Eine Penicillin-Allergie zu hinterfragen, zahlt sich aus
Vermerke über eine vermeintliche Penicillin-Allergie in der Krankenakte sind weit verbreitet. Sie stimmen in 90 % der Fälle nicht und gehen mit einem erhöhten Einsatz von Breitbandantibiotika sowie schlechteren Behandlungsergebnissen einher. Eine Studie ging der Frage nach, wie sich eine strukturierte Abklärung auswirkt.

Weniger als 10 % der Patienten mit einer vermeintlichen Penicillin-Allergie stellen sich tatsächlich als allergisch heraus.
Millionen von Menschen haben damit aufgrund falscher Kennzeichnung eingeschränkten Zugang zu Penicillinen. Dadurch kommt es zu vermehrtem Einsatz von Breitband- und Reserveantibiotika, einem höheren Risiko für Therapieversagen sowie zu Nebenwirkungen und Resistenzen.
Bei ALABAMA (Allergy Antibiotics and Microbial Resistance) handelte es sich um eine offene, multizentrische, randomisierte kontrollierte Studie (1). Darin untersuchten Wissenschaftler um Prof. Dr. Jonathan Sandoe von der School of Medicine an der University of Leeds, ob ein strukturierter Abklärungspfad die Verordnung von Penicillinen bei Erwachsenen mit dokumentierter Allergie erhöhen kann. Verglichen mit der üblichen hausärztlichen Versorgung sollte er die Verordnung von Penicillinen erhöhen, ohne das Sicherheitsrisiko zu steigern.
Strukturierte Abklärung und Aktualisierung der Akte
Zwischen 2019 und 2023 rekrutierten und randomisierten die Forscher 823 Patienten aus 51 englischen Hausarztpraxen: 411 erhielten Zugang zum Abklärungspfad, 412 verblieben in der Routineversorgung.
Die Abklärung umfasste eine strukturierte Anamnese, Risikostratifizierung, Hauttests und/oder orale Provokationstests sowie begleitende Informationsmaterialien. Zudem nahmen die Forscher eine systematische Aktualisierung der elektronischen Gesundheitsakte vor. Eingeschlossen wurden Erwachsene ab 18 Jahren mit dokumentierter Penicillin-Allergie und mindestens einer Antibiotikaverordnung in den letzten 24 Monaten. Personen mit schwerwiegenden Reaktionen wie Anaphylaxie oder toxischen Hautreaktionen in der Anamnese wurden ausgeschlossen.
Primärer Endpunkt war der Anteil der Teilnehmer, die bis zu zwölf Monate nach der zufälligen Zuordnung mindestens eine Verschreibung für ein Penicillin erhalten hatte – und zwar bei Erkrankungen, für die Penicilline laut Leitlinien Mittel der ersten Wahl sind. Das ursprüngliche primäre Ziel, die Rate an Therapieversagen, passte man pandemiebedingt an, weil die Rekrutierung nur schleppend vorangegangen war.
92 % der vermeintlichen Allergiker waren negativ
Von den 811 in die Hauptanalyse eingeschlossenen Teilnehmern (72 % Frauen, Durchschnittsalter 55 Jahre, 97 % weiss) erhielten 18 % im Abklärungspfad mindestens eine Penicillin-Verordnung (für eine Erkrankung, für die Penicillin die Erstlinientherapie ist), verglichen mit 3 % in der Kontrollgruppe. Das heisst, die Allergie-Abklärung führte zu einer signifikanten Zunahme der Verschreibungen von Penicillinen (p < 0,0001), bei gleichzeitiger Reduktion des Gesamtverbrauchs an Antibiotika. Umgekehrt erhielten signifikant mehr Patienten Nicht-Penicilline in der Kontrollgruppe als in der Interventionsgruppe (42 % vs. 28 %, p < 0,0001). Hinsichtlich klinischer Endpunkte wie Therapieversagen, Symptomdauer, Spitaleinweisungen oder Mortalität zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen.
Die Allergietestung erfolgte bei 365 Teilnehmern des Abklärungspfades. 8 % erhielten ein positives Resultat (entweder beim Hauttest oder beim oralen Provokationstest), 92 % ein negatives. Bei den negativ getesteten Personen befreite man 96 % innerhalb von zwölf Monaten formal von der Allergiekennzeichnung («delabeled»). In der Kontrollgruppe kam es praktisch zu keinem Delabeling.
Delabeling wahrscheinlich kosteneffektiv
Die Anzahl der Teilnehmer mit mindestens einem unerwünschten Ereignis innerhalb von drei Tagen nach der Allergie-Abklärung war in der Interventionsgruppe naturgemäss signifikant höher (20 % vs. 0 %, p < 0,0001). Ein schwerwiegendes, wahrscheinlich interventionsbedingtes Ereignis wurde dokumentiert. Die Rate schwerwiegender unerwünschter Ereignisse während des gesamten Versuchszeitraums unterschied sich nicht zwischen den Gruppen (7 % vs. 8 %).
Trotz durchschnittlicher Interventionskosten von 170 Pfund pro Patient (ca. 183 CHF) ergab die gesundheitsökonomische Analyse, dass die Intervention tendenziell kosteneffektiv blieb. Dies ist vor allem auf zusätzliche Kosten zurückzuführen, die durch Therapieversagen, Symptomdauer und Spitaleinweisungen zustande kommen, wenn Penicilline als Therapieoption wegfallen.
Einen direkten Nutzen hinsichtlich klinischer Outcomes konnten die Wissenschaftler aufgrund unzureichender statistischer Power der Studie nicht nachweisen. Trotzdem legt die
ALABAMA-Studie nahe, dass die Implementierung eines standardisierten Abklärungspfads für vermeintliche Penicillin-Allergien in der hausärztlichen Versorgung ein wirksames Instrument für einen verantwortungsvollen und rationalen Umgang mit Antibiotika sein kann. Dieser Weg, der wahrscheinlich sogar kosteneffizient ist, eröffnet die Möglichkeit, grosse Patientengruppen von unnötigen Labels zu befreien, den Einsatz von Reserveantibiotika zu reduzieren und damit langfristig zur Bekämpfung von Resistenzen beizutragen.
- Sandoe JAT et al. Penicillin allergy assessment pathway versus usual clinical care for primary care patients with a penicillin allergy record in the UK (ALABAMA): an open-label, multicentre, randomised controlled trial. Lancet Prim Care. 2025; 1: 100006. doi: 10.1016/j.lanprc.2025.100006.