Was für die Varizella-zoster-Impfung von Säuglingen spricht
Seit Januar 2023 gehört die Varizellen-Impfung im Schweizerischen Impfplan zu den Basisimpfungen. Durch die breite Anwendung der Vakzine erhofft man sich nicht nur einen Schutz vor schweren Verläufen der Akutinfektion, sondern auch langfristig Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit.
So sieht eine Infektion mit dem Varizella-zoster-Virus (VZV) in den meisten Fällen aus. Die Windpocken machen sich – meist zuerst am Kopf, dann am gesamten Körper – durch rote Flecken bemerkbar, die sich zu einem stark juckenden Exanthem entwickeln. Diese entwickeln sich zu Knötchen, dann zu Bläschen, und verkrusten schliesslich. Typischerweise kommen mit dem Ausschlag auch grippale Symptome wie Fieber.
«Die Infektion findet typischerweise im Kindesalter statt, wo sie meist zwar mühsam, aber nicht gefährlich ist», erklärt Dr. Daniel Desgrandchamps, Medizinischer Leiter des Impfzentrums am Kantonsspital Zug (1). «Aufgrund der hohen Infektiosität des DNA-Virus aus der Familie der Herpesviren (ein Infizierter steckt statistisch 10-12 Suszeptible an) besteht in Europa und Nordamerika bei Kindern im Alter von 12 Jahren eine Seroprävalenz von rund 95 Prozent.» In der Schweiz geht man davon aus, dass im Alter von 50 Jahren fast 100 Prozent der hier aufgewachsenen Erwachsenen Kontakt mit dem Virus hatten.
Fehlbildungen beim Ungeborenen, schwere Infektionsverläufe bei Immunsupprimierten
Problematisch, führt Dr. Desgrandchamps aus, ist aber nicht der Regelfall, sondern die Sonderfälle. Dazu gehört bei der VZV-Infektion die Schwangerschaft. Das betrifft in der Schweiz vor allem Frauen mit Migrationshintergrund: «In Gegenden wie den Tropen oder Subtropen ist die Prävalenz der Varizellen nicht so hoch wie bei uns. Werdende Mütter, die in diesen Regionen aufgewachsen sind, haben möglicherweise noch keine Varizellen-Infektion durchgemacht», erinnert der Experte.
Infizieren sich Frauen in der Schwangerschaft frisch mit Varizella zoster, sind diese einerseits anfälliger für Komplikationen (z.B. die Varizellen-Pneumonie) als Nichtschwangere. Andererseits kann die dann stattfindende kongenitale Infektion des Ungeborenen Probleme verursachen. «Das VZV ist ein neurotropes Virus, und steht im Zusammenhang mit Fetopathien wie Enzephalitiden, Meningitis oder Zerebritis», so Dr. Desgrandchamps. Und auch die Gefahr einer perinatalen Infektion durch die Mutter ist nicht zu verachten: Infiziert sich ein Neugeborenes transplazentär mit den Windpocken, hat dieses im Gegensatz zur aerogenen Übertragung meist mit einer massiven Viruslast und schweren Erkrankungsverläufen zu kämpfen. Die Letalität solcher Neugeborener beträgt rund 30 Prozent.
Mit Komplikationen haben Patienten aber auch dann zu rechnen, wenn ihre Erstinfektion mit VZV verzögert im Jugend- und Erwachsenenalter auftritt. «Dann sind die Varizellen-Meningitis, -Pneumonie oder das Ramsay-Hunt-Syndrom (Zoster oticus) wesentlich häufiger», so der Experte. Sehr schwere Verläufe der Akutinfektion sind zudem typisch bei Menschen mit Immunsuppression.
Komplikation Gürtelrose
Die bei weitem häufigste Komplikation des Varizella-zoster-Virus, die Gürtelrose, hat aber nichts mit der akuten Infektion zu tun. Diese tritt typischerweise erst Jahrzehnte nach der Erstinfektion auf.
Dr. Desgrandchamps erklärt das so: «Hat man sich erst einmal mit dem VZV infiziert, bekämpft das Immunsystem den Infekt. Dadurch wird man aber zwar die Krankheitssymptome los, aber nicht das Virus.» Nach der Akutinfektion verschanzt es sich, und persistiert latent das ganze Leben lang hauptsächlich in den sensorischen Hinterhorn-Ganglien, aber auch im Bereich der Hirnnerven, wo es sich als Zoster ophthalmicus oder als Zoster opticus manifestieren kann.
Nach der Erstinfektion kommt es so immer wieder zu subklinischen endogenen Reaktivierungen mit dem Virus, die aber durch körpereigene VZV-Antikörper in Schach gehalten werden. Im Alter ab 50 Jahren lässt dann aber die adaptive Abwehr generell nach, und es kann zu symptomatischen Flares kommen. Bei rund einem Drittel des VZV-Infizierten reaktiviert sich das Virus im Verlauf des Lebens. Dabei wächst das Virus entlang der betroffenen Nerven, und es kommt zur klassischen Gürtelausprägung, von der die Krankheit auch ihren englischen Namen «Shingles» (von lat. Cingula=Gürtel) hat.
In der Schweiz gibt es rund 30.000 Herpes-zoster-Fälle pro Jahr. Die meisten verlagern sich in die Altersgruppe 50+; ab 50 kommt es pro Jahr bei sieben pro 1.000 Personen zu einer Gürtelrose, bei Personen über 70 Jahren sind es bereits 14 pro 1.000. Hospitalisiert werden müssen pro Jahr zwischen 550 und 2.700 Personen aufgrund von Herpes zoster – die meisten davon im höheren Lebensalter.
Immunität durch Nestschutz und Impfung
«Die ersten Lebensmonate haben Säuglinge noch einen Nestschutz gegen VZV durch transplazentare Antikörper der Mutter», erinnert Dr. Desgrandchamps. Dieser lässt jedoch rapide nach. Dann kommt es unweigerlich zur Infektion – ausser die Kinder erhalten vorher eine Impfung gegen das Varizella-zoster-Virus. Seit Anfang des Jahres ist diese nun als Basisimpfung Teil des Schweizer Impfplans.
Derzeit sind mehrere Impfstoffe gegen das VZV in der Schweiz verfügbar, berichtet der Experte. Dazu zählen zwei Einzelimpfstoffe, sowie zwei mit der MMR-Impfung kombinierte Vakzine.
Bei allen VZV-Vakzinen handelt es sich um Lebendvirusimpfungen. Für einen vollständigen Impfschutz werden zwei Dosen benötigt, die im Mindestabstand von vier Wochen verabreicht werden müssen. Die Immunogenität ist sehr hoch – bei rund 99 Prozent der Personen finden sich nach der zweiten Impfdosis spezifische Antikörper, die bei mindestens 97 Prozent für mindestens ein Jahr persistieren. Mit zwei Dosen sind gesunde geimpfte Kinder zu über 92 Prozent gegen jede Varizellenerkrankung geschützt, der Schutz gegen schwere Erkrankung ist höher als 95 Prozent.
Echte Kontraindikationen gegen die Impfung sind wie immer bei einer Lebendimpfung die Immunsuppression, sowie, wenn auf einen anderen VZV-Impfstoff bereits eine Anaphylaxie stattgefunden hat. Eine weitere Kontraindikation ist die Schwangerschaft; «denn man könnte theoretisch davon ausgehen, dass das abgeschwächte Virus, ähnlich wie bei der MMR-Impfung, Fetopathien auslöst. Dafür gibt es aber zum Glück keinerlei Anzeichen», erklärt der Experte. Stellt sich also heraus, dass eine Frau zum Zeitpunkt der Impfung unbemerkt schwanger war, besteht keine Gefahr.
Entwarnung für Fieberkrämpfe nach Varizella-zoster-Impfung
«Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die VZV-Einzel- und Kombinationsimpfungen gut vertragen werden», so Dr. Desgrandchamps. Die häufigste Nebenwirkung der VZV-Impfung sind Hautausschläge; meistens handelt es sich dabei um ein Erythem, das bei 15 bis 20 Prozent der Kinder kurz nach der Impfung vor allem um die Injektionsstelle auftritt. Gelegentlich kann durch die Lebendimpfung auch ein leichtes Exanthem, das den Hauteffloreszenzen einer milden VZV-Infektion ähnelt, nach einer bis vier Wochen auftreten. Etwa 15 Prozent der Kinder fiebern ausserdem kurz nach der Impfung – rund vier Prozent bekommen verzögert nach sieben bis 21 Tagen Fieber. «Darüber sollten die Eltern aufgeklärt werden» sagt Dr. Desgrandchamps.
«Für einige Zeit schien es, als gebe es nach der ersten Dosis mit kombinierten VZV-Impfungen ein Signal für eine erhöhte Inzidenz von Fieberkrämpfen», berichtet Dr. Desgrandchamps. Neuere Daten zeigen jedoch, dass der Unterschied zwischen kombiniertem und Einzelimpfstoff, wenn überhaupt vorhanden, klein ist. Eine italienische Postmarketing-Studie ergab, dass 0,17 Prozent der 14 Monate alten Kindern, die die kombinierte MMRV-Impfung erhalten hatten, einen Fieberkrampf durchgemacht haben. In der Gruppe der Kinder, die eine MMR-Impfung und die VZV-Impfung erhalten hatten, waren es 0,14 Prozent.
Antipyretische Medikation sollte bereits im Haus sein
«Im Allgemeinen liegt die Vermutung nahe, dass Kinder, die zu Fieberkrämpfen neigen, nur auf die erste Gelegenheit warten, hohes Fieber zu bekommen.» Somit würden diese nach der ersten Impfung, die Fieber erzeugt, auch einen Fieberkrampf bekommen. «Eltern sollten auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Wenn die Kinder hohes Fieber entwickeln, ist es günstig, bereits eine antipyretische Medikation im Haus zu haben.» Er erinnert zudem, dass sich bei Lebendimpfungen typischerweise erst ein Infekt entwickeln muss, bevor das Fieber auftritt. Das dauert im klassischen Fall rund fünf bis zehn Tage.
Mit dem Einplanen der ersten Impfung im Alter von neun Monaten hofft man ausserdem, die kritische erste Dosis auf einen Zeitpunkt zu verlagern, zu dem Fieberkrämpfe noch selten sind: Diese treten hauptsächlich zwischen 12 und 24 Monaten auf, der Peak liegt bei zwölf Monaten (2). Vor dem Alter von 12 Monaten ist die Inzidenz sehr viel tiefer.
Keine Verschiebung des Infektionsmusters durch die VZV-Impfung
In Deutschland ist die die VZV-Impfung bereits im Jahr 2004 eingeführt worden. Besonders die Eltern waren starke Befürworter der Impfung, die Begeisterung der Kinderärzte zog nach. Nach zwei bis drei Jahren hatte sie sich etabliert, berichtet Dr. Desgrandchamps. Danach wurde in den Praxen ein dramatischer Rückgang der Fälle von Varizellen berichtet – eine Beobachtung, die man auch nach der Einführung der Impfung in den USA gemacht hat.
Die Impfung, so der Experte, soll also nicht nur die Krankheitslast der primären Varizellen in allen Altersgruppen verringern, und Risikogruppen schützen. Sondern auch das Zoster-Risiko von Kindern und jungen Erwachsenen mittelfristig, und in den älteren Altersgruppen langfristig verhindern. Die Befürchtung, dass sich das Infektionsrisiko durch die Impfung in die älteren Altersgruppen verschieben könnte, hat sich hingegen nicht bewahrheitet. «Wir empfehlen aber klar die Impfung», stellt Dr. Desgrandchamps klar. «Ich bin optimistisch, dass die Primärprophylaxe möglich sein wird.»
Die neuen Empfehlungen zur Impfung gegen Varizellen (1,3)
- Basisimpfung mit MMRV (alternativ MMR+V), mit 9 und 12 Monaten
- Nachholimpfung gegen Varizellen bei allen empfänglichen Personen im Alter zwischen 13 Monaten und 39 Jahren, welche bislang noch nicht an Varizellen erkrankt waren und die noch nicht insgesamt zwei Impfdosen erhalten hatten (2 Dosen mit Minimalabstand von einem Monat) (Anamnese zuverlässig im Vergleich zu anderen Kinderkrankheiten).
- Varizellenimpfung auch für empfängliche enge Kontaktpersonen (im Haushalt oder im Gesundheitswesen tätige Personen) von Empfängern von Blutstammzellen oder von schwer immungeschwächten Patienten
- Postexpositionelle aktive Prophylaxe mit 1-2 Dosen innert 3-5 Tagen zur Verhinderung/Mitigierung der Varizellen. So lässt sich zum Teil das Auftreten der Erkrankung verhindern oder den Verlauf abschwächen
- VZV-Serologie im Allgemeinen nicht empfohlen, weder vor noch nach einer Impfung mit einem varizellenhaltigen Imfpstoff, auch nicht bei Nachholimpfungen (nur in Ausnahmesituationen)
Referenzen
- Desgrandchamps D. VZV-Impfung für die 9-monatigen Kinder. FomF: Experten-Forum Update Infektiologie: Impfungen, 26. Januar 2023.
2. Sammon CJ et al. The incidence of childhood and adolescent seizures in the UK from 1999 to 2011: A retrospective cohort study using the Clinical Practice Research Datalink. Vaccine. 2015 Dec 16;33(51):7364-7369. doi: 10.1016/j.vaccine.2015.07.093. Epub 2015 Aug 9. PMID: 26263198.
3. Bundesamt für Gesundheit (BAG). Neue Empfehlungen zur Impfung gegen Varizellen (Windpocken). 31. Oktober 2022, abgerufen am 22. März 2022