Medical Tribune
14. Sept. 2023Infusionen gegen Kachexie?

«Parenterale Ernährung wird irgendwann eine unnötige Belastung»

Ärzte sollen bei Betroffenen mit weniger als drei Monaten Lebenserwartung auf eine parenterale Ernährung verzichten, besagt eine aktuelle Handlungsempfehlung. In diesem Stadium verbessern aggressive Interventionen weder das Über­leben noch die Lebensqualität.

Eine neue Klug-entscheiden-Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) lautet, im Endstadium einer unheilbaren Krebs­erkrankung (Lebenserwartung < 3 Monate) mit Appetitverlust auf parenterale Ernährung zu verzichten.

Wie Ärzte die Intensität der Massnahmen abwägen sollten, verdeutlicht Prof Dr. ­Andreas ­Neubauer vom Universitätsklinikum Marburg anhand dreier fiktiver Fallbeispiele (1).

Patienten mit einer Lebenserwartung von mindestens drei Monaten profitieren

Als Erstes stellte der Referent einen 54-Jährigen in gutem Allgemein­zustand vor. Er weist ein ausgedehntes Lokalrezidiv eines Hypopharynxkarzinoms auf, welches das Schlucken erschwert. Eine Therapie mit einem Checkpoint-Hemmer soll bald beginnen. «Dieser Patient hat bei fortgeschrittener, nicht mehr kurabler Tumorerkrankung noch eine recht gute Prognose», schätzt der Experte ein. Hier ergibt es Sinn, parenteral und/oder über PEG zu ernähren, die Entscheidung müssten Ärzte gemeinsam mit dem Erkrankten treffen.

Patienten mit einer verbliebenen Lebenserwartung von mehr als drei bis sechs Monaten und Aussicht auf klinische Besserung können von einer Ernährungstherapie profitieren. Wenn aus anatomischen Ursachen heraus keine enterale Nahrungs­zufuhr erfolgen kann, sei eine par­enterale Ernährung gerechtfertigt.

Parenterale Ernährung kann Tumorkachexie nicht verbessern

Patient Nummer 2 hat ein ­NSCLC mit ossären und zerebralen Metastasen, das unter der Drittlinie fortschreitet. Er klagt über Schwäche mit Kachexie und Gewichtsverlust. Um die Lebenserwartung des Betroffenen stehe es hier schon deutlich schlechter, erinnert Prof. ­Neubauer. Denn es gebe da keine effektiven neuen Therapielinien mehr. In diesem Fall würde er Ernährungsberatung und hoch­kalorische Trink­nahrung anbieten.

Eine parenterale Ernährung könne das Vollbild einer Tumorkachexie nicht behandeln und verbessere weder Lebensqualität noch -erwartung. In einer Studie verschlechterte sich der Funktionszustand von Patienten mit einer verbliebenen Prognose von 8–12 Wochen unter dieser sogar schneller als bei oraler Nahrungsaufnahme.

Bei wenigen Tagen Lebenserwartung nicht parenteral ernähren

Der letzte Beispielpatient leidet an einem systemisch progredienten, multipel metastasierten NSCLC und kommt in sehr schlechtem Allgemeinzustand (Delir, beidseitiger Pleuraerguss, Atemnot, ausgedehnte Ödeme) in der Notaufnahme an.

Angesichts einer Prognose von wenigen Tagen würde Prof. Neubauer die laufende parenterale Ernährung in Absprache mit den Angehörigen einstellen und sich auf Supportivmassnahmen beschränken. Alle Interventionen sollten der Lebensqualität dienen. «In der letzten Lebensphase ist es völlig klar, dass Patienten nicht mehr von irgendwelchen aggressiven, insbesondere Chemotherapiemassnahmen profitieren», mahnte der Arzt.