Medical Tribune
23. Nov. 2025Geheimnisvolle Krankheitsentstehung

Ist die Fibromyalgie eine Autoimmunerkrankung?

Die Fibromyalgie ist und bleibt eine rätselhafte Erkrankung. Über ihre Pathomechanismen wird immer wieder diskutiert, wobei auch neurologische oder psychische Ursachen im Raum stehen. Zahlreiche neuere Hinweise deuten allerdings auf ein autoimmunes Geschehen.

Frau mit Schmerzen im Schulterbereich, Fibromyalgie
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Bei der Frage, ob es sich bei der Fibromyalgie um eine Autoimmunerkrankung handelt, scheiden sich die Geister.

Gegen diese Hypothese spricht, dass sich trotz subklinischer Inflammation kein Gewebeschaden nachweisen lässt. Zudem können weder Biologika noch Immunsuppressiva die Beschwerden lindern, lautet ein weiteres Argument. Doch diejenigen, die von einem autoimmunen Geschehen als Krankheitsauslöser ausgehen, können immer mehr und immer überzeugendere Belege für ihre Auffassung anführen, meinte Prof. Dr. ­Andreas Goebel­ von der Universität Liverpool­.

Fibromyalgie lässt sich durch Antikörper übertragen

So isolierten Forscher in einer britisch-schwedischen Studie Immunglobulin G aus dem Blut gesunder Menschen und aus dem von Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS). Anschlies­send injizierten sie die Antikörper in Labormäuse. Nager, die IgG von FMS-Kranken erhalten hatten, entwickelten typische Fibromyalgie­symptome wie erhöhte Schmerzempfindlichkeit gegenüber Kälte, Wärme oder mechanische Reize, berichtete Prof. Goebel­ als Erstautor der Studie­.

Ausserdem gingen bei diesen Tieren Greifkraft und Aktivität zurück. Damit sei bei der Fibromyalgie ein typisches Merkmal einer Autoimmunerkrankung erfüllt, so der Referent: eine durch IgG-Autoantikörper verursachte Symptomatik. IgG aus gesunden Kontrollpersonen und Serum, aus dem die IgG entfernt worden waren, lösten bei damit behandelten Labortieren weder die typischen Beschwerden noch Gewebeveränderungen aus.

Bei den histologischen Untersuchungen der mit IgG von FMS-Kranken behandelten Mäuse zeigte sich zudem, dass die Dichte der Nervenfasern in der Haut verringert war. Ausserdem banden die IgG spezifisch an periphere Gliazellen. Doch nicht nur Glia-, auch Mastzellen sind offenbar ein Ziel der IgG, wie Prof. Goebel anhand der Ergebnisse einer anderen Studie zeigte (Daten in Publikation).

Plasmapherese besserte Funktion und Lebensqualität

Zwei weitere, unter Begutachtung bzw. in Vorbereitung stehende Arbeiten befassen sich mit neuen Optionen bei Fibromyalgie. In beiden Studien steht ebenfalls Immunglobulin G im Fokus. In der ersten Arbeit wurde bei drei Betroffenen mittels Plasmapherese das IgG um durchschnittlich 75–80 % reduziert. Dadurch besserten sich Funktion und Lebensqualität, nicht aber die Schmerzen. Das ist das Gegenteil dessen, was man sonst sieht, sagte Prof. Goebel­. Viel häufiger würden sich die Schmerzen bessern, während Funktionalität und Lebensqualität unverändert bleiben.

Eine Forschungsgruppe um Prof. Goebel­ prüfte wiederum, inwieweit die Blockade des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn) bei Fibromyalgie hilfreich ist. Der FcRn-Blocker Rozanolixizumab reduzierte in einer Phase-IIa-Studie bei schwerer Fibromyalgie das IgG um 60 % und wirkte signifikant besser als Placebo.

Die vordefinierten Benchmarks wurden allerdings nicht erreicht. Sollte es trotzdem zur klinischen Entwicklung der Substanz zum einsatzfähigen Medikament kommen, könnte sie das erste Biologikum für die Behandlung des Fibromyalgiesyndroms werden, so der Referent.

Verlust der B-Zell-Toleranz durch Stressoren?

IgG scheinen also bei Fibromyalgie eine wichtige Rolle zu spielen. Zahlreiche Studien stützen diese Annahme, indem sie auf fehlregulierte B-Zellen als zentrale Krankheitsursache hinweisen. Eine ebenfalls noch unpublizierte Studie scheint diese Hypothese einer verlorenen B-Zell-Toleranz zu bekräftigen.

Faktoren, die den Verlust oder die Verringerung der B-Zell-Toleranz begünstigen, gibt es laut Prof. Goebel­ viele. Dazu gehören:

  • starker, wiederholter Stress
  • genetische Disposition
  • möglicherweise Medikamenten­toxizitäten, z. B. durch Fluorchinolone
  • Infekte

Eine kürzlich publizierte Studie hebt zudem die mögliche Rolle des Darmmikrobioms hervor. In dieser Untersuchung waren fäkale Mikrobiota von Fibromyalgiepatientinnen auf Mäuse übertragen worden, die daraufhin die typischen Symptome entwickelt hatten. Prof. Goebels­ Fazit zur Suche nach den Ursachen der Fibromyalgie: Es bleibt spannend!