Vitamin-D-Mangel und Osteoporose bei Kindern – gibt es das?
Vitamin D ist für seine Rolle bei Knochengesundheit, Stimmung und Immunsystem, vor allem bei älteren Erwachsenen, bekannt. Dass jedoch auch Kinder und Jugendliche von einem Vitamin-D-Mangel oder einer Osteoporose betroffen sein können, ist in der medizinischen Praxis noch nicht flächendeckend angekommen. Dabei ist die kindliche Osteoporose kein Mythos, sondern ein reales Risiko mit oft dramatischen Folgen.

Den Grossteil des benötigten Vitamin D bildet der Mensch selbst über die Haut: Rund 90 Prozent entstehen aus Provitamin D unter UVB-Einfluss in der Haut. Nur etwa zehn bis 20 Prozent entfallen auf die Aufnahme aus der Nahrung, insbesondere aus fettreichen Lebensmitteln wie Fisch, Ei, Milch oder aus Pilzen.
Einmal über die Haut synthetisiert oder im Darm aufgenommen, wird Vitamin D in der Leber in die Speicherform 25-Hydroxyvitamin D (25[OH]D) umgewandelt. Diese zirkuliert im Blut und gelangt in die Niere, wo sie durch 1α-Hydroxylierung in die biologisch aktive Form 1,25-Dihydroxyvitamin D (1,25(OH)₂D überführt wird.
Diese reguliert nicht nur die Kalzium- und Phosphataufnahme im Darm, sondern beeinflusst auch
- Knochenstoffwechsel,
- Muskelfunktion, und
- Immunabwehr.
80 Prozent der Schweizer sind unterversorgt
«Im Winter reichen in der Schweiz selbst sonnige Tage nicht aus, um auf den Bedarf zu decken», sagt Prof Dr. Dagmar l’Allemand-Jander, leitende Ärztin für Endokrinologie und Diabetologie am Kinderspital Zentralschweiz Luzern (1). «Studien zeigen, dass über 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung in den Wintermonaten suboptimale oder gar mangelhafte Vitamin-D-Spiegel aufweisen – auch Kinder.»
Das liegt am Breitengrad: Exponiert man sich hierzulande mittags im Gesicht und an den Händen der Sonne, genügen im Juli zehn Minuten, um 1.0000 Einheiten Vitamin D zu bilden. Im Dezember bräuchte es dafür hingegen mehr als 20 Stunden. Sonnencremes mit LSF 15 blockieren die Vitamin-D-Synthese zudem zu 99 Prozent.
Vitamin-D-Spiegel: Was ist normal?
In vielen Labors wird eine adäquate Vitamin-D-Versorgung als 25-Hydroxyvitamin D (25(OH)D)-Spiegel von 75-110 nmol/L (30-44 ng/mL) definiert, beschreibt Prof. l’Allemand-Jander. Für Jüngere reichen laut der Expertin allerdings Spiegel von 50 bis 75 nmol/L (20-30 ng/mL) aus. Als schwer wird ein Vitamin-D-Mangel angesehen, wenn die Spiegel unter 25 nmol/L bzw. 10 ng/mL abrutschen.
Mangel mit vielen Gesichtern
Bei einem schweren Vitamin-D-Mangel kann leiden vor allem die Knochen. So steigt bei Erwachsenen mit Vitamin-D-Mangel das Risiko für Stürze, Frakturen, Osteomalazie und Osteoporose an.
Studien zeigen aber auch, dass ein Vitamin-D-Mangel auch mit Müdigkeit, Muskelschmerzen und erhöhter Infektanfälligkeit, sowie mit depressiven Verstimmungen einhergehen kann. Darüber hinaus kann ein extremer Vitamin-D-Mangel in allen Altersgruppen in einer Kardiomyopathie münden.
Bei Säuglingen fällt ein ein extremer Vitamin-D-Mangel oft durch Muskelhypotonie und Hypokalzämie auf, die bis zu hypokalzämischen Krampfanfällen führen können. Bei Kleinkindern ist die klassische Vitamin-D-bedingte Störung des Knochenstoffwechsels (Rachitis) hingegen mit Achsabweichungen der Beine («Säbelbeine») verbunden, sowie mit Auftreibungen der metaphysären Wachstumsfugen, und einem Craniotabes, bei dem die Fontanellen weich tastbar sind.
Besonders bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich ein Vitamin-D-Mangel häufig in Leistungsknicks, Muskelkrämpfen, oder Herzrhythmusstörungen. Oft wird er allerdings auch erst durch Frakturen, Skoliose, Osteopenie oder allgemeine Knochenbeschwerden erkannt.
Vitamin D: Wie viel, wie lange?
In der Schweiz wird eine Vitamin-D-Prophylaxe von Geburt an empfohlen:
- 400-500 I.E. /Tag bis zum dritten Lebensjahr,
- danach 600-800 I.E./Tag.
Bei Risikopatienten wird eine konsequente, oft lebenslange Prophylaxe empfohlen. Das betrifft etwa Kinder mit
- Zerebralparese
- Epilepsie (Antiepileptika blockieren die Vitamin-D-Wirkung)
- Adipositas
- Malabsorptionssyndromen oder
- Migrationshintergrund bzw. dunklem Hautkolorit.
Gerade bei dunkelhäutigen oder verschleierten Kindern besteht eine besonders hohe Gefährdung, da die Melanin-bedingte Schutzwirkung bzw. Verdeckung der Haut die Vitamin-D-Synthese zusätzlich hemmt.
Bei Ausgleich eines Mangels gilt:
- maximal 1.000 I.E. täglich bis zum Alter von 6 Monaten
- maximal 1.500 I.E. täglich bis 12 Monate
- maximal 2.500 I.E. im 2. und 3. Lebensjahr
- maximal 3.000 I.E. bis zum 8. Lebensjahr
- maximal 4.000 Einheiten über 8 Jahren.
Die Gabe sollte dabei stets mit ausreichender Kalziumzufuhr (z.B. mindestens 3 Milchprodukte pro Tag oder Kalzium-reiches Mineralwasser) kombiniert werden, um Hypokalzämien und tetanische Krisen zu vermeiden.
Was tun bei einer Überdosierung?
Doch auch das Gegenteil kann gefährlich sein. Ein Fall aus der Praxis von Prof l’Allemand-Jander führte zur versehentlichen Aufnahme von täglich 5.000 Einheiten anstelle der empfohlenen 500 I.E. bei einem Säugling – mit gravierender Hyperkalzämie, Gedeihstörung und Langzeitfolgen.
Hier war eine stationäre Behandlung inklusive Gabe von Zoledronat notwendig. Eltern müssen daher gezielt geschult und internetbasierte Selbstmedikation kritisch hinterfragt werden.
Wann messen?
Eine routinemässige Vitamin-D-Bestimmung in den Schweizer Choosing-Wisely-Richtlinien nicht empfohlen, und in den meisten Fällen von den Krankenkassen nicht gedeckt.
Indiziert ist die Analyse nur bei konkretem Verdacht oder hohem Risiko – etwa bei Muskelschwäche, Hypokalzämie, auffälligen Frakturen oder chronischen Erkrankungen.
Die Diagnose erfolgt insbesondere über den Spiegel der Speicherform als 25-Hydroxyvitamin D, nicht über das aktive 1,25-Dihydroxy-Vitamin D, das labortechnisch schwieriger zu interpretieren ist.
Osteoporose kommt auch im Kindesalter vor
In seltenen Fällen kommt es auch bei Kindern zu einer Osteoporose. Prof. l’Allemand-Jander beschreibt den Fall eines zehn Jahre alten Mädchens mit stark eingeschränkter motorischer Funktion aufgrund eines Rett-Syndroms. Unklare Schmerzen und zunehmende Anfälle führten bei der Patientin zur Diagnose einer hypokalzämischen Rachitis.
Eine Ostoporose im Kindesalter ist definiert durch eine verminderte Knochendichte und eine signifikante Frakturanamnese. Als das gelten mehr als zwei Frakturen der Röhrenknochen vor dem zehnten, oder mehr als drei vor dem 19. Lebensjahr. Auch atraumatische Wirbelkörperfrakturen gelten als Hinweis.
Besonders kritisch sind Phasen kurz nach dem pubertären Wachstumsschub, in denen die Mineralisation der rasch wachsenden Knochen hinterherhinkt.
Die Knochendichtemessung erfolgt meist durch die Dual-Energy-X-ray Absorptiometrie (DEXA). Wichtig ist, bei Kindern die Ergebnisse nach Körpergrösse zu korrigieren, um Fehldiagnosen bei Kleinwuchs zu vermeiden. Dabei helfen Tools wie der «Pediatric Bone Density Calculator». Aber auch die radiologische Bestimmung der Höhe der Wirbelkörper (Genant-Score) ist möglich.
Zur Basisdiagnostik gehören darüber hinaus auch Laborparameter wie Kalzium, Phosphat, Magnesium und die alkalische Phosphatase, ergänzt durch die Calcium-Kreatinin-Ratio im zweiten Nüchtern-Morgenurin.
Therapie: Muskelaufbau, Milch und (manchmal) Medikamente
Die Therapie der pädiatrischen Osteoporose hängt von der Ursache ab. Bei der primären Osteoporose, etwa durch eine Osteogenesis imperfecta, ist die genetische Diagnostik für die Erkennung entscheidend. Sekundäre Fragilitätsfrakturen können hingegen durch Immobilität, Medikamente (z.B. Kortikosteroide) oder Mangelernährung verursacht werden.
Sie lassen sich oft mit gezielter Supplementation und Physiotherapie verbessern. Wichtig zu wissen ist dabei, dass eine gute Muskelfunktion auch das Knochengewebe unterstützt: Bei einer Osteoporose ist daher der Muskelaufbau essenziell.
Im Falle schwerer Verläufe kommen Bisphosphonate wie Zoledronat zum Einsatz. Diese binden Calcium im Knochen, reduzieren Schmerzen, verbessern die Knochendichte, senken die Frakturrate, und verbessern die Beweglichkeit der Patienten. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Eine Übertherapie kann zu steifen, brüchigen Knochen führen. Wichtig bleibt daher ein individuelles, langfristiges Monitoring – mindestens bis zum Erreichen der «peak bone mass» mit rund 20 Jahren.
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