Medical Tribune
27. Nov. 2023Warum auch hohe Plasmaspiegel riskant sind

HDL-C: Das «gute Cholesterin» verliert seinen Heiligenschein

Die Rolle des HDL-C in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko ist komplexer als bisher angenommen. Experten betonen, dass eine differenziertere Betrachtung notwendig ist, um ein besseres Verständnis für erhöhte oder erniedrigte HDL-C-Werte zu erlangen.

Nicht das pure Gute: Hohe Spiegel an HDL-C.
Steffen Kögler/stock.adobe.com

Von einem «bösen» und einem «guten» Cholesterin zu sprechen, ist ein gern angewendetes, und für Patienten leicht verständliches Konzept zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos.

Doch vor allem das «gute» HDL-C sollte mittlerweile differenzierter betrachtet werden, schreiben Professor Dr. Arnold von Eckardstein, Universitätsspital Zürich und Kollegen (1).

U-förmige Mortalitätskurve

Denn die Assoziation zwischen HDL-C und kardiovaskulären Ereignissen ist komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht.

Zwar sind niedrige Plasmaspiegel ein Risikomarker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Lipoprotein ist jedoch nicht per se das «gute Cholesterin», und eine einfache Regel wie «je höher, desto besser» gilt nicht. Die Assoziationen von HDL-C mit Gesamt- und krankheitsspezifischen Mortalitäten, einschliesslich kardiovaskulärer Mortalität, ist U-förmig. Für Männer liegt der Tiefpunkt der U-Kurve bei etwa 2,3-2,4 mmol/l, für Frauen bei 1,8-1,9 mmol/l. Jenseits dieser Werte steigt das Sterberisiko aber allmählich an.

Vergleichbar mit HbA1c beim Diabetes?

Um die Rolle von HDL-C in der Atherosklerose zu erklären, ziehen die Autoren eine Parallele zum Glukosestoffwechsel. Ähnlich wie bei einem hohen HbA1c, der eine Dysfunktion im Glukosestoffwechsel anzeigt, aber kausal nicht relevant sein dürfte, könnte ein niedriges HDL-C ein indirekter Langzeitindikator für eine postprandiale Hypertriglyzeridämie und deren Atherogenität sein.

Dies würde erklären, warum HDL-modifizierende Medikamente bisher erfolglos geblieben sind. Weder Fibrate noch Niacin noch Inhibitoren des Cholesterinester-Transferproteins konnten in randomisierten Studien die Rate an kardiovaskulären Ereignissen senken. Dennoch ist HDL-Cholesterin als mögliches Zielmolekül für Medikamente noch nicht ausgeschlossen. Denn die meisten der bisher entwickelten Stoffe sind nicht spezifisch auf das Lipoprotein gerichtet, sondern haben weitere Wirkansätze.

Auch ein protektiver Effekt durch die Erhöhung von HDL-C ist damit noch nicht widerlegt, schreiben die Experten. Einige Substanzen befinden sich noch in der Pipeline. In einer laufenden Phase-III-Studie verabreicht man beispielsweise Patienten mit Myokardinfarkt Infusionen von HDL-Analoga, die Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet.

Die vielfältigen biologischen Auswirkungen von HDL-C ergeben Assoziationen mit verschiedenen Erkrankungen (siehe Kasten). Neben der Atherosklerose gibt es Hinweise beim Diabetes mellitus, wonach HDL-C einen protektiven Effekt auf die Betazellen des Pankreas haben könnte. Niedrige Serumspiegel sind bei Patienten mit Typ-2-Diabetes häufig und gehen der Manifes­tation der Hyperglykämie voraus.

Niedrige HDL-C-Spiegel sind kein Behandlungsziel

Auch bei der Niereninsuffizienz scheint es eine U-förmige Assoziation zwischen eGFR und HDL-C-Spiegeln zu geben. Der Mechanismus ist allerdings unklar, womöglich geben High-Density-Lipoproteine schützende Moleküle wie Sphingosin-1-Phosphat an die Niere ab. Auch in puncto Infektionen fanden sich Zusammenhänge. So erhöht ein niedriges HDL-C die Inzidenz und Letalität einer Sepsis, während bestimmte HDL-Substanzen vor Protozoen schützen können. Niedrige HDL-C-Spiegel könnten zudem das Risiko für Autoimmunerkrankungen und Krebs erhöhen, während hohe Werte mit der Entwicklung von Alzheimerdemenz und altersbedingter Makuladegeneration assoziiert sind.

Niedrige Serumspiegel sollen zudem das Risiko für Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie, Morbus Sjögren, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und Morbus Basedow erhöhen. Ausserdem diskutiert man in der Forschung die Verbindung zwischen niedrigem HDL-C und und Krebs. Hohe Werte sollen ebenfalls Folgen haben: Sie sind mit der Entwicklung einer Alzheimer­demenz und der altersbedingten Makuladegeneration assoziiert.

LDL/HDL-Quotient nicht mehr bestimmen

Niedrige HDL-C-Spiegel sollten weiterhin als Risikomarker für kardiovaskuläre Ereignisse betrachtet werden, insbesondere bei asymptomatischen Patienten ohne lipidmodifizierende Therapie, fassen die Autoren zusammen. Ein Behandlungsziel stellen niedrige Werte jedoch nicht dar. Stattdessen sollte bei ihrem Nachweis die Kontrolle anderer Risikofaktoren optimiert und ein gleichzeitig erhöhtes LDL-C mit Statinen gesenkt werden.

Generell sollten HDL-C-Werte differenzierter betrachtet, und nicht nur auf das kardiovaskuläre Risiko fokussiert werden.

Wo HDL-C überall mitmischt

HDL besteht aus einer Vielzahl von Proteinen und Lipiden. HDL-C repräsentiert nur den Cholesteringehalt von HDL, keinesfalls aber dessen gesamte biologische Funktionalität. Zu den pleitropen Funktionen der verschiedenen Subklassen von HDL gehören:

  • Schutz des Endothels durch anti­aggregatorische und anti­koagulatorische Effekte
  • Einfluss auf die Endothelfunktion, z.B. auf Vasorelaxation, Proliferation und Junction-Stabilität
  • Förderung des Überlebens von Betazellen
  • Einfluss auf die Cholesterin-Homöostase
  • Hemmung von Infektionen, Leukozytenadhäsion und Zytokin­sekretion
  • Inaktivierung und Entfernung von Lipidperoxiden