Medical Tribune
30. Apr. 2023Die etwas andere Gras-Allergie

Allergische Reaktionen auf Cannabis

Beim Konsum von Cannabis ist eine steigende Zahl an Nutzern und somit auch eine Zunahme unerwünschter Wirkungen zu erwarten. Eine wahrscheinlich unterschätzte Folge des vermehrten Gebrauchs ist die Allergie. Mit ihr werden Ärzte immer häufiger konfrontiert.

Cannabis-Allergien können unterschiedliche Ausprägungen annehmen.
OpenRangeStock/GettyImages

Bei der Cannabis-Allergie handelt es sich üblicherweise um eine Soforttypreaktion. Diese wird am häufigsten durch (Passiv-)Rauchen ausgelöst, schreiben Dr. Alessandro Toscano von der Universität Antwerpen und Kollegen (1).

Aber auch Nahrungsmittel wie Hasch-Brownies, Hanfsaat, Öle und Marihuana-Tee können entsprechende Beschwerden verursachen. Diese manifestieren sich dabei meist innerhalb von 30 Minuten. Rhinokonjunktivitis und Asthma treten dabei relativ häufig auf, ausserdem kann es zu generalisiertem Juckreiz, Urtikaria und Angioödemen kommen. Kardio­vaskuläre und gastrointestinale Beschwerden sind möglich, aber selten.

Sensibilisierung mittels Prick-top-Prick-Test nachweisen

Bis zu 20 Prozent der Cannabis-Allergie-Patienten entwickelten eine Anaphylaxie. Der einzige berichtete Todesfall ereignete sich aber nach einer parenteralen Applikation, was an sich eher ungewöhnlich ist, schreiben die Forschenden. Die diagnostische Schwierigkeit besteht vor allem darin, die Allergie-Symptome von den üblichen Nebenwirkungen abzugrenzen, weil sie sich teilweise ähneln (s. Tabelle).

Natürlich kann auch eine Allergie gegen Cannabis­pollen bestehen, beispielsweise wenn Menschen in der Nähe von Feldern wohnen. Aber auch über eine kutane Spättyp­reaktionen in Form einer Dermatitis wurde iIn Einzelfällen berichtet. Dies betraf etwa Erntearbeiter oder Anwender von Hanföl.

Am Anfang der Diagnostik steht die sorgfältige Expositionsana­mnese. Wenn ein Kontakt möglich erscheint, muss die Sensibilisierung nachgewiesen werden. Traditionell dient dazu ein Prick-to-Prick-Test mit Knospen, Blättern und anderem Rohmaterial, sofern es sich legal beschaffen lässt. Auch ein Hauttest mit selbst hergestellten Cannabis­­extrakten kommt in Betracht, eventuell angereichert mit dem Allergen Can s 3. Alternativ kann das hanfspezifische IgE gemessen werden. Auch zelluläre Stimulationsverfahren wie der basophile Aktivierungstest (BAT) eignen sich zum Nachweis.

Kandidaten spezifisch auf Kreuzreaktionen testen

Wenn sämtliche Analysen negativ ausfallen, kann man eine Cannabis-Allergie mit hinreichender Sicherheit ausschliessen. Bei positiven Test­ergebnissen sollte eine Sensibilisierung gegen die einzelnen Allergen­komponenten (z.B. Profilin) geprüft werden, um falsch-positive Kreuzreaktionen auszuschliessen. Geeignete industriell hergestellte Testsubstanzen gibt es derzeit aber nur begrenzt.

Provokationsverfahren werden wegen der damit verbundenen Risiken bisher nicht routinemässig eingesetzt. Eine allergische Kontaktdermatitis lässt sich eventuell mit einem Epikutantest sichern.

Die einzige wirksame Kausal­therapie besteht in der vollständigen Allergenkarenz. Falls diese nicht möglich ist – sei es aufgrund der beruflichen Exposition (Polizisten, Forensiker, Produktion) oder weil sie passiver Natur ist –, bleibt nur die symptomatische Therapie. Patienten, die bereits eine anaphylaktische Reaktion hatten, sollten für den Notfall einen Adrenalin-Autoinjektor bei sich tragen. Bei einer Cannabis-Nahrungsmittelallergie sind auch kreuzreaktive Kostbestandteile zu meiden (s. Kasten).

Cannabis-Kreuzallergie mit Tomaten, Nüsse & Bier

Insbesondere in Europa reagieren manche Menschen, die sich gegen Cannabis sativa sensibilisiert haben, auch auf Tomaten, Nüsse und diverse Früchte. Dieses Phänomen wird auf eine Homologie zwischen wichtigen Hanf-Allergenen wie dem Lipidtransferprotein Can s 3 und solchen der beteiligten Nahrungsmittel zurückgeführt. Auch entsprechende Kreuzreaktionen mit Wein und Bier (bzw. Gerste, Trauben) wurden inzwischen ebenfalls beschrieben.

Konsum routinemässig in der Anamnese abfragen

Einige Patienten profitieren vom Anti-IgE-Antikörper Omalizumab, wie das Beispiel einer Polizistin zeigt. Sie hatte mehrfach nach beruflicher Exposition eine Anaphylaxie entwickelt, konnte aber weitere Kontakte berufsbedingt nicht ausschliessen. Nach vierwöchiger Behandlung tolerierte sie selbst grössere Mengen Cannabis ohne anaphylaktische Reaktion. Bei einem anderen Patienten mit Hanfpollen-assoziierter Rhinitis und asthmatischer Reaktion wurde erfolgreich eine allergenspezifische Immun­therapie durchgeführt.

Angesichts einer zu erwartenden graduellen Liberalisierung der Gesetzgebung und der wahrscheinlich zunehmenden Verbreitung raten die Autoren, den Cannabiskonsum in Anamnesegesprächen routinemäs­sig zumindest einmal abzufragen. Man müsse Cannabis diesbezüglich ähnlich gewichten wie Tabak bzw. den Rauchstatus – aber auch ähnlich unaufgeregt und sachlich damit umgehen, betonen sie. Analog zu Patienten mit einer Nikotinabhängigkeit sollte auch diesen Menschen eine wertungsfreie, sorgfältige Aufklärung und Beratung zuteilwerden.

Typische pharmakologische Wirkungen von Cannabis

Organ Nebeneffekte (Auswahl)Allergie (Auswahl)
Augenklar und gerötet, dilatierte Bindehautgefässe, kein Juckreiztrübe, gerötete Konjunktiven, Juckreiz
NaseKongestion ohne Juck- oder Niesreiz Kongestion mit Juck- und Niesreiz 
Mund/Rachenkein Juckreiz, diffuse
Gingivahyperplasie,
Xerostomie, Leukodermie, Candida, Karies, Heiserkeit   
Juckreiz an Gaumen/Rachen, Gaumen und Uvula können anschwellen und glasig
erscheinen
HerzAnstieg von Blutdruck und HerzfrequenzHypotonie und
Bradykardie (Anaphylaxie)
LungeHusten und GiemenHusten und Giemen
GastrointestinaltraktHyperemesisBauchkrämpfe (Anaphylaxie)
nach Toscano et al.