Drei Mythen zum Restharn
Manche «Erkenntnisse» halten sich in der Medizin hartnäckig, selbst wenn sie schon längst durch Studien widerlegt sind. Auch um den Restharn kursieren schier unausrottbare Mythen.
Dazu gehören etwa, dass der Restharn für vermehrte Harnwegsinfekte sorgt, Funktionsstörungen der Niere verursacht, oder zum Harnverhalt führt. Alle sind falsch, sagt Urologe Professor Dr. Andreas Gross von der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg (1).
Mythos 1: Restharn sorgt vermehrt für Harnwegsinfekte
«Warum sollte Restharn Harnwegsinfektionen verursachen? Ich weiss nicht, wie das in die Urologie gekommen ist», moniert der Experte. «Nicht jeder Keimnachweis im Urin bedeutet automatisch eine Infektion, ausserem fehlt jeglicher Beleg dafür, dass Harnwegsinfekte mit zurückbleibendem Harn und/oder einer Blasenauslassobstruktion assoziiert sind». Das gilt auch bei Diabetikern und geriatrischen Patienten, betont der Urologe.
Die Menge des Restharns spielt ebenfalls keine Rolle für das Infektionsrisiko. Prof. Gross hat als Assistenzarzt noch gelernt, dass ab 50 Millilitern operiert werden muss: «Das darf man gar nicht mehr erzählen.» Er berichtete von einem Patienten, der in der zehnten Lebensdekade mit zwei Liter Restharn «glücklich gestorben» ist. Was aber feststeht: Liegt eine Harnwegsinfektion vor und besteht gleichzeitig Restharn, ist es schwieriger, den Infekt zu sanieren.
Mythos 2: Restharn verursacht Funktionsstörungen der Niere
Nein! Ein Nierenstau kommt bei Prostata-Patienten mit Restharn nach Erfahrung von Prof. Gross extrem selten vor. Damit Restharn für die Niere gefährlich wird, müssen rezidivierende, gegebenenfalls aufsteigende Harnwegsinfektionen, eine Hypertonie oder eine verminderte Dehnbarkeit der Harnblasenmuskulatur hinzukommen.
Dies ergab die Untersuchung von 2.741 Patienten mit Lower urinary tract symptoms (LUTS), von denen 5,9 Prozent eine Kreatinin-Erhöhung, gleichzeitig aber auch einen Diabetes und/oder eine arterielle Hypertonie aufwiesen. Kein Zusammenhang war zwischen einem erhöhten Kreatinin und Alter, BMI, PSA, Prostatavolumen sowie Restharn zu erkennen.
Mythos 3: Restharn führt zum Harnverhalt
Auch diese Aussage ist falsch. Dafür sprechen Beobachtungen aus der Studie MTOPS, die sich eigentlich mit der medikamentösen Therapie des benignen Prostatasyndroms (BPS) beschäftigte. 3.047 Patienten mit LUTS und einem Harnfluss von vier bis 15 Millilitern pro Sekunde (normal sind 15–50 ml/s) wurden viereinhalb Jahre lang mit unterschiedlichen BPS-Medikamenten oder Placebo behandelt.
Im Verlauf entwickelten Placebo-Patienten, die bereits initial Restharn gezeigt hatten, nicht häufiger einen akuten Harnverhalt als die Verum-Gruppe. Dies bedeutet aber nicht, dass Restharn beim BPS gar keine Rolle spielt. Er kann die klinischen Symptome verstärken, etwa die Nykturie.
Hat ein Mann eine Blasenkapazität von z.B. 400 ml und einen Restharn von 150 ml, bleibt in der Blase nur noch Spielraum für 250 ml, rechnet Prof. Gross vor. Das bedeutet, auch nachts häufiger zur Toilette zu müssen.
17. Allgemeinmedizin-Update-Seminar