Medical Tribune
5. Nov. 2024Mit der «Abnehmspritze» gegen Alkoholsucht

GLP-1-Rezeptoragonisten als neue Chance für Suchterkrankungen?

Die Forschung liefert zunehmend Hinweise darauf, dass Medikamente zur Gewichtsreduktion auch über ihre ursprüngliche Anwendung hinaus bei weiteren Indikationen wirksam sein könnten. Eine neue Studie zeigt, dass insbesondere GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid und Liraglutid den Verlauf von Substanzgebrauchsstörungen positiv beeinflussen könnten.

Take Home Messages

  • Medikamente zur Gewichtsreduktion könnten auch bei der Behandlung von Suchterkrankungen helfen.
  • Studien zeigen, dass GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid das Risiko für Überdosierungen und Rückfälle bei Alkohol- und Opioidabhängigkeit senken könnten.
  • Diese Medikamente wirken möglicherweise auf das Belohnungssystem im Gehirn und könnten dadurch das Verlangen nach Suchtmitteln verringern.
GLP-1-Rezeptoragonisten könnten Patienten helfen, ihre Suchterkrankungen zu überwinden.
M-SUR/stock.adobe.com

In der Fachzeitschrift Addiction veröffentlicht (1), untersuchte die Studie die Auswirkungen einer Behandlung mit GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) auf Patienten mit Suchterkrankungen.

Dazu analysierten die Forscher elektronische Gesundheitsdaten von über einer Million Erwachsenen mit einer Vorgeschichte von Alkohol- oder Opiatabhängigkeit. Es zeigte sich, dass Patienten, die GLP-1-Rezeptoragonisten einnahmen, ein um 40 Prozent geringeres Risiko für eine Opioid-Überdosierung und ein um 50 Prozent geringeres Risiko für eine Alkoholvergiftung aufwiesen.

Wirken GLP-1-RA auch im Gehirn?

Die Klasse der GLP-1-Rezeptoragonisten wurde ursprünglich zur Behandlung des Typ-2-Diabetes entwickelt. Die Wirkstoffe ahmen die Wirkung des körpereigenen Hormons Glucagon-like-Peptide-1 (GLP-1) nach. Dabei handelt es sich um ein Hormon, das in Darmzellen produziert wird, und vielfältige Prozesse im Körper reguliert. Dazu gehören etwa die Blutzuckerkontrolle und das Sättigungsgefühl. Zunehmend finden die GLP-1-Rezeptoragonisten daher auch Anwendung für die Gewichtskontrolle.

Neuere Erkenntnisse deuten zudem darauf hin, dass GLP-1-Rezeptoragonisten auch auf das Belohnungssystem im Gehirn wirken könnten, das eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Suchterkrankungen spielt.

Signifikante Rückgänge der Hospitalisierungen bei Suchtkranken mit GLP-1-RA

In der Studie untersuchte das US-amerikanische Forscherteam, ob GLP-1-Rezeptoragonisten allein oder in Kombination mit GIP (glucose-dependent insulinotropic polypeptide) -Rezeptoragonisten das Risiko von Rückfällen oder Überdosierungen im Zusammenhang mit Alkohol- oder Opioidabhängigkeit verringern könnten.

Hierzu analysierten sie Gesundheitsdaten von 503.747 Patienten mit einer Vorgeschichte von Opioidabhängigkeit, und 817.309 Patienten mit Alkoholgebrauchsstörung im amerikanischen Gesundheitssystem. Etwa 13.700 dieser Patienten hatten zumindest eine Verschreibung von GLP-1-Rezeptoragonisten erhalten.

Die Ergebnisse sind vielversprechend. So zeigten mit GLP-1-Rezeptoragonisten behandelte Personen mit Opioidabhängigkeit ein um 40 Prozent reduziertes Risiko für eine Überdosierung. Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit war sogar ein Rückgang der hospitalisierten Fälle aufgrund einer akuten Alkoholvergiftung um bis zu 50 Prozent zu verzeichnen.

Diese Ergebnisse blieben auch dann konsistent und statistisch signifikant, wenn die Forscher zusätzliche potenziell relevante Faktoren wie Adipositas oder Typ-2-Diabetes berücksichtigten.

Warum könnten GLP-1-RA bei Suchterkrankungen helfen?

Die Forscher vermuten, dass GLP-1-Rezeptoragonisten das Suchtverhalten durch eine Wirkung auf das mesolimbische Dopaminsystem beeinflussen, das für die Belohnungsverarbeitung im Gehirn verantwortlich ist. Durch die Aktivierung der GLP-1-Rezeptoren im Gehirn könnten die Medikamente das Belohnungsgefühl, das durch Drogen- oder Alkoholkonsum entsteht, abschwächen und so das Verlangen reduzieren.

Die Erkenntnisse unterstützen auch frühere Tierstudien, die zeigten, dass GLP-1-Rezeptoragonisten das Suchtverhalten von Nagetieren verringern können.

Zukunftsaussichten: Weitere Forschung notwendig

Obwohl die bisherigen Ergebnisse vielversprechend sind, betonen die Forscher, dass für eine Anwendung bei Suchterkrankungen solide klinische Daten notwendig sind. Insbesondere müssen mögliche Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und die optimale Dosierung für diesen Einsatzbereich untersucht werden.