Medical Tribune
2. Nov. 2025Variabilität der Herzfrequenz im Schlaf

HRV-Veränderungen als frühe Marker für Schlaganfall und Depression

Bestimmte Muster der nächtlichen Herzfrequenzvariabilität (HRV) können auf spätere neurologische und psychiatrische Erkrankungen hinweisen – selbst bei Menschen ohne offensichtliche Schlafstörungen. Das belegen neue Daten aus der Schweiz.

Schlafende Frau mit Smartwatch
Andrey Popov/stock.adobe.com

Die prospektive Analyse, durchgeführt an der Neurologie-Klinik des Inselspitals Bern und präsentiert beim Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Neurologie, umfasste 4.170 Teilnehmer mit einer Beobachtungszeit von insgesamt 13.217 Personenjahren.

Das Ergebnis: Bestimmte HRV-Muster im Schlaf stehen in deutlichem Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfall, Depression, kognitive Störungen sowie metabolische, kardiovaskuläre und endokrine Erkrankungen.

Spiegel der autonomen Regulation

Die Herzfrequenzvariabilität beschreibt die Schwankung der Zeitabstände zwischen Herzschlägen und gilt als sensibler Indikator für die Aktivität des autonomen Nervensystems (2).

Tagsüber sinkt die HRV durch die gesteigerte Aktivität und den erhöhten Sympathikustonus. Nachts, besonders im Tiefschlaf, steigt sie im Rahmen des «Rest-and-Repair»-Modus an.

«Die HRV ist entscheidend für die Gehirn- und Allgemeingesundheit, da sie die Funktion der autonomen Regulation widerspiegelt», erläuterte Erstautorin Dr. Irina Filchenko. «Das autonome Nervensystem steuert lebenswichtige Prozesse wie Atmung, Verdauung und Muskeltonus und passt den Körper an innere und äussere Anforderungen an.»

Die Analyse zeigte unterschiedliche HRV-Muster für verschiedene Erkrankungen:

  • Schlaganfall: Betroffene wiesen zuvor eine ungewöhnlich hohe und unregelmässige HRV.
  • Depression: Eine anhaltend niedrige HRV war typisch.
  • Metabolische Erkrankungen: Auffällig war eine hohe HRV mit veränderten Frequenzmustern.
  • Kardiovaskuläre und endokrine Erkrankungen: Auch hier zeigte sich eine erhöhte HRV.

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass HRV-Veränderungen subtile Funktionsstörungen abbilden können, die lange vor klinischen Symptomen unentdeckt bleiben.

Neue Perspektive auf Schlafqualität

Bemerkenswert: Auch Teilnehmer mit «normalem Schlaf» – d. h. ohne Fragmentierung und mit erwarteter Verteilung der Schlafstadien – zeigten pathologische HRV-Muster, die auf ein erhöhtes Risiko hinwiesen. «Das verdeutlicht, dass HRV eine zusätzliche Dimension für die Definition und Beurteilung von Schlafqualität liefert», so Dr. Filchenko.

Die Forscher sehen in der Messung der Herzfrequenzvariabilität Chancen für Prävention und frühzeitige Intervention – etwa bei der Alzheimer-Erkrankung oder beim Schlaganfall, wo der Nutzen rechtzeitiger Therapien besonders gross ist. Ausserdem eröffnen sich Perspektiven für den Einsatz tragbarer Sensorik. Zwar sind aktuelle Konsumgeräte in Genauigkeit und Validierung limitiert, doch könnten künftige technologische Entwicklungen die kontinuierliche HRV-Überwachung in die klinische Routine integrieren.

Die Studie stärkt die Evidenz, dass Schlaf nicht als passiver Ruhezustand zu verstehen ist, sondern als aktiver neurobiologischer Prozess, der entscheidend für die langfristige Hirngesundheit ist. «Unsere Daten sprechen dafür, dass primäre Prävention eine Schlüsselrolle spielt und pathologische Entwicklungen häufig lange vor dem Auftreten klinischer Symptome beginnen», schloss Dr. Filchenko.