erwägen.

Quelle: Wolfgang Boehmerle et al., Nervenarzt 2015; 86: 156-160