Medical Tribune
29. Nov. 2025Neue europäische Leitlinie zu chronischem Pruritus

Rezepte gegen den Juckreiz

Chronischer Pruritus ist häufig und kann in Verbindung mit verschiedenen systemischen Erkrankungen vorkommen. Er ist generell schwierig zu behandeln. Bei chronischen Nierenerkrankungen empfiehlt die aktuelle europäische Leitlinie den κ-Opioidrezeptoren-Agonisten Difelikefalin, um den Juckreiz zu mildern.

Frau kratzt sich aufgrund von starkem Juckreiz
Andrey Popov/stock.adobe.com

Bevölkerungsbasierte Studien zeigen: Jede fünfte Person hatte schon mindestens einmal im Leben einen chronischen Juckreiz. Von einem chronischen Pruritus spricht man bei einem intermittierenden oder kontinuierlichen Juckreiz, der mindestens sechs Wochen anhält. Intensität, Lokalisation und Verlauf können ebenso stark variieren wie seine Auswirkungen auf die Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen.

Chronischer Pruritus kann mit zahlreichen dermatologischen und systemischen Erkrankungen assoziiert sein, wie z. B. chronischen Nieren- oder hepatobiliären Erkrankungen, Diabetes mellitus, Infektionen, einer Polycythaemia vera oder neurologischen sowie psychiatrischen Störungen.

Im Frühstadium ist Pruritus ein Symptom der zugrunde liegenden Erkrankung. Bleibt der Juckreiz bestehen, kann er eine Eigendynamik entwickeln, die nicht mehr mit dem Verlauf der Grunderkrankung zusammenhängt. In diesen Fällen gilt chronischer Juckreiz, ähnlich wie chronischer Schmerz, als eigenständiges Symptom oder sogar als eigene Krankheit.

Ungleichgewicht endogener Opidoide spielt eine Rolle

Bei chronischen Nierenerkrankungen tritt Juckreiz vergleichsweise häufig auf. Man spricht von CKD-assoziiertem Pruritus (CKD-aP), früher auch urämischem Pruritus. Daten zeigen, dass bis zu 30 % der Dialyse-Patienten an mässig bis stark ausgeprägtem chronischem Pruritus leiden. Warum es dazu kommt, ist bislang unklar. Verschiedene Ursachen wie eine trockene Haut, eine systemische Mikroinflammation, metabolische Faktoren (z. B. erhöhte Konzentrationen von Kalzium, Magnesium, Parathormon oder Histamin), periphere oder zentrale Nervendysfunktionen oder eine Beteiligung von Opioidrezeptoren scheinen eine Rolle zu spielen. Zudem gibt es Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass urämische Toxine oder Kalzium-Phosphat-Ablagerungen in der Haut mit dem Juckreiz in Verbindung stehen. Daneben gelten Zytokine, insbesondere Interleukin-31, als wichtige Juckreizmediatoren. Neuere Daten deuten darauf hin, dass auch Allantoin eine wichtige Rolle spielen könnte.

Ausserdem beeinflusst ein Ungleichgewicht endogener Opioide die Entstehung von Juckreiz. Hier setzt die Therapie mit Opioidrezeptor-Agonisten und -Antagonisten an. Experimentelle und klinische Beobachtungen haben gezeigt, dass die Aktivierung von μ-Opioidrezeptoren im zentralen Nervensystem Juckreiz auslösen oder verstärken kann. μ-Opioid-Antagonisten blockieren diese Rezeptoren und hemmen den Juckreiz. κ-Opioide wiederum lindern den Juckreiz, wenn sie an κ-Opioidrezeptoren binden. Hautbiopsien von Dialyse-Patienten mit CKD-aP zeigten eine signifikant geringere Expression von κ-Opioidrezeptoren im Vergleich zu nicht betroffenen Patienten, während die µ-Opioidrezeptoren vergleichbar waren. Eine geringere Expression an κ-Opioidrezeptoren bedeutete eine höhere Juckreiz­-Intensität.

Linderung der Intensität, verbesserte Lebensqualität

Difelikefalin ist ein selektiver κ-Agonist. Er ist in der Schweiz zur Behandlung von mittelschwerem bis schwerem Juckreiz erwachsener Patienten mit chronischen Nieren­erkrankungen zugelassen, die regelmässig eine Hämodialyse erhalten. In einer grossen, placebokontrollierten klinischen Studie mit 378 Hämodialyse-Patienten konnte Difelikefalin die Juckreiz-Intensität in einer Dosierung von 0,5 μg/kg Körpergewicht über zwälf Wochen i. v. signifikant verringern. Die Nebenwirkungen waren mild und umfassten in erster Linie Übelkeit und Schwindel. In einer jüngeren japanischen Studie erwies sich Difelikefalin bei Hämodialyse-Patienten mit moderatem bis schwerem CKD-aP sowohl in einer Dosierung von 0,5 μg/kg als auch von 1,0 μg/kg als wirksam, wobei die Patienten die niedrigere Dosierung besser vertrugen. Eine weitere Phase-II-Studie zeigte: Auch die orale Gabe von Difelikefalin (1 mg täglich über zwölf Wochen) verbesserte die Juckreiz-Intensität und die Juckreiz-bezogene Lebensqualität.

Die europäische S2k-Leitlinie empfiehlt daher bei CKD-assoziiertem Pruritus den Einsatz von Difelikefalin.1 Ergänzend raten Experten dazu, auch μ-Opioidrezeptor-Antagonisten (z. B. Nalmefen, Naloxon, Naltrexon) sowie weitere κ-Opioid-Agonisten wie Nalfurafin oder Nalbuphin in die Therapieüberlegung einzubeziehen.

Generell ist bei chronischem Pruritus ein individuelles Behandlungskonzept erforderlich, das sowohl das Alter der Patienten, bestehende Grunderkrankungen und Medikationen als auch die Art, Qualität und Intensität des Juckreizes berücksichtigt. Ältere Menschen, Schwangere und Kinder benötigen dabei besondere Aufmerksamkeit. Experten empfehlen bei der Behandlung ein stufenweises Vorgehen. Zunächst stehen allgemeine therapeutische Massnahmen im Vordergrund, allen voran eine gute Basispflege mit Feuchtigkeitscremes. Für die Behandlung des CKD-assoziierten Pruritus zeigten auch andere Wirkstoffe eine in kontrollierten Studien nachgewiesene, antipruriginöse Effekte. Hierzu zählen z. B. Gabapentin (300 mg 3 × pro Woche nach Dialyse), Pregabalin (50 mg jeden zweiten Tag), Capsaicin (3–5 × pro Tag), Sertralin (initial 25 mg/Tag) oder Montelukast (10 mg/Tag).