Medical Tribune
30. Juli 2025Plastik im Blut, im Darm, im Gehirn

Wie gefährlich ist Mikroplastik?

Mikro- und Nanoplastik gelangen vor allem über Nahrung und Trinkwasser in den menschlichen Körper. Sie durchdringen biologische Barrieren und lagern sich in Organen ab. Ob sie dort Schaden anrichten, ist bislang unklar. Was die Forschung bisher weiss – und wo dringend mehr Antworten nötig sind.

Vor allem Nahrung und Trinkwasser wird Mikroplastik aufgenommen.
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Seit den 1950er-Jahren hat die Produktion von Plastik weltweit massiv zugenommen. Gleichzeitig zerfallen immer mehr Kunststoffprodukte zu Mikro- und Nanoplastik – winzigen Partikeln, mit denen Menschen, Tiere und Umwelt zunehmend in Kontakt treten. Inzwischen wurden sie im menschlichen Blut, in der Plazenta, sowie in Organen wie Lunge, Leber und Prostata nachgewiesen.

Doch wie gefährlich ist das wirklich? Noch fehlen klare Antworten – selbst führende Experten tun sich damit schwer.

Wie Plastik in unseren Körper gelangt

Laut der Biochemikerin PD Dr. Eleonore Fröhlich, Medizinische Universität Graz, ist der Hauptaufnahmeweg von Mikroplastik in den menschlichen Körper der orale – über Trinkwasser und Nahrung –, während Hautkontakt praktisch bedeutungslos ist (1). Auch die Lunge ist bei gesunden Personen durch effektive Barrieren gut geschützt.

Wer die Belastung im Körper möglichst gering halten will, sollte daher eher auf plastikverpackte Nahrungsmittel und Getränke zu verzichten, als sich auf mikroplastikfreie Kosmetik oder Kleidung aus Naturfasern zu konzentrieren. Auch Glasflaschen sind nicht automatisch die bessere Wahl: In einer aktuellen Studie wurden teils erhebliche Mengen an Mikroplastik in den Flüssigkeiten nachgewiesen. Es stammte offenbar von beschichteten Verschlüssen, deren farblich passende Partikel sich im Inhalt wiederfanden.

Plastik im Körper: Wo es sich ansammelt

Tierstudien zeigen, dass Mikroplastik nach oraler Aufnahme innerhalb weniger Stunden in praktisch allen Organen nachweisbar ist. Wie viel sich beim Menschen tatsächlich im Gewebe ablagert, ist noch weitgehend unklar. Pathologe Prof. Dr. Lukas Kenner, Medizinische Universität Wien, warnt vor unseriösen Mengenangaben – die teils zitierte «Kreditkarte pro Woche» sei wissenschaftlich kaum haltbar.

Eine in Nature Medicine veröffentlichte Studie fand bis zu 60 g Nanoplastik im Gehirn Verstorbener – und deutlich erhöhte Werte in Gehirnen von Menschen mit Demenz. Eine weitere fand Plastikpartikel im Blut – im Schnitt 1,6 Mikrogramm pro Milliliter.

In Tumoren wie Kolorektal- oder Prostatakarzinomen wurde zudem mehr Mikroplastik gefunden als im umliegenden gesunden Gewebe. Plastikpartikel scheinen stark an Cholesterin oder andere Moleküle zu binden – und können so sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden, sagt der Experte.

Unklar bleibt, ob der Körper das Plastik wieder loswird. «Immerhin lassen sich im menschlichen Urin Plastikpartikel nachweisen – ein Hinweis darauf, dass der Körper sie zumindest teilweise wieder ausscheiden kann. Wie genau das geschieht und in welchem Ausmass das geschieht, ist noch offen», so Prof. Kenner.

Welche Folgen Plastik haben könnte

Trotz der ubiquitären Gegenwart von Mikro- und Nanoplastik ist wenig über dessen Wirkung bekannt. Dennoch deuten einige Daten darauf hin, dass Plastik mehr als nur ein unbeteiligter Zuschauer sein könnte.

Besonders bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie der Atherosklerose rücken Plastikpartikel in den Fokus. Tierstudien zeigen, dass sie die Bildung atherosklerotischer Plaques fördern können. Diese waren zudem instabiler- also anfälliger für gefährliche Rupturen. Im Labor lösten Plastikpartikel in Endothelzellen – also jenen Zellen, die die Gefässe auskleiden – entzündliche Reaktionen aus.

Auch in menschlichen Plaques fanden Forscher bei rund der Hälfte der untersuchten Patienten Mikroplastik  - und zwar häufiger bei schwereren Verläufen. «Vermutlich lösen die Partikel eine niedriggradige Entzündung im Gewebe aus» sagt PD Dr. Karsten Grote, Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Kardiologie  am Universitätsklinikum Giessen und Marburg.

Und auch Tumorzellen könnten durch Plastikpartikel beeinflusst werden. Im Labor zeigte sich, dass Tumorzellen Nanoplastik über Endozytose aufnehmen und sogar an ihre Tochterzellen weitergeben können. Die «vollgefressenen» Krebszellen migrierten zudem schneller – ein möglicher Hinweis auf ein aggressiveres Verhalten.

Warum die Forschung kaum hinterherkommt

Ein zentrales Problem ist die Nachweisbarkeit: Nanoplastik kleiner ist als 1 Mikrometer ist mit klassischen Methoden wie Raman- oder FT-IR-Spektroskopie kaum messbar. Pyrolyse-GC/MS-Verfahren gelten zwar als zuverlässig, sind aber technisch aufwändig und teuer.

«Dabei steigt mit abnehmender Partikelgrösse vermutlich auch die biologische Relevanz von Nanoplastik» betont Prof. Kenner. Das Mikroplastik, das wir heute nachweisen können, ist ausserdem vermutlich nur die Spitze des Eisbergs – denn mit der Zeit zerfallen Plastikpartikel in immer kleinere Fragmente.

Hinzu kommen praktische Probleme im Labor:  So ist die Gefahr für Verunreinigungen durch im Labor verwendete Plastikutensilien hoch. Plastikpartikel schwimmen zudem oft an der Oberfläche  - was die Dosierung in Tierstudien erschwert.

Neuerdings gibt es Fortschritte beim Nachweis in pathologischem Gewebe. Gemeinsam mit anderen Forschern hat Prof. Kenner eine Mikroskopietechnik entwickelt, mit der sich Plastikpartikel bis zu einer Grösse von 500 Nanometern auf Paraffinschnitten sichtbar machen lassen – also auf Gewebeschnitten, wie sie in der Pathologie routinemässig archiviert werden.

Das eröffnet neue Perspektiven: So könnte künftig untersucht werden, ob sich der Plastikgehalt im Gewebe von gesunden und kranken Menschen unterscheidet – etwa bei gestörter Haut- oder Darmbarriere – oder ob die Belastung über die Jahrzehnte zunimmt.

Erste Hinweise liefert eine aktuelle Studie: Im Gehirngewebe Verstorbener aus dem Jahr 2024 wurde deutlich mehr Nanoplastik gefunden als in den Proben aus dem Jahr 2014.