Neurologisch bedingten Schwindel korrekt abklären
Das unspezifische Symptom Schwindel lässt sich durch gezielte Fragen und eine strukturierte Überprüfung des Vestibularorgans gut einordnen. Peripher und zentral vestibulär bedingte Beschwerden sind dabei von funktionellen Syndromen abzugrenzen.
Bei der Abklärung von Schwindel geht es zunächst darum, per Anamnese Art, Dauer und Begleitumstände der Beschwerden zu erfassen.
Wie im Karussell, auf dem Schiff oder wie im Fahrstuhl?
Die Frage, ob es sich eher wie im Karussell, wie auf dem Schiff oder wie im Fahrstuhl anfühlt, hilft bei der Unterscheidung zwischen Dreh-, Schwank- und Liftschwindel, erläutern deutsche Autoren in einer Übersichtsarbeit (1).
Zudem ist wichtig: Ist der Patient gangunsicher oder fühlt er sich benommen? Treten die Symptome episodisch auf oder sind sie dauerhaft vorhanden? Wie lange halten die Attacken an? Möglicherweise kann der Patient zudem auslösende Faktoren benennen, z.B. bestimmte Bewegungen, Stress, körperliche Aktivität oder eine neue Brille.
Weitere Anhaltspunkte liefern eventuelle zusätzliche Symptome wie Übelkeit, Seh-, Sprech- oder Schluckstörungen, Sensibilitätsstörungen, Ohrgeräusche, Kopfschmerzen oder Palpitationen. Schliesslich ist interessant, ob der Patient an internistischen Erkrankungen, Ängsten oder Depression leidet und welche Medikamente er einnimmt.
Nystagmus weist auf zentralen Schwindel hin
Die klinische Untersuchung des vestibulären Systems gelingt mit einfachen Mitteln. Mithilfe der Frenzelbrille kann man einen etwaigen Nystagmus identifizieren und die Frage klären, ob dieser zentral oder peripher ist. Ein zentraler Nystagmus lässt sich anders als ein peripherer durch Fixation nicht unterdrücken.
Weitere Informationen liefert die Richtung des Nystagmus: Ein horizontaler Nystagmus, der nur in eine Richtung schlägt, spricht für eine periphere vestibuläre Störung, ein Blickrichtungsnystagmus für eine zentrale. Auch ein vertikaler oder torsioneller Nystagmus zeigt eine zentrale Schädigung an.
Funktioneller Schwindel
In diese Kategorie gehören der phobische Schwankschwindel und der postural-perzeptive Schwindel. Die Patienten klagen über ein mehrere Monate anhaltendes Schwindel- oder Benommenheitsgefühl («wie auf Watte»), dessen Symptomstärke im Tagesverlauf variiert.
Viele Patienten entwickeln ein ängstliches Vermeidungsverhalten. Sportliche Aktivität und Ablenkung lindern die Beschwerden.
Videounterstützung hilft beim Kopfimpulstest
Beim Kopfimpulstest sitzen sich Patient und Arzt gegenüber. Während der Patient die Nase des Arztes fixiert, dreht dieser den Kopf des Patienten um 10–20° zu einer Seite. Ist der vestibulookuläre Reflex intakt, bleiben die Augen des Patienten auf die Nase fixiert.
Bei pathologischem Reflex folgen die Augen zunächst der Drehrichtung und stellen sich dann wieder in die fixierende Position zurück. Sensitiver und spezifischer wird der Test durch eine Videounterstützung.
Skew-Deviation spricht für eine zentrale Störung
Eine Divergenz der Vertikalstellung beider Augen (Skew-Deviation) spricht für eine zentrale Störung. Sie tritt bei einem akuten Hirnstamminfarkt bei etwa 30 Prozent der Fälle auf.
Durch gezielte Manöver lässt sich ein benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS) erkennen. Dazu bringt man den auf der Liege sitzenden Patienten mit 45° seitlich gedrehtem Kopf in die Rückenlage, wobei der Kopf um 20° überstreckt wird. Der auftretende Nystagmus liegt mit dem betroffenen Bogengang in einer Ebene. Beim zentralen Lagerungsschwindel hingegen schlägt der Nystagmus bei jeder Kopfposition in dieselbe Richtung.
Auf einem Bein hüpfen, im Seiltänzergang gehen
Stand- und Gehfähigkeit lassen sich überprüfen, indem man den Patienten bittet, jeweils mit offenen und geschlossenen Augen verschiedene Positionen und Übungen auszuführen (z.B. die Füsse nebeneinander halten, auf einem Bein stehen oder hüpfen, im Seiltänzergang gehen).
Im Notfall kommt es vor allem darauf an, eine schwerwiegende zentral-vestibuläre Ursache wie einen Schlaganfall nicht zu übersehen. Dafür besitzt der HINTS-Test eine Sensitivität, die mit der einer MRT gleichzusetzen ist. Der HINTS-Test umfasst den Kopfimpulstest (Head Impulse), die Nystagmusprüfung und die Prüfung der Skew-Deviation (Test of Skew).
Bei einem negativen Kopfimpulstest, einem horizontalen Blickrichtungsnystagmus und einer Skew-Deviation liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkt bei über 90 Prozent. Bleiben Unklarheiten, lassen sich mit einem MRT sowohl vaskuläre als auch entzündliche Ursachen für den Schwindel ausschliessen.
Häufige Formen des Schwindels
BPLS (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel)
- kurze (max. 1 min) Drehschwindelattacken bei Wechsel der Kopfposition
- Lagerungsnystagmus
- Ursache: Verrutschen von Otholithen in einen Bogengang, meist in den posterioren
Neuropathia vestibularis
- akut einsetzender Drehschwindel, der mindestens 24 h anhält
- oft von Oszillopsien, Fallneigung und Übelkeit begleitet
- horizontal-torsioneller Spontannystagmus mit schneller Komponente zur nicht betroffenen Seite; supprimierbar durch Fixation
- Ursache: vermutlich Reaktivierung einer Herpes-simplex-1-Infektion
Vestibuläre Migräne
- Drehschwindelattacken von 5 min bis 3 d Dauer
- meist in Zusammenhang mit einer längeren Migräneanamnese
M. Menière
- Schwindelattacken von 20 min bis 12 h Dauer
- Hörminderung für Frequenzen < 2000 Hz
- fluktuierender Tinnitus
- Ursache: wahrscheinlich multifaktoriell bedingter Endolymphhydrops
- Erbguth FJ. Schwindel aus neurologischer Sicht [Vertigo from a neurological point of view]. Dtsch Med Wochenschr. 2023 Feb;148(4):160-168. German. doi: 10.1055/a-1908-0353