Medical Tribune
9. Nov. 2023Welchen Einfluss Östrogene auf den Bewegungsapparat haben

Hormon-Mangel stresst Gelenke

Frauen leiden im Alter häufiger unter Rückenschmerzen und Arthrosen als Männer. Eine mögliche Ursache dafür scheinen die Geschlechtshormone zu sein. Das belegen diverse wissenschaftliche Beobachtungen.

Hormon-Mangel führt langfristig wohl zu Gelenksproblemen.
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Zumindest teilweise scheinen die Geschlechtshormone hinter den Unterschieden zwischen Problemen des Bewegungsapparates bei Mann und Frau zu stecken.

Nicht überraschend: Denn ihre Wirkung beschränkt sich nicht nur auf das Geschlechtsleben und die Fortpflanzung, sondern beeinflusst auch das Immunsystem, den Stoffwechsel, die Nerven, Knochen und Muskeln, berichten britische Autoren in einer neuen Übersichtsarbeit (1).

Lange fertile Phase senkt Risiko für Gelenksprobleme

So steigt bei Frauen offenbar nicht nur das Risiko für Rückenschmerzen ab den Wechseljahren. Epidemio­logische Studien zeigten auch Assoziationen zwischen der Menopause und dem vermehrten Auftreten von Gelenkschmerzen und Arthrose auf.

Besonders vorteilhaft ist eine lange fruchtbare Phase, betonen die britischen Wissenschaftler in ihrer Untersuchung. In einer grossen Studie benötigten Frauen, die 33 bis 39 Jahre lang fruchtbar waren, im Vergleich zu denen mit einer fruchtbaren Phase unter 30 Jahren seltener einen Kniegelenkersatz (Hazard Ratio, HR 0,87).

HRT bessert Arthralgien in der Postmenopause

Der Einfluss der Östrogene auf Muskeln, Knochen und Gelenke lässt sich anhand der Hormonersatztherapie (HRT) verdeutlichen. In einer randomisierten kontrollierten Studie mit über 16.000 gesunden postmenopausalen Teilnehmerinnen litten vor der HRT 20-25 Prozent an Gelenkschmerzen, die mit zunehmendem Alter stärker wurden. Diese Symptome besserten sich unter der hormonellen Behandlung stärker als in der Placebogruppe.

Einen wichtigen Einfluss hat auch die Art der zugeführten Hormone. In der Women´s Health Initiative (WHI)-Studie benötigten Frauen, die nur Östrogene anwendeten, seltener einen arthrosebedingten Knie- oder Hüftgelenkersatz als Frauen, die Östrogen und Gestagen kombinierten.

Auch Männer mit chronischen Schmerzen können von einer Hormontherapie profitieren. Bei einem opioidinduzierten Androgendefizit lindert eine Testosterongabe die Hyperalgesie.

Chirurgische oder medikamentöse Mangelzustände geben wichtige Einblicke

Chirurgische oder medikamentöse Mangelzustände geben wichtige Einblicke in die Wirkung der Hormone. Nach einer beidseitigen Entfernung der Eierstöcke leiden betroffene Frauen etwa häufiger an einer Gonarthrose oder einer entsprechenden Veränderung des ersten Karpometakarpalgelenks.

Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die Behandlung mit Aromatasehemmern beim hormonsensitiven Mammakarzinom. Diese Wirkstoffe hemmen die Umwandlung von Androgenen in Östrogene und verringern dadurch die ohnehin schon niedrigen Spiegel bei den meisten postmenopausalen Patientinnen. Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen Hitzewallungen sowie Gelenk- und Muskelschmerzen. Etwa ein Viertel der Frauen setzt die Medikation wegen letzterer ab, obwohl sie die Prognose verbessert.

Aufgrund der vorliegenden Daten gibt es starke Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang zwischen den lebenslang wechselnden Sexualhormonspiegeln und der Anfälligkeit für Gelenkdegeneration und Schmerzen besteht. Bisher konnte jedoch keine kausale Beziehung zwischen Östrogenwerten und Arthrose nachgewiesen werden.

Bei Gelenkschmerzen nach Menopause fragen

Aufgrund der grossen Bedeutung der Hormone für die Gelenkgesundheit sollten Ärzte gezielt nach menopausalen Beschwerden bei Frauen und Zeichen einer Andropause bei Männern fragen. Eine exogene Hormontherapie sollte jedoch nur im Rahmen der aktuellen Zulassung in Betracht gezogen werden.