Medical Tribune
12. Juni 2025Fortschritte bei Diagnose und Therapieentscheidung

Wie KI die Krebstherapie verbessert

Was die künstliche Intelligenz aktuell in der Onkologie leisten kann, war Gegenstand zahlreicher Beiträge am ASCO-Jahreskongress 2025. Zwei Experten lieferten überzeugende Belege dafür, dass Algorithmen bald die menschliche Leistung unterstützen könnten, etwa bei der Tumorklassifikation und Patientenstratifikation. Das wäre vor allem für Länder mit begrenzten Ressourcen entscheidend.

Am ASCO zeigten Experten, wie die KI die Onkologie verändert.
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«Aufgrund der neuen HER2-gerichteter Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC) ist es heute wichtig, nicht nur klassische HER2-positive Mammakarzinome zu identifizieren, sondern auch Fälle mit einer HER2-low- bzw. HER2-ultra-low-Expression», sagt Dr. Marina De Brot, A.C. Camargo Cancer Center, São Paulo, Brasilien (1).

Insbesondere bei diesen niedrigen Expressionslevels ist die reproduzierbare und korrekte Bewertung von HER2 aber eine Herausforderung. Denn solche Fälle werden oft fälschlicherweise als HER2-negativ klassifiziert, wodurch geeigneten Patienten der Zugang zu HER2-gerichteten Therapien verwehrt bleibt.

Zudem belegen Studien, dass die Übereinstimmungsrate unter Pathologen bei den HER2-low bzw. ultra-low-Fällen nur bei rund 70 Prozent liegt – beim Rest gibt es unterschiedliche Ansichten zur Klassifikation.

Teamwork aus KI und Pathologen

Dr. De Brot stellte eine Studie mit der KI-gestützten Online-Trainingsplattform ComPath Academy vor, die Pathologen dabei unterstützen soll, ihre Genauigkeit bei der Interpretation von HER2-low und HER2-ultralow Mammakarzinomen zu verbessern.

Die Studie befasste sich mit bisher 13 durchgeführten virtuellen Trainings, an denen insgesamt 105 Pathologen aus Afrika, Südamerika und Asien teilgenommen hatten.

Jedes Training bestand aus drei Prüfungsdurchgängen. Im ersten Durchgang bekamen die Teilnehmer fünf Fälle von digitalisierten immunhistochemisch gefärbten Gewebeschnitten vorgelegt, die sie manuell bewerten sollten. Darauf folgte ein Theoriekurs zum HER2-Scoring. Im zweiten Durchgang beurteilten die Teilnehmer sieben weitere Fälle manuell, gefolgt von einer Diskussion der Resultate aus den ersten beiden Übungen.

Anschliessend bewerteten die Pathologen im dritten Durchgang acht Fälle mithilfe der KI-Unterstützung. Die künstliche Intelligenz hob dabei beispielsweise Zellen mit HER2-Färbung visuell hervor, beurteilte HER2-Anteil, -Intensität und zelluläre Lokalisation, und schlug bereits erste klinische Einordnungen vor.

Die Ergebnisse aller drei Testdurchgänge wurden mit einem Referenz-Score verglichen, der von einem Expertengremium zuvor konsensbasiert festgelegt worden war. Zudem wiederholten sich manche Proben während der drei Durchgänge immer wieder – das ermöglichte den Forschern, zu erkennen, ob eine Verbesserung der Treffgenauigkeit der Teilnehmer während des Trainigs auf die KI-Unterstützung zurückzuführen war oder auf ihrem Erfahrungszuwachs bzw. die Erläuterungen im Kurs beruhte.

Fehlklassifikation HER2-negativ verringert

In der Auswertung der fast 2.000 Datensätze der Probenbeurteilung zeigte sich, dass die KI-Unterstützung die Genauigkeit und Übereinstimmung der Pathologen bei der klinischen Einordnung von HER2 deutlich verbessern konnte.

«Wenn die Teilnehmer die Schnitte manuell auswerteten, war die Sensitivität vor allem bei fehlender oder sehr geringer HER2-Expression niedrig», so Dr. De Brot. Mit dem KI-Einsatz reduzierte sich dann die Fehlklassifikation der Fälle im Vergleich zur Referenz. So sank etwa die falsche Bewertung von HER2-low und HER-2-ultralow-Fällen als HER2-negativ um 24 Prozent.

«Digitale Pathologie» beim Prostatakarzinom

Ein weiteres KI-Modell – diesmal beim Prostatakarzinom untersuchte die Forschergruppe um Prof. Nicholas James von der Royal Marsden NHS Foundation Trust & Institute of Cancer Research.

Das Team wollte prüfen, ob ein multimodales KI-Modell (multimodal artificial intelligence, MMAI) jene Patienten mit nicht-metastasiertem Prostatakarzinom und ultrahohem Risiko identifizieren kann, die den meisten Benefit aus der Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibition (ARPI; Abirateron bzw. Abirateron plus Enzalutamid) zusätzlich zur Langzeittherapie aus ADT plus Radiotherapie hatten (2,3). «Denn viele Patienten sprechen bereits gut auf die Standardtherapie an – die zusätzliche Abirateron-Therapie schadet ihnen dann möglicherweise eher als dass sie ihnen nützt», so Prof. James.

Die Forscher untersuchten für ihre Studie den M0-Teil der STAMPEDE-Studie, der Ultra High Risk-Patienten einschloss. Diese waren entweder lymphknotenpositiv oder -negativ, und wiesen mindestens zwei der folgenden Kriterien auf:

  • T3/T4-Stadium
  • Gleason-Score 8-10, oder
  • PSA ≥ 40ng/ml

Das Team analysierte insgesamt 781 Kontrollpatienten und 555 Patienten aus den Interventionsarmen mit Abirateron bzw. Abirateron plus Enzalutamid. Von allen Patienten existierten hochwertige digitalisierte Histologieschnitte und vollständige klinische Datensätze.

Das verwendete multimodale KI-Modell ArteraAI kombiniert klinische Parameter wie Alter, PSA und das Tumorstadium mit histopathologischen Merkmalen aus H&E-gefärbten Schnitten der Biopsien. ArteraAI wurde in Bezug auf Patienten, die von einer Hormontherapie profitieren, anhand von Daten aus mehreren Phase-III-Studien trainiert, mit Patienten mit etwas geringerem Risiko als in STAMPEDE.

Je nach Eignung der Patienten für diese ARPI-Zusatztherapien vergab die KI einen Score – je höher, desto mehr prognostizierter Nutzen einer zusätzlichen ARPI-Therapie. Im Anschluss verglichen die Forscher den KI-Score mit den Studienendpunkten metastasenfreies Überleben, Gesamtmortalität und prostatakarzinom-spezifische Mortalität.

Vorteile dank KI und Abirateron

In allen drei Endpunkten zeigte sich, dass die KI-Scores einen prognostischen Wert hatten: Höhere Werte gingen insgesamt mit einem schlechteren Outcome einher – egal, ob bei lymphknotennegativen oder -positiven Patienten.

Teilten die Forscher die KI-Scores in Quartile auf, zeigte sich ausserdem, dass die untersten drei KI-Score-Quartile keinen Nutzen von der zusätzlichen Gabe von Abirateron hatten im Vergleich zur alleinigen Radiotherapie + ADT. Im obersten Quartil war der Nutzen hingegen deutlich und klinisch relevant. So zeigte sich bei diesen Patienten etwa eine absolute Risikoreduktion von 17 Prozent beim metastasenfreien Überleben durch die ADT/ARPI-Behandlung.

Auch die prostataspezifische Mortalität war in diesem Quartil durch die Zugabe von Abirateron deutlich reduziert – während der Effekt in den unteren Quartilen gering oder nicht signifikant ausfiel. Besonders interessant: Bei der Subgruppe der lymphknoten-negativen Patienten, auf die sich viele Studien zur Therapieintensivierung, etwa mit ARPIs, aktuell konzentrieren, fielen die Ergebnisse ziemlich ähnlich aus.

Dr. Angela Y Jia, University Hospitals Seidman Cancer Center, kommentierte die Studie: «Der MMAI-Risikoscore ist klinisch relevant, wenn es darum geht zu entscheiden, wer zusätzlich von Abirateron profitiert.» Allerdings sei für sie noch offen, ob sich die Ergebnisse auf das in vielen Ländern inzwischen etablierte Hochrisiko-Staging mittels PSMA-PET übertragen lassen. Diese Patienten hätten eine deutlich bessere Prognose als jene, die im Rahmen der STAMPEDE-Studien als Hochrisiko eingestuft wurden.