Medical Tribune
9. Sept. 2023Gezielte Beurteilung vor einem Eingriff

Welcher Patient braucht welche präoperative Diagnostik?

Um die bestmögliche perioperative Sicherheit von Patienten gewähren zu können, spielt die präoperative Erfassung des gesamten Gesundheitszustandes eine essenzielle Rolle. Dr. Mirko Brenni, See-Spital Horgen, zeigt auf, welche Abklärungen präoperativ Sinn ergeben.

Roentgendbild Oberkörper mit Pektoralisschatten
wikimedia/Hellerhoff

Seit jeher tragen Operateure und Anästhesisten gemeinsam die perioperative Verantwortung für den Patienten, sagt Dr. Mirko Brenni, Chefarzt Anästhesiologie, Intensivmedizin, Rettungsmedizin vom See-Spital Horgen.

ASA-Klassifikation bietet erste grobe Orientierung

Der Chirurg ist dabei für

  • das chirurgische Vorgehen und
  • die postoperative Therapie,

der Anästhesist für

  • die präoperative Risiko-Abklärung,
  • das perioperative Management mit der Erhaltung der Vitalfunktionen und deren
  • postoperative Überwachung

verantwortlich.

Das Ziel von präoperativen Abklärungen ist es, die Patienten im Vorfeld der Operation effizient und fokussiert zu untersuchen und dadurch Patienten und Hausärzten überflüssige Diagnostik zu ersparen.

Die Klassifikation der American Society of Anesthesiologists (ASA) ist weltweit verbreitet. In der Anästhesie wird sie als diagnostisches Instrument zur Abschätzung des perioperativen Risikos mit Einteilung des Patienten in sechs Risikogruppen verwendet – sie bietet jedoch nur eine grobe Orientierung.

Effiziente kardiovaskuläre Risikostratifikation

«Die ASA-Klassifikation allein ist nicht hilfreich, es braucht einen physischen Status. Bei dringlichen Eingriffen kann sonst nur eine beschränkte kardiovaskuläre Risikoevaluation stattfinden», so Dr. Brenni.

Das Operationsrisiko und das Patientenrisiko bilden zusammen das Gesamtrisiko. Das Operationsrisiko ist definiert als Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses, eines kardiovaskulären Todes oder eines Myokardinfarkts bis 30 Tage postoperativ und hängt von der Art der Operation ab. Es ist unabhängig von Vorerkrankungen.

Bei mittlerem bis hohem Operationsrisiko erfolgt die Beurteilung des Patientenrisikos (kardiale Risikofaktoren und körperliche Leistungsfähigkeit): Der Revised Cardiac Risk Index (RCI) ist ein klinisch orientierter Risikoindex, den man als Ergänzung zur ASA-Risikoklassifizierung verwendet. Er berücksichtigt eine bekannte Herzinsuffizienz, eine bestehende koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus und eine chronische Niereninsuffizienz mit einer eGFR unter 50 ml/min/1,73m2.

«Ein guter Anhaltspunkt für die kardiovaskuläre Reserve ist zudem das metabolische Äquivalent (MET). Man verwendet es, um den Energieverbrauch verschiedener körperlicher Aktivitäten zu vergleichen», so der Experte. «Eine körperliche Belastbarkeit von 4 MET bedeutet, dass der körperliche Ruheumsatz um das Vierfache gesteigert ist.»

Kein routinemässiges Thorax-Röntgen empfohlen

Die Wahrscheinlichkeit eines kardialen perioperativen Ereignisses berechnet sich aus dem Operationsrisiko, der körperlichen Leistungsfähigkeit und den kardialen Risikofaktoren. Letztere sind entscheidend für weitere Abklärungen.

So ist ein EKG bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit und kardialen Risikofaktoren sowie bei hohem Operationsrisiko notwendig. Bei intermediärem und hohem Operationsrisiko werden entsprechend präoperativer Anamnese und Medikation Laboruntersuchungen durchgeführt. Auch wenn viel Blutverlust erwartet wird oder eine Antikoagulation vorliegt, erfolgt eine grössere Laboruntersuchung.

Zusätzlich muss hierbei gemäss den Regeln des Patient Blood Managements zwingend eine präoperative Anämie gesucht und behandelt werden, da diese ein eigenstätiger Faktor für eine erhöhte Morbidität und Mortalität ist.

Das Thorax-Röntgen ist routinemässig sowie auch bei stabiler bekannter Lungenerkrankung wie COPD und Asthma nicht indiziert, sondern nur bei neu aufgetretener oder instabiler kardiopulmonaler Symptomatik und bei Eingriff an intrathorakalen Organen (Herz, Lunge, Mediastinum). Die Echokardiografie ist für Patienten ohne Risikofaktoren oder Eingriffe mit tiefem bis mittleren Risiko nicht empfohlen.

Perioperative Konsequenzen: Medikamente absetzen?

In Bezug auf Medikamente gilt die Faustregel: Alles, was stabilisiert, perioperativ weitergeben – alles, was destabilisiert, perioperativ absetzen, betont der Referent. Kalziumantagonisten und Betablocker soll man weitergeben, ACE-Hemmer und Diuretika soll man stoppen im Hinblick auf das Volumenmanagement.

Gerinnungshemmende Medikamente muss man optimieren (absetzen oder bridgen). Bei den nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAKs) ist der Absetzzeitpunkt wichtig aufgrund ihrer Halbwertszeit, die bei Niereninsuffizienz verlängert sein kann.

Der Experte empfiehlt, NOAKs einen bis drei Tage vor der Operation abzusetzen, es ist kein Bridging angezeigt. Acetylsalicylsäure soll man kontinuierlich weitergeben, ausser bei neurochirurgischen Operationen, da hier bei einer etwaigen Nachblutung nicht viel Platz zur Kompression vorhanden ist.