Wie mit Nebenwirkungen nach Covid-Impfung umgehen?
Nach zwei Jahren Covid-19-Imfpkampagne gibt es mittlerweile die ersten verlässlichen Daten auch zu selteneren Nebenwirkungen der Coronaimpfung. Die Signale scheinen sich ausserdem zwischen den ersten Impfungen und den Boosterimpfungen verändert zu haben.
«Die Covid-19-Impfungen haben das getan, was sie versprochen haben», nimmt PD Dr. Christoph T Berger, Leitender Arzt am Universitären Zentrum für Immunologie, Universitätsspital Basel, in seinem Vortrag am FOMF eines gleich vorweg. «Sie haben bis Ende 2021 über 500.000 Todesfälle allein in Europa verhindert.» Und auch Monate nach der letzten Impfung besteht nach wie vor ein sehr guter Schutz vor schweren Verläufen, betont der Experte.
Und auch in Bezug auf ihre Sicherheit gibt Dr. Berger grundsätzlich Entwarnung: «Sicher und relativ gut verträglich», seien die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19. «Und auch mit dem Wissen von zwei Jahren Impfkampagne sind schwere Nebenwirkungen nach wie vor selten.»
Klassische Impf-Nebenwirkungen am häufigsten
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen nach den mRNA-Impfungen die klassischen «grippeartigen» Reaktionen, die auch nach anderen Impfungen auftreten können: Ein schmerzender Impf-Arm, leichtes Fieber, Kopfschmerzen, sowie Müdigkeit, Schlappheit, Muskel- oder Gelenksschmerzen, die sich auch einmal bis über mehrere Tage nach der Impfung hinziehen können. «Diese Nebenwirkungen sind normal, und sind durch die Reaktogenizität, also die immunogische Wirksamkeit des Impfstoffs, bedingt», erklärt Dr. Berger.
Dabei kommt es zu einer lokalen Entzündung an der Impfstelle am betroffenen Oberarm. "Das kommt daher, dass die mRNA-Moleküle in der Impfung das angeborene Immunsystem ähnlich wie ein Virus stimulieren. Infolgedessen werden Botenstoffe (z.B. Zytokine und Interferone) im Muskel freigesetzt, und diese können auch zu Allgemeinsymptomen beitragen, die denen eines viralen Infektes ähneln. «Diese kommen aber nicht bei allen Geimpften vor, und das fehlen bedeutet nicht, dass die Impfantwort schlecht ist», berichtet der Experte. Vor allem Menschen, die bereits eine Covid-Infektion hinter sich hatten, seien aber stärker anfällig für diese reaktogenen Symptome nach der Impfung. Auftreten würden diese Nebenwirkungen vor allem nach den ersten beiden Impfdosen.
Lokale Hautreaktionen und akute Urtikaria nach den ersten Impfdosen
Ebenfalls hauptsächlich nach den ersten Impfdosen sah Dr. Bergers Team Personen, die sich acht bis zwölf Tage nach einer Covid-mRNA-Impfung mit einer flüchtigen lokalen Rötung und Schwellung um die Impfstelle herum vorstellten. Begleitet wurde diese Hautreaktion bei manchen Menschen durch Jucken, Brennen und Schmerzen. Besonders häufig trat die Reaktion nach der ersten Impfung mit dem Moderna-Impfstoff auf, was ihr den Namen «Moderna-Arm» eingebracht hat. Behandelt wird sie durch Kühlen, und eventuell einer Cortison-Salbe, sowie einem Antihistaminikum gegen den Juckreiz. «Die Mechanismen, die hinter der Rötung stecken, wurden nie ganz geklärt, der Zeitpunkt ihres Auftretens legt aber nahe, dass es sich um einen Prozess im adaptiven Immunsystem (T- oder B-Zellen) handeln könnte», erklärt Dr. Berger.
Ein ähnlicher Hintergrund dürfte auch hinter einer akuten Urtikaria bzw. einem Angioödem stecken, die sich typischerweise im Zuge der ersten beiden Impfdosen entweder bereits am Tag der Impfung oder am Folgetag einstellen. «Meist verschwinden die Symptome innerhalb von 24 Stunden an den Stellen, an denen sie ursprünglich aufgetaucht sind. Gelegentlich tauchen sie dann aber an anderen Stellen wieder auf.» Bei einigen Patienten gab es dabei eine Begleitung durch angioödematische Schwellungen, etwa der Lippe oder des Augenlids.
Bedenklich wird es für Dr. Berger vor allem dann, wenn die Schwellungen innerhalb von 15 Minuten nach der Impfung auftreten. «Dann sollte eine Abklärung auf der Allergologie erfolgen vor einer weiteren Impfdosis – es könnte eine Allergie dahinterstecken.» Treten die Reaktionen hingegen erst 24 Stunden nach der Impfung oder später zutage, handelt es sich in der Regel nicht um allergische Phänomene, sondern um eine Stimulationsreaktion des Immunsystems. «Das kann man meist unterdrücken, indem man vor der nächsten Impfdosis ein Antihistaminikum einnimmt.»
Verzögerte Urtikaria: Häufigste Nebenwirkung der Booster-Impfung
Mit der Boosterkampagne und der dritten Impfdosis hat sich das Nebenwirkungsprofil verändert, erklärt Dr. Berger. Die häufigste in der Schweiz gemeldete Nebenwirkung ist mittlerweile eine verzögerte Urtikaria, die klassischerweise acht bis 14 Tage nach der dritten Impf-Dosis auftritt, nach Moderna etwas mehr als nach dem Impfstoff des Herstellers Pfizer.
Typischerweise betrifft es eher junge Menschen, die zuvor noch nie eine Urtikaria hatten. Auffällig ist die ausgeprägte Factitia-Komponente: Wenn man die Haut kratzt, sieht man danach eine Rötung und Schwellung. Rund zwei Wochen dauert die impfbedingte Urtikaria im Normalfall an, im Ausnahmefall persistiert sie auch länger. Behandelt wird sie gleich wie die nicht impfbedingte Urtikaria, mit Antihistaminika, die im Anlassfall auch mit erhöhter Dosis angewendet werden dürfen. Dr. Berger erinnert, dass ein Patient mit Urtikaria nicht nur ein bis zwei Tage behandelt werden sollte. Besser sei es, ihn rund zwei Monate zu behandeln, und die Antihistaminika erst dann zu tapern. «Ansonsten führt das zu Frustrationen, wenn die Reaktion gleich zurückkommt.» Hält die Reaktion mehr als sechs Wochen an, sollte ein Allergologe zugezogen werden, da es sich dann um eine chronische Urtikaria handelt.
Seltene schwere Nebenwirkungen: Anaphylaxie und Myokarditis
Eine schwere Nebenwirkung, die schon ab Beginn der Impfkampagne bekannt war, ist die Anaphylaxie. «Eine kürzlich veröffentlichte Studie mit den Versicherungsdaten von 12 Millionen Amerikanern (2) zeigt dabei eine Inzidenz von etwa fünf Fällen pro Million verabreichter Impfdosen.»
Das andere Signal in der Studie war eine Myokarditis, die mehrheitlich jüngere Männer unter 30 Jahren betrifft. Gehäuft trat sie auf nach vorheriger Impfung mit dem Moderna-Impfstoff, meist nach der zweiten Dosis. Sicherheitshalber ist man in der Schweiz dazu übergegangen, bei unter-30-jährigen präferenziell den Impfstoff von Pfizer zu verabreichen. Im Zuge der Booster-Impfungen war jedoch keine weitere Zunahme der Inzidenz zu verzeichnen. Die Gesamt-Inzidenz liegt zwischen 1:10.000 und 1:30.000 bei unter 50-jährigen. «Bekommt man Covid-19 liegt das Risiko einer Myokarditis aber siebenmal höher», erinnert der Experte.
In der Regel verläuft die impfassoziierte Myokarditis mild, und nur in sehr seltenen Fällen starben Patienten. Behandelt werden, wie bei jeder Myokarditis, vordergründig die mit ihr assoziierten Rhythmusstörungen und die Herzinsuffizienz.
Überlegen sollte man sich daher bei einer Impf-Nebenwirkung auch immer, was passiert, wenn der betroffene Patient an Covid-19 erkrankt. Dr. Berger berichtet, dass in seiner Abteilung nach sorgfältigem Abwägen und unter Prämedikation bereits Patienten nochmals geimpft wurden, die nach der ersten Impfdosis Myokarditis-Symptome entwickelt hatten.
Ob es immun-assoziierte Phänomene gibt, lässt sich noch nicht beantworten
«Haben Menschen nach der Corona-Impfung ein neues gesundheitliches Problem, ist es nicht einfach, zu sagen, ob diese durch die Impfung verursacht wurden, oder kurz nach den Vakzinen zufällig aufgetaucht sind», berichtet Dr. Berger. So ist es ein gängiges Problem, dass manche Personen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung Symptome mit entzündlichem Charakter entwickeln, darunter Gelenksschmerzen, Polyserositis, Morbus Still oder eine Autoimmunhepatitis. Dazu gibt es mittlerweile auch veröffentlichte Case reports. Ob diese tatsächlich nach der Impfung gehäuft auftraten, oder ob bei den Betroffenen kurze Zeit danach aber als Reaktion auf einen anderen Trigger, etwa eine virale Infektion, aufgetaucht wären, lässt sich wohl erst in den kommenden Monaten beantworten.
Weniger in wissenschaftlichen Zeitschriften, dafür mehr in den Zeitungen und im Internet findet sich zum sogenannten Post-Vac-Syndrom, bei dem nach der Impfung ähnliche Symptome auftreten, wie sie von Long Covid bekannt sind. «Solche Fälle sind schwierig zu beurteilen. Das Einzige, was man bisher sagen kann, ist, dass es bisher kein rapportiertes Signal für eine chronische Fatigue oder systemische inflammatorische Erkrankung nach der Impfung gibt», sagt Dr. Berger.
Von der Einmeldung zum Nebenwirkungssignal
Bereits in den Zulassungsstudien, allen voran den grossen Phase-III-Studien, konnten bereits einige Nebenwirkungen identifiziert werden, die mit Inzidenzen zwischen 1:10.000 und 1:20.000 auftreten. Nebenwirkungen, die seltener auftreten, könne man aber teils erst nach der Marktreife des Impfstoffes ausmachen. Derzeit befinde man sich bei den Covid-19-Impfstoffen genau in dieser Post-Marketing-Pharmakovigilanzperiode, in der laufend Nebenwirkungen eingemeldet würden. Würden sich die Meldungen von schweren Erkrankungen nach der Impfung häufen, würde sich das in den Pharmakovigilanz-Datenbanken als Signal bemerkbar machen. «Wahrscheinlich wurde das Ausrollen einer Impfkampagne noch nie so genau beobachtet wie bei der Covid-Impfung», fasst der Experte zusammen.
In der Schweiz gehen Meldungen zu Nebenwirkungen nach Impfung in das passive Meldesystem Swissmedic ein. Melden kann grundsätzlich jeder, die meisten Meldungen kommen nicht von medizinischem Fachpersonal, sondern von Patienten. Haben Patienten im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung neue Symptome, sollten Ärzte diese auf jeden Fall melden. «Denn nur wenn die Swissmedic genügend Fälle hat, kann sie dem nachgehen.» Konkret wurden in der Schweiz 16 Millionen Dosen an über 6 Millionen Personen verimpft. Es gab 16.000 Meldungen bei Swissmedic, also eine Meldung pro 1.000 Dosen. Davon wird ein Drittel als ernst eingeschätzt.
Auch durch die Auswertung von Patientenregistern aus Ländern mit elektronischen Patientendatenbanken erhofft man sich in naher Zukunft Aufschluss darüber, ob eher seltene Störungen nach der Impfung wirklich häufiger auftraten.
Patienten aus dem Teufelskreis holen
Die meisten Mediziner sind sich bewusst, dass Impfungen in der Medizingeschichte immer wieder beschuldigt wurden, Erkrankungen auszulösen. «In der Regel konnte eine Kausalität aber widerlegt werden.» Dazu gehören etwa der Zusammenhang der Multiplen Sklerose mit der Hepatitis-B- oder HPV-Impfung, Autismus bei der MMR-Impfung, oder das Auslösen von autoimmunen Schüben nach Impfungen. Zu den sehr seltenen nachgewiesenen Nebenwirkungen zählen dagegen die ITP nach der Masernimpfung und das GBS nach der Schweinegrippeimpfung.
Wichtig ist für Dr. Berger, Patienten mit Symptomen nach einer Impfdosis unbedingt ernst zu nehmen. «Patienten ist es oft wichtig, über ihre Symptome und den vermuteten Zusammenhang mit einer Impfung zu reden», so der Experte. «Das bringt sie manchmal aus dem Teufelskreis heraus, in dem sie sich befinden: Keiner versteht sie oder nimmt sie ernst, und dann sind sie frustriert, dass ihnen niemand glaubt.»
Wichtig sei es ausserdem, zumindest eine deskriptive Diagnose zu stellen. «Denn ohne eine Diagnose kann man weder etwas bei Swissmedic melden, noch etwas behandeln.» Dazu gehört auch, das «Häufige, Gefährliche», auszuschliessen: «Oft können Alternativdiagnosen (z.B. Covid-19, Lungenembolie, Myokarditis, Arthritis) ähnliche Symptome verursachen. Ärzte aus der Long-Covid-Sprechstunde kennen Ähnliches: Hinter einer Fatigue kann gelegentlich auch beispielsweise eine Hormonstörung oder ein Tumorleiden stecken»
Steht dann eine Diagnose, ist es Dr. Berger wichtig, dem Patienten zu erklären, dass es völlig egal ist, ob ein Symptom von einer Impfung oder etwas anderem ausgelöst wurde: Therapiert wird immer gleich.
Referenzen
- Berger CT. Forum für medizinische Fortbildung (FOMF) WebUp Experten-Forum "Update Infektiologie: Impfungen" 26. Januar 2023
- Klein NP et al. Surveillance for Adverse Events After COVID-19 mRNA Vaccination. JAMA. 2021 Oct 12;326(14):1390-1399. doi: 10.1001/jama.2021.15072. PMID: 34477808; PMCID: PMC8511971.
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