Medical Tribune
11. Apr. 2024Neue Erkenntnisse aus der Forschung zur geschlechtsspezifischen Medizin

Frauenherzen sind anfälliger für Stress

Die Interaktionen zwischen Herz und Hirn unterscheiden sich bei Männern und Frauen. So reagieren Frauen auf emotionalen Stress stärker als Männer, was sich auf ihr kardiovaskuläres Risiko auswirkt. Diese und andere spannende Erkenntnisse aus der jüngsten geschlechtsspezifischen Forschung in der Kardiologie präsentierte Professor Dr. Catherine Gebhard, Leiterin Präventive Kardiologie und Frauenzentrum Inselspital Bern, am ersten Symposium «Sex und Gender in der Neurologie» am Universitätsspital Zürich.

Stress begünstigt eine ganze Reihe von Erkrankungen des Herzens bei Frauen.
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Die Amygdala steht im Zentrum vieler kardiologischer Studien, die Geschlechtsunterschiede in den Herz-Hirn-Interaktionen untersuchen. Sie ist Teil des limbischen Systems und ein übergeordnetes Zentrum für das Prozessieren von negativen Emotionen wie Angst, Furcht, Aggression.

«Die Aktivität der Amygdala korreliert sehr gut mit dem subjektiven Empfinden von emotionalem Stress», erklärte Prof. Gebhard. Je höher die Aktivität in der Amygdala, desto grösser ist das Risiko, später ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden und daran zu versterben (1).

Geschlechterverhältnis 9:1 beim Takotsubo-Syndrom

Eine typische stressinduzierte Frauenkrankheit, die das Herz betrifft, ist beispielsweise das Takotsubo-Syndrom. Diese Kardiomyopathie tritt oft in Folge eines schweren emotionalen Ereignisses auf. «Die Symptomatik ähnelt einem Myokardinfarkt. Das Herz ist schwer dysfunktional, aber im Gegensatz zum Herzinfarkt lässt sich in den Koronarien keine Ursache finden», erläuterte die Professorin.

Frauen, insbesondere in der Postmenopause, sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Das Verhältnis beträgt 9:1. Die Mechanismen, die zu den Geschlechterunterschieden führen, sind nicht geklärt. «Die Daten sprechen aber dafür, dass Frauen stärker auf emotionalen Stress reagieren», sagte die Referentin.

So haben Frauen nach einem Herzinfarkt in einer Befragung eine stärkere emotionale Belastung angegeben als Männer. «Auch der gemessene Stresslevel war nach einem solchen Ereignis bei Frauen fast immer höher», sagte Prof. Gebhard. Die Daten werden von Züricher Untersuchungen mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) gestützt. In der Studie war die Amygdala-Aktivität bei Frauen mit einer Durchblutungsstörung am Herzen höher als bei Herzgesunden. Bei Männern wurde dieser Unterschied nicht festgestellt (2).

Noch keine einheitlichen Empfehlungen

Mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) wurde auch die Aktivität in den Stressachsen gemessen. Eingeschlossen waren sowohl Gesunde wie auch Patienten mit einem klassischen ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) sowie mit einem akuten Koronarsyndrom, für das man aber als Ursache keine wirklich obstruktive KHK gefunden hat. «Gerade bei dieser INOCA, der ‹Ischemia with No Obstructive Coronary Artery Disease›, sind die Stress­achsen am aktivsten», zitierte die Expertin aus der Studie (3).

Und von dieser nicht obstruktiven KHK, der INOCA, sind Frauen viel öfter betroffen als Männer. Die Ursache für die erhöhte Aktivität der Stressachse bei Patienten mit INOCA bleibt bislang ungeklärt. Möglich wäre die diagnostische Unsicherheit, die bei dieser Erkrankung weiterhin besteht und die Tatsache, dass oftmals keine Therapie begonnen wird.

«Die Arbeiten haben alle Limitationen», räumte Prof. Gebhard ein. So sind Frauen – wie in allen Herz-Kreislauf-Studien – stark unterrepräsentiert. Unklar ist auch, wie die Frauen mit einer INOCA oder einem Takotsubo-Syndrom am besten behandelt werden. Die Leitlinien geben diesbezüglich keine einheitlichen Empfehlungen. Bei den typischen Infarkten mit obstruktiver KHK hingegen ist klar, dass ein Stent eingesetzt oder ein Bypass gelegt wird.

Mehr Stress, mehr Entzündung

«Die Herz-Hirn-Interaktionen werden über das Immunsystem und das Autonome Nervensystem vermittelt», so die Referentin. Zu beiden Achsen gibt es intensive Forschung. «Denn die Inflammation ist ein wichtiger Marker für die Entstehung und Progression der Atherosklerose und für die akute Plaque-Ruptur», erklärte die Expertin.

Studien haben gezeigt, dass mentaler Stress zu einer Erhöhung von gewissen Entzündungsparametern führt. «Je stärker sie ansteigen, umso höher ist auch das kardiovaskuläre Risiko», so die Expertin. Auch hier bestehen Geschlechterunterschiede: Bei Frauen mit mentalem Stress steigen die Entzündungsparameter stärker an als bei Männern (4,5).

Erhöhte Aktivität in der Herzspitze

Ähnliche geschlechtsspezifische Daten bestehen über die Zusammenhänge von Stress und der Entzündungsaktivität in Knochenmark, in der Gefässwand sowie von Stress und der Aktivität des vegetativen Nervensystems (Sympathikus, 3-5).

Darüber hinaus fand Prof. Gebhard einer eigenen Studie heraus, dass ältere Frauen nicht nur eine stärkere Sympathikus-Aktivität haben als gleichaltrige Männer, sondern dass diese höhere Aktivität insbesondere im Bereich der Herzspitze besteht (6). Diese repräsentiert laut der Kardiologin auch gerade das Areal, in dem sich das Takotsubo-Syndrom manifestiert.

Um all das neue Wissen für die Frauen auch klinisch nutzen zu können, braucht es weitere Studien. Unklar ist beispielsweise, inwieweit Interventionen wie Entspannungstechniken helfen können, nicht nur den das Stress-Level zu senken, sondern tatsächlich auch ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern. «Bekannt ist einzig, dass sich ein moderater Rotweinkonsum günstig auf das Herzkreislaufsystem auswirkt und auch die Aktivität in der Amygdala reduziert (7)», so Prof. Gebhard.

Ebenso ist unklar, welche Patienten und wann von einer Bildgebung der Amygdala profitieren können. Diesbezüglich hat eine gerade im European Heart Journal veröffentlichte Studie (8) aus Zürich gezeigt, dass die Amygdala-Bildgebung in einem frühen Stadium von Herzkreislauferkankungen sinnvoll ist, jedoch nicht, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten ist.