Medical Tribune
5. Juli 2023«Alkoholtherapie goes online»

Online-Therapien erreichen Menschen mit Alkoholsucht besser

Von Erwachsenen mit Alkoholgebrauchsstörung ist ein grosser Teil unbehandelt. Neue webbasierte Angebote könnten diese Versorgungslücke schliessen und etablierte Therapie­ansätze ergänzen.

Neue Online-Programme helfen Menschen mit Alkoholsucht.
eclipse_images/gettyimages

In der Therapie von Alkoholgebrauchsstörungen setzte man lange Zeit vorrangig auf Selbsthilfegruppen. Mittlerweile gehören psychosoziale und psychotherapeutische Methoden fest zum Behandlungskonzept.

Immer mehr Frauen und höher Gebildete erkranken

Doch obwohl die Angebote des klassischen Hilfesystems bei Alkoholsucht wissenschaftlich gut untersucht sind, wird nur ein Bruchteil der Betroffenen erreicht: Weniger als 15 Prozent erhalten eine adäquate Behandlung. All zu oft wird diese ausserdem erst nach einem jahrelangen Krankheitsverlauf und damit sehr spät begonnen.

Hinzu kommt, dass sich die Zielgruppe für die Interventionen verändert hat. Suchthilfeangebote waren klassischerweise auf Männer und ältere Menschen mit niedrigem Bildungsstatus und Arbeitslosigkeit zugeschnitten. Heute erkranken aber zunehmend auch Jüngere, Frauen und höher Gebildete an einer Alkoholgebrauchsstörung.

Diese Menschen benötigen zielgruppenspezifische Angebote. Wichtig ist, dass sich diese gut in den privaten und beruflichen Alltag integrieren lassen.

Therapie muss sich gut in den Alltag integrieren lassen

Grosses Potenzial haben der Auffassung von Autoren einer neuen Übersichtsarbeit nach (1) webbasierte Interventionen, sogenannte eHealth-Angebote. Sie können als alleinige Behandlungsmassnahme oder therapieflankierend in verschiedenen Stadien der Alkoholgebrauchsstörung durchgeführt werden, etwa zum Austausch in web­basierten Selbsthilfegruppen oder im Anschluss an eine ambulante oder stationäre Behandlung oder Kurzzeit­intervention.

Als Beispiel für eine Online-Intervention nennen die Experten das Angebot «Ohne Alkohol mit Nathalie» (OAmN), das von einer ehemals selbst Betroffenen entwickelt wurde. Um in Eigenregie Abstinenz zu erlangen und zu erhalten, steht den Patienten neben dem Einstiegsprogramm «Die ersten 30 Tage ohne Alkohol» und dem 60-tägigen Programm «Abstinenz stabilisieren» auch eine App zur Verfügung. Diese kombiniert persönliche Ansprache per Video und Mail mit Begleitmaterialien wie Tagebüchern, Audiotrainings und einer moderierten Online-Gruppe.

78 Prozent gaben nach Abschluss des Programms Abstinenz an

Die 30-Tage-Intervention erwies sich in einer Evaluation als abstinenzförderlich – von den Teilnehmern lebten 78 Prozent einer Befragung zufolge nach Nutzen des Programms abstinent. Es zeigte sich aber noch etwas anderes: Viele der Programmteilnehmer hatten sich zuvor kaum oder noch nie in Therapie befunden. Damit war die Web-Intervention offenbar vor allem für jene eine Option, die über das klassische Suchthilfe­system nicht erreicht wurden.

Als Vorteile internetbasierter Angebote nennen die Autoren vor allem die niedrige Hemmschwelle für ihre Anwendung sowie die Möglichkeit, Stigmatisierung zu vermeiden. Zudem lassen sie sich rasch nutzen. Auf der anderen Seite ist es schwierig, über digitale Interventionen empathische Beziehungen zwischen Betroffenen und Therapeuten aufzubauen oder Begleiterkrankungen mitzubehandeln.

Dennoch eröffnen Programme wie OAmN neue Chancen in der Therapie von Alkoholgebrauchsstörungen. Erste Metaanalysen haben den Effekt von digitalen Interventionen bereits untersucht. Die Autoren betonen jedoch, dass die Datenlage zu eHealth-Angeboten insgesamt noch überschaubar und vor allem sehr heterogen ist.