Medical Tribune
21. Mai 2025Evidenz kommt bei den Followern derzeit nicht an

Wir TikTok zur ADHS-Aufklärung beitragen könnte

Nur ein kleiner Teil der TikTok-Videos über ADHS liefert korrekte Informationen. Die meisten sind irreführend oder schildern lediglich persönliche Erlebnisse. Dennoch sehen Expertinnen und Experten in sozialen Netzwerken Chancen, um aufzuklären und Vorurteile abzubauen.

Junge Frau zeigt beim Vloggen spielerisch auf ihr Smartphone und zeigt dabei ein fröhliches Auftreten
gettyimages/South_agency

Prominente oder Influencerinnen und Influencer, die sich zu ihrer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bekennen, können zur Aufklärung und Entstigmatisierung beitragen, sagt Olaf Just, Kommunikationsberater aus Freiburg und selbst betroffen (1). Auch Social-Media-Plattformen, die Betroffenen den Austausch ermöglichen, hält er für hilfreich.

Doch die Darstellungen im Netz bergen Risiken: Oft wird ADHS als «Superkraft» dargestellt, ohne die Belastungen zu erwähnen. Das relativiert den Leidensdruck und führt dazu, dass die Störung nicht mehr ernst genommen wird. Statt Entstigmatisierung droht eine neue Stigmatisierung, warnt Just. Ihn stört auch die Werbung für diverse Hilfsangebote auf vielen Kanälen sowie die wachsende Kultur der Selbstdiagnose.

Immer mehr Menschen erkennen sich in Videos wieder

Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in München, erlebt die Folgen dieser Entwicklung in ihrer Praxis. Immer mehr Patienten kommen zu ihr, weil sie sich in YouTube- oder TikTok-Videos wiedererkennen. Viele erhalten später tatsächlich die Diagnose, doch die starke Fixierung auf die Erkrankung fällt der Ärztin auf. Sie vermutet, dass die Diagnose für manche eine Erklärung für persönliches Scheitern und Lebensprobleme bietet. Zwar kann eine ADHS-Diagnose entlasten, doch manche Betroffene neigen dazu, ihr ganzes Leben darauf zurückzuführen, so Dr. Neuy-Lobkowicz.

Zudem beobachtet Dr. Neuy-Lobkowicz eine zunehmende Anspruchshaltung. Selbst bei mässig ausgeprägten Symptomen werde über den Grad der Behinderung diskutiert, eine Haushaltshilfe oder eine Frühberentung gefordert. Offensichtlich erfolgt über Social Media ein Abgleich über zu fordernde soziale Massnahmen.

Informationsangebote von Gesundheitsprofis in sozialen Netzwerken sind wesentlich häufiger evidenzbasiert als die von Laien, berichtete Prof. Dr. Alexandra Philipsen von der psychiatrischen Universitätsklinik in Bonn. Das nützt allerdings wenig: Diese Beiträge werden viel seltener angeschaut, mit «Likes» versehen und geteilt als die von Influencern, die nicht aus dem Gesundheitsbereich stammen – Evidenzbasierung kommt nicht gut an.

«Sinnvolle» Beiträge hatten nur wenige Interaktionen

Das trifft auch auf Selbstdiagnose-Tools zu. Nur acht Prozent der am häufigsten angesehenen TikTok-Videos zur ADHS-Selbstdiagnose sind nach einer aktuellen Analyse wirklich nützlich, 92 Prozent irreführend. Das Kriterium war, dass in den Videos mindestens vier von sechs Items der Adult ADHD Self-Report Scale aufgegriffen werden mussten.

Die Videos, die als sinnvoll eingestuft wurden, führten zudem noch zu unterproportional wenig Interaktionen mit Usern: Sie erhielten nur vier Prozent aller «Likes» und nur ein Prozent aller Kommentare. Es wäre daher wünschenswert, dass sich die an der Versorgung von Menschen mit ADHS beteiligten Gesundheitsberufe stärker selbst auf sozialen Medien engagieren, regte Prof. Philipsen an.