Sarkopenie erkennen, beurteilen und behandeln
Die Sarkopenie ist verbreitet und mit vielen unerwünschten Folgen assoziiert. In der Praxis lässt sie sich einfach feststellen und behandeln. Trotzdem bleibt sie sehr oft unerkannt und unbehandelt, wie PD Dr. Anna K. Eggimann, Leitende Ärztin und Co-Leiterin der Orthogeriatrie, Geriatrische Universitätsklinik, Inselspital Bern, in ihrem Vortrag am Symposium Rheuma Top aufzeigte.
Die Sarkopenie ist mit verschiedenen Problemen assoziiert. Sie erhöht z.B. das Risiko für Stürze, Frakturen, Mobilitätseinschränkungen, den Verlust von Selbstständigkeit und die Mortalität.
Die Prävalenz beträgt je nach Studie 14 bis 55 Prozent. Seit 2018 ist die Sarkopenie eine ICD-10-relevante Diagnose.
Mechanismen und Ursachen: Warum entsteht Sarkopenie?
Bei der Entstehung der Sarkopenie sind verschiedene Mechanismen beteiligt. So kommt es zu einer mitochondrialen Dysfunktion in der Muskelzelle, einer Abnahme der weissen, schnellreagierenden Typ-2-Muskelfasern sowie zu einem Verlust an Motoneuronen und einer Satellitenzelldysfunktion.
«Diese Prozesse stehen im Zusammenhang mit Mikroentzündungen, oxidativem Stress und Apoptose», erklärte PD Dr. Eggimann. Auch mikrovaskuläre Veränderungen spielen eine Rolle. Am bedeutendsten ist laut der Referentin jedoch die Inaktivität. Wie beim Gehirn gilt auch bei der Muskulatur: «use it or loose it».
Diagnosemethoden: Kraft, Masse und Ganggeschwindigkeit
In Europa und der Schweiz basiert die Diagnose Sarkopenie auf Kraft und Masse der Muskulatur. Der Schweregrad wird anhand der Ganggeschwindigkeit beurteilt, die Messung der Muskelkraft erfolgt über die Handkraft oder den Sit-to-Stand-Test. Der Goldstandard für die Messung der Muskelmasse ist das MRI oder CT. Zu den anderen Methoden gehören DXA-Messung, die bioelektrische Impedanzanalyse sowie die Ultraschalluntersuchung, die sich durchzusetzen beginnt.
«Nicht bei der Diagnose helfen Gewicht und Aussehen. Auch übergewichtige und adipöse Patienten können sarkopen sein», betonte PD Dr. Eggimann. Der Grund: Wenn die Muskelmasse schwindet, kommt es zu einem kompensatorischen Ersatz durch Fettgewebe.
Therapeutische Ansätze: Bewegung, Krafttraining und Ernährung
Die therapeutischen Ansätze sind aufgrund der multifaktoriellen Ätiologie breit abgestützt. Die Behandlung selbst erfolgt interprofessionell und basiert auf den drei Säulen Bewegung, Krafttraining und Proteinaufnahme. Bezüglich Bewegung ist allgemein im Alter ein regelmässiges aerobes Training (z.B. zügiges Gehen, Velofahren, Schwimmen) im Umfang von wöchentlich 150 bis 300 Minuten empfohlen. Das Krafttraining sollte an mindestens zwei oder mehr Tagen pro Woche erfolgen.
Noch unklar ist laut der Referentin, ob das Eigengewicht für das Krafttraining genügt oder ob es zusätzlich Gewichte braucht. Ein Übungsprogramm für Kraftübungen im Alter hat die Rheumaliga Schweiz in ihrer Patienten-Broschüre Kraftpaket zusammengestellt (1). Konkrete Bewegungsempfehlungen für Personen mit Sarkopenie sind Gegenstand aktueller Projekte.
Proteinbedarf bei Sarkopenie: Wie viel ist notwendig?
«Der Proteinbedarf ist im Alter per se erhöht und mit einer Sarkopenie nochmals höher», erklärte PD Dr. Eggimann. Bei einem gesunden jüngeren Menschen beträgt er 0,8 g/kg KG/Tag, bei einem gesunden älteren Menschen 1,2 g/kg KG/Tag und bei einem älteren Menschen mit Sarkopenie bis zu 1,5 g/kg KG/Tag.
Für die Muskelsynthese sind Molkeproteine besonders wertvoll. Sie sind in grösseren Mengen unter anderem in Ziger und Ricotta enthalten oder auch in fertigem Molkepulver (Whey-Produkte). Der erhöhte Proteinbedarf lässt sich bei älteren Menschen, bei denen die Muskulatur und der Kalorienbedarf physiologisch abnehmen, meist nicht allein über die Nahrung decken, weshalb in dieser Population eine Proteinsupplementation oft nötig ist
Mundgesundheit und Osteoporose überprüfen!
Speziell bei geriatrischen Patienten empfahl PD Dr. Eggimann auch die orale Gesundheit mit einer kurzen Inspektion der Mundhöhle zu überprüfen. Schon mit einem Blick lassen sich z. B. Karies, Zahnverlust, Entzündungen oder Probleme mit abnehmbarem Zahnersatz erkennen, die das Kauvermögen stark beeinträchtigen können und die der Zahnarzt einfach behandeln kann.
Beachtet werden sollte auch die häufige Koexistenz der Sarkopenie mit Osteoporose und Osteopenie. «Diese Osteosarkopenie kann die noch deutlich schwerwiegenderen Folgen haben als eine Sarkopenie allein und sollte deshalb immer gesucht und behandelt werden», führte PD Dr. Eggimann aus.