Mit Diabetes hinter dem Steuer
Welche Diabetes-Patienten dürfen ein Fahrzeug führen, und wie können sie eine Hypoglykämie während der Fahrt vermeiden? Beim Frühjahrskongress der SGAIM erläuterte ein Diabetologe die neue Schweizer Guideline (1).

In den letzten Jahren hat sich die Behandlung von Diabetes mellitus verändert – mit Folgen für die Fahreignung und Fahrfähigkeit der Patienten, erklärte Prof. Dr. Roger Lehmann, leitender Arzt der Klinik für Endokrinologie, Diabetes und Klinische Ernährung am Universitätsspital Zürich.
Zu den Neuerungen zählen Systeme zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGMS), die fast 300 Werte pro Tag liefern. In der Schweiz nutzen etwa 40 bis 50 Prozent der Typ-1-Diabetiker diese Technologie. Hybride Closed-Loop-Insulinpumpen, die mit CGMS arbeiten, passen die Insulinzufuhr automatisch an. Das reduziert schwere Hypoglykämien, Hyperglykämien und die Schwankungen des Blutzuckerspiegels.
Schwere Hypoglykämie als grösster Risikofaktor
Nachdem die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie ihre Richtlinien bezüglich Fahreignung und Fahrfähigkeit bei Diabetes mellitus letztmals im Jahr 2017 aktualisiert hatte, war es nun Zeit für ein erneutes Update, so der Referent. Die Fahreignung ist eine ärztliche Einschätzung und bezeichnet die generelle Eignung, unabhängig von der Zeit oder der konkreten Situation zu fahren. Die Fahrfähigkeit hingegen unterliegt der Verantwortung des Patienten und beschreibt die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeugs zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einer bestimmten Situation, basierend auf der aktuellen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.
Die wichtigsten Risikofaktoren für Unfälle bei Patienten mit Diabetes mellitus sind schwere Hypoglykämien, hohe HbA1c-Werte und Komplikationen wie eine schwere diabetische Retinopathie mit Visusverlust oder eine schwere diabetische Neuropathie mit Verlust der Sensibilität. Dabei ist die schwere Hypoglykämie der bedeutendste Aspekt. Bei der Abschätzung des Hypoglykämie-Risikos sind die Wirkstoffklasse der eingenommenen Medikamente sowie die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Hypoglykämie durch den Betroffenen entscheidend (s. Abb.). Aus der Risikokategorie ergeben sich eine allfällige Notwendigkeit für eine fachärztliche Beurteilung, die Intensität der Messungen, die der Patient während des Fahrens durchführen muss, sowie die Fahreignung für professionelle Chauffeure (Lastwagen, Bus, Taxi).
Keine Fahrt ohne Blutzuckermessgerät
Daneben gelten folgende Grundsätze für das Fahren unter einem Hypoglykämie-Risiko:
- Kohlenhydrate (z. B. Energieriegel, Glukose-Tabletten, Süssgetränke wie Coca Cola) müssen im Auto vorhanden sein und sind bei der Entwicklung einer Hypoglykämie zu konsumieren.
- Bei Fahrten von über einer Stunde ist etwas zum Essen im Auto mitzuführen (z. B. Früchte, getrocknete Früchte, Riegel).
- Ein Blutzucker-Messgerät muss im Auto vorhanden sein (selbst wenn der Patient CGMS nutzt).
- Der Patient muss sich an die üblichen Essenzeiten halten.
- Kein Konsum von Alkohol während des Fahrens, weil dieser die Hypoglykämie-Wahrnehmung verschlechtert und somit das Risiko erhöht.
Falls ein Patient Symptome einer Hypoglykämie während des Fahrens verspürt, muss er sofort anhalten, den Warnblinker stellen und ausreichend Kohlenhydrate konsumieren. Verschwinden die Hypoglykämie-Symptome und beträgt der Glukose-Wert nach einer Wartezeit von 45 Minuten > 5 mmol/l, darf der Patient weiterfahren.
Ärzte, Diabetes- und Ernährungsberater sollten regelmässig mit Patienten über das Risiko des Fahrens unter einer Hypoglykämie reden. Dabei sind auch Massnahmen zur Prävention einer Unterzuckerung zu besprechen. Prof. Lehmann wies darauf hin, dass man Diabetes-Patienten im Hinblick auf ihre Vorgeschichte und das damit verbundene Risikopotenzial beim Autofahren individuell beurteilen sollte.
Kontrollintervalle liegen in ärztlicher Kompetenz
Eine der Neuerungen in der überarbeiteten Version der Richtlinien betrifft das HbA1c. Ist dieses > 10 %, kann der Patient keinen Fahrausweis bekommen. Für professionelle Chauffeure beträgt diese Grenze sogar > 8,5 %. Diese Regelung könnte eine Motivation für Patienten darstellen, ihr Diabetes-Management durch die Anwendung von CGMS bzw. hybriden Closed-Loop-Insulinpumpen oder die zusätzliche Gabe von Insulin (bei Typ-2-Diabetes) zu verbessern, so der Referent.
Es liegt in der Kompetenz des behandelnden Arztes, die Kontrollintervalle für jeden Patienten individuell festzulegen. Es gilt der Grundsatz: je besser die Blutzucker-Kontrolle, desto länger das Intervall. In der aktualisierten Richtlinie geben die Autoren Empfehlungen für verschiedene Konstellationen.
Wie oft die Fahreignung bei Diabetes überprüft werden soll
Wie häufig ein Betroffener eine diabetologische, ophthalmologische oder rechtsmedizinische Beurteilung erhalten soll, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Typ und Dauer der Erkrankung, Medikamente und Qualität des Diabetes-Managements (schwere Hypoglykämien).
- Lehmann R et al. Swiss recommendations on driving ability in patients with diabetes mellitus. Swiss Med Wkly. 2025; 155: 4665. doi: 10.57187/s.4665.