Medical Tribune
9. Mai 2024(K)ein roter Faden

Morgellons: Eine Krankheit behandeln, die keine ist

Die Morgellons-«Krankheit» ist ein seltenes Beschwerdebild, bei dem Patienten ihre Symptome auf Materialien in oder unter der Haut zurückführen. Die Erkrankung ist offiziell nicht anerkannt. Dennoch gibt es inzwischen Strategien für eine Therapie.

Bei Morgellons leiden Patienten unter der Vorstellung, unbelebte Objekte unter der Haut zu haben.
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Morgellons ist derzeit weder in der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) noch im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM) aufgeführt. Dennoch leiden Betroffene stark unter den Symptomen.

Fasern, die aus Hautläsionen wachsen

Typischerweise haben Patienten langsam oder schlecht heilende Hautläsionen und berichten von Juckreiz oder stechenden, beissenden, kriechenden oder krabbelnden Empfindungen. Gleichzeitig sind sie überzeugt, dass ihre Haut mit unbelebten Objekten – meist Fasern – kontaminiert ist, die aus den Läsionen herauswachsen.

Häufig treten auch Fatigue, Gelenkschmerzen, kardiale Komplikationen, kognitive Probleme und/oder Neuropathien auf.

Forscher aus den Bereichen Dermatologie, Psychiatrie und Infektiologie haben jetzt den aktuellen Wissensstand zu Morgellons zusammengefasst (1).

Aktuelle wissenschaftliche Literatur ist kontrovers

Die Symptomatik wurde erstmals Anfang der 2000er-Jahre von einer Mutter bei ihrem Sohn beschrieben und erhielt den Namen Morgellons-Krankheit, in Anlehnung an eine Darstellung einer Empfindung von Insekten unter der Haut aus dem 17. Jahrhundert. Die aktuelle wissenschaftliche Literatur ist kontrovers und besteht hauptsächlich aus Fallberichten aus englischsprachigen Ländern.

Nachdem die Krankheit in den USA viel mediale Aufmerksamkeit erhalten hatte, veröffentlichte das CDC im Jahr 2012 eine Untersuchung mit 115 Betroffenen. Die Prävalenz wurde dort auf 3,56 pro 100.000 Einwohner geschätzt, wobei Frauen und Menschen kaukasischer Abstammung häufiger betroffen waren.

Morgellons als «internetübertragene Krankheit»

Bei einigen Teilnehmern wurden Hautbiopsien durchgeführt, bei denen Abschürfungen sichtbar waren. Das gefundene körperfremde Material waren in der Regel Baumwollfasern, die vermutlich als Kontamination von der Kleidung in die Läsionen gelangt waren. Eine infektiologische Ursache konnte immer ausgeschlossen werden.

Die Autoren der Studie vermuten, dass Morgellons möglicherweise mit psychiatrischen Komorbiditäten und/oder Substanzmissbrauch zusammenhängt, jedoch ist die Evidenz dafür schwach und eine Kausalität konnte nicht nachgewiesen werden. Einige Experten vermuten, dass es sich bei Morgellons um eine Variante des Dermatozoen-Wahns handelt, aber auch hier ist die Datenlage unzureichend.

Einen zuweilen postulierten Zusammenhang mit einer Lyme-Borreliose schliessen die Autoren basierend auf der derzeitigen Literatur aus. Wie sie weiter schreiben, wird Morgellons mitunter als «internetübertragene Krankheit» gesehen.

Gefahr durch Eigentherapie mit OTC-Präparaten

Obwohl Online-Foren Betroffenen und Angehörigen Unterstützung bieten können, besteht die Gefahr, dass Patienten sich basierend auf den dort geposteten Berichten selbst mit OTC-Medikamenten behandeln. Einige Patienten glauben sogar, dass ihre Beschwerden durch biologische Kriegsführung, Nanotechnologie oder ausserirdisches Leben verursacht werden.

Die Autoren sind der Meinung, dass ein patientenzentrierter Behandlungsansatz, der sowohl physische als auch psychische Aspekte berücksichtigt, am besten geeignet ist. Laut einer aktuellen Übersichtsstudie konnte eine Linderung der Symptome mit niedrig dosierten Antipsychotika der 2. Generation (Risperidon, Amisulprid, Olanzapin, Aripiprazol, Quetiapin) erzielt werden.

Die Herausforderung besteht jedoch darin, zu den Betroffenen eine Vertrauensbasis aufzubauen, damit sie eine solche Behandlung akzeptieren. Die Autoren empfehlen, die Diagnose offen zu kommunizieren und die Therapie anhand des aktuellen medizinischen Wissens zu erklären. Wenn die Patienten die Therapie ablehnen, kann ein aktives Follow-up oder eine Überweisung an eine psychodermatologische Abteilung angeboten werden.

Sorgen ernst nehmen

Auf jeden Fall ist es wichtig, die Sorgen der Betroffenen ernst zu nehmen. Stress und Unwohlsein können dazu führen, dass sich die Patienten zurückziehen und Angstzustände oder Depressionen entwickeln. In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, geeignete topische Behandlungen für die Beschwerden zu empfehlen.