Reisediarrhö: Helfen Probiotika?
Probiotika erleben seit einigen Jahren einen regelrechten Boom. Die Branche rechnet für 2025 mit einem weltweiten Umsatz von mindestens 70 Milliarden US-Dollar. Doch halten Probiotika, was sie versprechen – etwa bei der Reisediarrhö? Genau dieser Frage widmete sich PD Dr. Esther Künzli in ihrem Vortrag beim FomF-WebUp-Expertenforum für Infektiologie.

10–40 % aller Reisenden leiden auf einer Reise unter Diarrhö. Foto: Pavel – stock.adobe.com
«Der Markt von Probiotika ist riesengross», so PD Dr. Künzli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. «Man gibt weltweit etwa gleich viel Geld für Probiotika aus wie für Impfungen.» Und das, obwohl die Evidenz für ihre Wirksamkeit nicht sonderlich überzeugt, während der Nutzen von Impfungen gut belegt ist.
Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die einen gesundheitlichen Nutzen für den Wirt haben, wenn sie in ausreichender Menge verabreicht werden. Dazu gehören Laktobazillen, Bifidobakterien und die Hefe Saccharomyces boulardii.
Neben Probiotika gibt es auch noch weitere ähnliche Substanzen, wie Prä-, Post- und Synbiotika. Präbiotika sind natürliche Nahrungsbestandteile, die das Wachstum nützlicher Darmbakterien fördern. Bei Postbiotika handelt es sich Stoffwechselprodukte oder abgetötete Mikroorganismen, die die Darmbarriere und Abwehrkräfte stärken. Synbiotika sind eine Kombination aus Pro- und Präbiotika, die synergistisch wirken können.
Verbesserung der Mikrobiom-Homöostase
«Das Interessante an Probiotika ist, dass sie in unterschiedlicher Form zugelassen sein können, nämlich als Nahrungsmittelbestandteile (z. B. in Joghurt oder Kefir), Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente», erklärte die Reisemedizinerin. In den letzten zehn Jahren erlebte die Probiotika-Forschung einen enormen Aufschwung. Über 50.000 Studien zu Probiotika, darunter etwa 2.000 randomisierte kontrollierte Studien, wurden veröffentlicht.
Mittlerweile gibt es laut Referentin praktisch kein Gesundheitsthema, zu dem noch keine Probiotika-Studie vorliegt. Die häufigsten Indikationen von Probiotika bleiben jedoch gastrointestinale Beschwerden, z. B. eine Reisediarrhö, die Antibiotika-assoziierte Diarrhö, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder ein Reizdarmsyndrom.
«Es geht vor allem um eine Verbesserung der Mikrobiom-Homöostase», so die Expertin. Probiotika konkurrieren mit pathogenen Keimen um Nährstoffe und den Platz im Gastrointestinaltrakt und hemmen so deren Wachstum. Daneben setzen sie bestimmte Stoffe frei, die das pathogene Keimwachstum direkt bremsen. Zudem modulieren Probiotika die Immunantwort, stärken die gastrointestinale Barriere und liefern den «guten» Mikroorganismen Energie.
Heterogene Studienlage erschwert klare Empfehlungen
Zur Wirksamkeit von Probiotika präsentierte die Referentin verschiedene Studienergebnisse. Ein Cochrane-Review zeigte beispielsweise eine moderate Evidenz, dass Probiotika die Inzidenz von Antibiotika-assoziierter Diarrhö bei Kindern signifikant senken können. «Das galt v. a. für hohe Dosierungen über 5 Milliarden koloniebildender Einheiten (KBE) pro Tag», so die Referentin. Bei einer persistierenden Diarrhö bei Kindern war die Evidenz hingegen sehr schwach. Und bei der Behandlung von akuten infektiösen Diarrhöen hatten Probiotika überhaupt keinen Effekt.
Dennoch lassen sich Probiotika bei akuter infektiöser Diarrhö nicht als völlig wirkungslos abtun. «Wir wissen jedoch weder, wie stark der Effekt tatsächlich ist, noch welche Stämme wirklich wirksam sind», erklärte die Expertin. Ein Grund dafür: In den Studien kommen sehr unterschiedliche Kombinationen und Dosierungen von Probiotika zum Einsatz.
Einsatzgebiet Reisediarrhö
10–40 % aller Reisenden haben auf einer Reise Durchfall. Jüngere Menschen entwickeln dabei eher eine Reisediarrhö als ältere. Weitere Risikofaktoren sind die Reisedauer, die Reisedestination, die Reiseart sowie die Einnahme von Protonenpumpen-Inhibitoren. In der Schweiz sind aktuell vier Probiotika-Medikamente zur Behandlung einer Diarrhö zugelassen: Perenterol® (Saccharomyces boulardii), Bioflorin® (Enterokokken), Lactoferment® und Lacteol® (beide Laktobazillen). Bioflorin® ist davon das einzige, das auch zur Prävention zugelassen ist.
Eine Metaanalyse zur Prävention von Reisediarrhö konnte insgesamt einen leichten protektiven Effekt über alle Probiotika hinweg nachweisen. Eine signifikante Wirksamkeit gab es nur für Saccharomyces boulardii, vor allem in höheren Dosierungen. Für Bakterienstämme wie Laktobazillen oder Bifidobakterien war der Nutzen nicht konsistent. «Um Probiotika zur Prävention von Reisediarrhö zu empfehlen, ist die Evidenz ungenügend», so die Expertin. Falls überhaupt, würde sie am ehesten Präparat mit Saccharomyces boulardii in Betracht ziehen. «Ich verschreibe praktisch nie Probiotika, aber gesunden Leuten, die diese regelmässig auf Reisen nehmen, würde ich sie nicht ausreden», verriet PD Dr. Künzli.
Loperamid im Vorteil gegenüber Probiotika
Auch bei der Behandlung einer Reisediarrhö zeigen Studien keinen signifikanten Vorteil von Probiotika gegenüber Placebo. Vergleichsstudien mit Loperamid belegen klar dessen Vorteil gegenüber Probiotika. Loperamid schnitt in allen Endpunkten besser ab als Saccharomyces boulardii, beispielsweise bei der Diarrhö-Dauer oder bei der Zeit bis zur Rückkehr zu geformtem Stuhl.
Auf die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Durchfall mit Loperamid zu behandeln, bezog die Referentin klar Stellung: «Auch wenn es grundsätzlich besser ist, ohne Loperamid auszukommen, ist das auf Reisen oft nicht praktikabel. Wichtig ist, das Medikament langsam aufzudosieren und eine Tageshöchstdosis von 12 mg nicht zu überschreiten, da es sonst stark motilitätshemmend wirkt.» Zudem betonte sie, dass Loperamid bei Fieber, blutigem Stuhl oder ausgeprägten Bauchschmerzen kontraindiziert ist.
Was nichts nützt, schadet auch nicht: Gerade im Zusammenhang mit Probiotika sei das ein häufiges Argument. Tatsächlich sind Probiotika in der Regel zwar gut verträglich, aber dennoch nicht frei von Risiken: Bei Immunsupprimierten können sie z. B. systemische Infektionen wie Bakteriämien, Fungämien oder eine Sepsis verursachen. «Das ist natürlich nicht das, was man sich wünscht – vor allem, da man das Präparat eigentlich zur Verhinderung einer Erkrankung einnimmt», bemerkte PD Dr. Künzli.
Probiotika können auch allergische Reaktionen auslösen und – theoretisch – bei anfälligen Personen autoimmune Prozesse fördern. Ausserdem bestehen laut Referentin Bedenken bezüglich einer Weiterverbreitung von Antibiotika-Resistenzen, da gewisse als Probiotika verwendete Bakterien Resistenzgene tragen, die sie u. U. an pathogene Keime weitergeben könnten. «Neben diesen bekannten Nebenwirkungen gibt es aber ein weiteres Problem: das Underreporting», kritisierte die Expertin. Ein systematisches Review hat gezeigt, dass viele Studien nur unzureichend von Nebenwirkungen berichten bzw. diese gar nicht rapportieren.
Das eigene Mikrobiom natürlich unterstützen
PD Dr. Künzli plädierte abschliessend dafür, das eigene Mikrobiom mit einer probiotikafreundlichen Ernährung mit fermentierten Lebensmitteln (z. B. Joghurt, Kefir, Sauerkraut) und präbiotikareichen Ballaststoffen auf natürliche Weise unterstützen. «Wenn man etwas für sein Mikrobiom machen möchte, lieber über die Ernährung als über eine Einzelsubstanz.»
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