Krebs – (k)eine chronische Krankheit?
Inzwischen stehen zahlreiche Therapien zur Verfügung, die es erlauben, Krebserkrankungen zu heilen oder zumindest eine langfristige Kontrolle zu erzielen.Was heisst es aber, eine Krebserkrankung überlebt zu haben? Geht es einfach weiter wie zuvor, oder kommt es zu einschneidenden Veränderungen? Professor Dr. Joachim Weis, Klinik für Tumorbiologie, Freiburg i.Br., berichtete von seinen Erfahrungen.
Im Rahmen der Tagung Psychoonkologie der Klinik Schützen stellte sich der Referent der Frage, wie sich Krebsdiagnose und erfolgreiche Primärtherapie auf das «Leben danach» auswirken. Ganz essenziell dabei ist die Tatsache, dass auch nach den «kurativen » Therapien vielfach ein ungutes Gefühl zurückbleibt. Lauern noch irgendwo im Körper bisher unentdeckte Krebszellen, die nur darauf warten, das Signalzur Vermehrung zu erhalten? Entwickelnsich unbemerkt Metastasendes Primärtumors, die denPatienten von heute auf morgenin die palliative Situation bringen?Man könnte das Leben nach einer Krebsdiagnose gleichsetzen mit dem«Verlust der gesundheitlichen Unschuld». Vor der Diagnose hat mankleineren Befindlichkeitsstörungenin der Regel keine übermässige Bedeutungbeigemessen. Und damitist es für viele Patienten vorbei.Jede neu auftretende gesundheitlicheStörung wird nun kritischanalysiert und kann einen erneutenAusbruch des Tumorleidensbedeuten.Um nicht wertvolle Lebenszeitmit der Angst voreinem Rezidiv zu verschenken, braucht es geeigneteCoping-Strategien. Zielsollte es sein, jeden Tagbewusst zu leben und vonZeit zu Zeit retrospektivzu erkennen, wie viel guteLebenszeit man nach demEinschnitt «Krebs» bereitsverbracht hat.
Psychosoziale Folgeprobleme
Bei allem therapeutischen Optimismus muss man erkennen, dass eine Krebsdiagnose mit nachfolgender Operation, Chemotherapie (und Bestrahlung) nicht spurlos an den Patienten vorübergeht. Viele Patienten werden auch durch eine langfristige medikamentöse Therapie, die der Kontrolle des Tumorleidens dient, immer wieder daran erinnert, dass sie «Krebs haben » und nicht «Krebs hatten». Unmittelbar nach der Primärtherapie weiss ausserdem kein Patient, ob er «nur» überlebt hat, ob er die «magische Fünfjahresmarke» erreicht und dann zu den Langzeitüberlebenden gehören wird. Komplexe und sich über Jahre hinziehende Behandlungsstrategien bleiben häufig nicht ohne körperliche und seelische Folgeprobleme, erklärte der Experte. Als Überlebende bezeichnet man (ehemalige) Krebspatienten nach Abschluss ihrer Primärbehandlung über den gesamten weiteren Verlauf bis zum Tod. Infolge der Krebserkrankung und Krebstherapie können bei den Überlebenden verschiedene körperliche, psychosoziale oder ökonomische Probleme auftreten, welche die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die angemessene Gesundheitsversorgung mit konsequenter Nachsorge und Nachkontrolle, die Spätfolgen der Tumortherapie und potenzielle Zweitkarzinome betreffen. Von Langzeitüberlebenden spricht man, wenn >5 Jahre seit der Diagnosestellung vergangen sind. Prof. Weis listete sehr ermutigende Zahlen und Fakten zum Überleben einer Krebserkrankung auf: n Patienten, die zwischen 2009 und 2010 an Krebs erkrankten, haben im Mittel eine geschätzte relative Fünf- Jahres-Überlebens-Wahrscheinlichkeit von 61% (Männer) bzw. 67% (Frauen). n Die Raten differieren individuell erheblich, abhängig von der Diagnose und vom Erkrankungsstadium. Die deutlichsten Prognose-Verbesserungen wurden in den zurückliegenden 25 Jahren beim Brustkrebs, Darmkrebs und Prostatakrebs erzielt. Er liess allerdings auch keinen Zweifel daran, dass dieses Überleben nicht selten durch erhebliche körperliche und seelische Folgeerscheinungen belastet ist (s. Kasten).
Viele Ängste in den ersten Jahren nach der Diagnose
Bei der Fatigue handelt es sich um eine in Ausprägung und Charakteristik ungewöhnliche Form der Müdigkeit oder Erschöpfung, die mit einem subjektiv empfundenen Mangel an Energie und Antrieb einhergeht und nicht durch Schlaf oder Ausruhen zu beheben ist, sagte Prof. Weis. Aufgrund der ausserordentlich hohen Prävalenz der Fatigue bekommt die Mehrzahl der Patienten die weitreichenden körperlichen, emotionalen und kognitiven Auswirkungen zu spüren. Sie steht auch der Bewältigung des Diagnoseschocks entgegen, weil die Patienten eben nicht weitermachen können wie zuvor. Dementsprechend konnten ein Jahr nach der Diagnose lediglich 63% in den Beruf zurückkehren. In den ersten Jahren nach der Diagnose sehen sich auch viele Patienten mit Rezidivangst (47,3%) und Progressionsangst bzw. Angst vor dem Sterben (26,8%) konfrontiert. Meist vergehen Jahre, bis es zu einer signifikanten Abnahme dieser Ängste kommt. Nach einer Krebsdiagnose geht es nicht nahtlos weiter. Dieser Verlust der «Selbstverständlichkeit von Gesundheit, Funktionalität und Lebensqualität » muss erst bewältigt und Ressourcen müssen mobilisiert werden. Der Arzt sollte sich als Ansprechpartner verstehen – nicht nur als Behandler – er sollte die Patienten als Coach unterstützen, die psychosozialen Aspekte im Auge behalten und bei Bedarf an erfahrene Psychoonkologen weitervermitteln.
Symptombelastung bei Krebspatienten |
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- Fatigue mit einer Prävalenz zwischen 76–99% |
- Schmerzen: 10–79% |
- Funktionseinschränkungen: 10–70% |
- kognitive Einschränkungen: 10–15% |