Medical Tribune
3. Nov. 2025Aktueller Standard ultralangwirksame Basalinsuline oder koformuliertes Insulin

Insulinmangel erkennen und behandeln

Beim Typ-2-Diabetes stellt sich früher oder später meist die Frage nach einer Insulintherapie. Doch wie lässt sich ein Insulinmangel zuverlässig identifizieren – und wie kann Insulin dann bestmöglich eingesetzt werden? Professor Dr. Roger Lehmann, Leitender Arzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung des Universitätsspitals Zürich, beschrieb an einer Fortbildung* einen strukturierten Leitfaden.

Person mit Diabetes stellt am Insulinpen die korrekte Insulindosis für die Injektion ein.
Orawan/stock.adobe.com

Aufgrund der progressiven Natur des Typ-2-Diabetes ist bei vielen Patienten die Insulintherapie ab einem bestimmten Moment unausweichlich. «Mit zunehmendem Alter und Diabetesdauer sinkt die Insulinproduktion – und die können Sie auch nicht mehr erhöhen», erläuterte Prof. Lehmann.

Die Stellschraube, an der sich aber drehen lasse, sei die Insulinempfindlichkeit. «Diese kann durch Gewichtsverlust und körperliche Aktivität gesteigert werden. Leichter fällt dies im Stadium des Prädiabetes als bei einem manifesten Diabetes.»

Gleichzeitig können Metformin, SGLT2-Hemmer und GLP1-Agonisten die glykämische Kontrolle verbessern. Liegt aber ein Insulinmangel vor, ist Insulin die beste Therapie, so Prof. Lehmann.

Wann an einen Insulinmangel denken?

Hinweise auf einen Insulinmangel sind etwa:

  • Sehr hohes HbA1c (z.B. > 10%)
  • Polydipsie, Polyurie, ungewollter Gewichtsverlust
  • Verdacht auf Typ-1- oder spezifische Diabetesformen (die ebenfalls meist eine Insulintherapie erfordern)

Pragmatisch fasst der Experte zusammen: «Wenn HbA1c trotz einer Triple-Therapie aus Metformin, SGLT2-Hemmern und GLP-1-Rezeptoragonisten nicht ausreichend sinkt, braucht es wahrscheinlich Insulin.»

Doch kein Typ-2-Diabetes?

Besonders wichtig sei bei einem Verdacht auf einen Insulinmangel die Frage, ob hinter dem «Typ-2-» in Wahrheit nicht doch ein Typ-1-Diabetes stecken könnte. Das ist laut dem Experten bei rund 6 % der als Typ 2 diagnostizierten Patienten mit Diabetes der Fall. Typische Warnsignale sind die Abwesenheit von metabolischem Syndrom, Dyslipidämie und Adipositas.

Bei klinischem Verdacht auf einen Typ-1-Diabetes empfiehlt Prof. Lehmann die Messung der Autoantikörper Anti-GAD, Anti-IA2 und Anti-ZnT8 (Cave: 5-10% sind negativ auf Autoantikörper und haben dennoch einen Typ-1-Diabetes).

Eine weitere mögliche Fehldiagnose sind spezifische Diabetesformen wie der Typ 3c. Liegen zusätzliche Hinweise vor, wie eine vorangegangene chronische Pankreatitis oder Hämochromatose, sollte eine Abklärung mittels Stuhl-Elastase-1 bzw. Ferritin/Transferrinsättigung erfolgen.

Bei der Diagnostik eines Insulinmangels bietet die C-Peptid-Bestimmung Orientierung. Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne Insulinmangel haben typischerweise erhöhte C-Peptid-Werte von deutlich über 600 pM. Im Grenzbereich zwischen 200 und 600 pmol ist bei Patienten mit einem Typ-2-Diabetes hingegen ein Insulinmangel denkbar. Ist das C-Peptid hingegen auf < 200 pmol/l erniedrigt, deutet dies stark auf das Vorliegen eines Typ-1-Diabetes hin.

Prof. Lehmann empfiehlt ausserdem das C-Peptid/Nüchternglukose-Verhältnis (CGR), das auch gut mit dem HOMA-Beta-Index korreliert. Ein CGR von <40 lässt auf einen Insulinmangel schliessen, ein Wert von >100 auf eine massive Insulinresistenz.

Ultralangwirksame statt langwirksame Basalinsulinen

Prof. Lehmann betonte, dass sich das Insulin-Management in den vergangenen Jahren deutlich verändert habe. Mittlerweile haben sich die ultralangwirksamen Basalinsuline (Insulin glargin U300/Toujeo bzw. Insulin degludec/Tresiba) gegenüber den klassischen langwirksamen (Insulin glargin U100/Lantus bzw. Insulin detemir/Levemir) durchgesetzt. Grund dafür ist eine deutlich geringere Hypoglykämierate – je nach Vergleich um rund 30-50%.

Eine Alternative zur klassischen Basis-Bolus-Therapie ist das koformulierte Insulin (Ryzodeg). Es besteht aus 30% Insulin aspart (NovoRapid) und 70% Insulin degludec (Tresiba). Eine Insulintherapie bestehend aus zweimal täglich appliziertem Ryzodeg zeigte sich in Studien gegenüber der Basis-Bolus-Therapie hinsichtlich der HbA1c-Senkung nicht unterlegen – bei gleichzeitig geringerem Risiko für nächtliche Hypoglykämien und einer geringeren Gesamtdosis. Sinnvoll ist Ryzodeg laut Prof. Lehmann daher insbesondere bei Adhärenzproblemen aufgrund von Schwierigkeiten mit der komplexeren Basis-/Bolus-Therapie.

Andere Antidiabetika wie Metformin, SGLT2-Hemmer, DPP4-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonisten sollten sowohl unter ultralangwirksamem Basalinsulin als auch unter koformuliertem Insulin weitergeführt werden.

Fallbeispiel: Insulinmangel steckte hinter hohen HbA1c-Werten trotz Therapie

Prof. Lehmann berichtete von einem 62-jährigen Patienten mit 18 Jahren Diabetesdauer, einem BMI von 24,8 und HbA1c 13,9, sowie einer Nüchternglukose von 12,0 mM – trotz SGLT-2-Hemmern und Metformin. Zusätzlich war der Vibrationssinn am 1. Metatarsophalangealgelenk reduziert, und der Patient fühlte sich müde. Eine leichte Erniedrigung der GFR und eine leichte Mikroalbuminurie deuteten auf einen Endothelschaden, leicht erhöhte Triglyzeride (2,0 mM) auf einen Insulinmangel hin.

Eine Autoantikörperbestimmung verlief mit negativem Befund. Das Nüchtern-C-Peptid des Patienten lag bei einem Wert von nur 350 pmol/l, und auch die Stimulation mit Glukagon brachte nur einen geringen Anstieg. Das C-Peptid-Glukose-Verhältnis sprach mit einem Wert von 29 ebenfalls für einen Insulinmangel.

Laut Prof. Lehmann sind die Therapieoptionen in so einem Fall entweder 10 – 15 E ultralangwirksames Basalinsulin, oder 1-2 x täglich koformuliertes Insulin, je nach Mahlzeitenprofil (entweder 2x 10 E oder 1x 15E). SGLT-2-Hemmer und Metformin sollen fortgeführt werden.

Einmalwöchentliches Insulin zugelassen, aber noch nicht verfügbar

In der Schweiz bereits zugelassen, aber noch nicht verfügbar, ist das einmal wöchentliche Insulin icodec (Awiqli). In der Zulassungsstudie erreichte es tiefere HbA1c-Werte als Lantus – ohne signifikant mehr schwere Hypoglykämien. Der Start erfolgt mit 70 Einheiten pro Woche.