Welche Diabetes-Typen es nun gibt
Die Einteilung in Typ 1 und Typ 2 scheint beim Diabetes nicht auszureichen. Berücksichtigt man mehrere Faktoren zur Entstehung und zum Verlauf der Erkrankung, ergeben sich viel mehr Subgruppen. Dies könnte schon im prädiabetischen Stadium von Bedeutung sein.
Die neue Einteilung des Diabetes mellitus in Subtypen orientiert sich an einer Reihe von Faktoren, die auf die Erkrankung in unterschiedlichem Ausmass Einfluss nehmen, erklärt Dr. Oana-Patricia Zaharia, Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf (1). Dazu gehören:
- Alter zu Krankheitsbeginn
- Übergewicht
- Immunstatus
- genetische Vorbelastung
- entzündliche Vorgänge
- Betazellfunktion
- Bedarf einer Insulintherapie
Der klassische Typ-1-Diabetes fällt weiterhin klar unter die Kategorie Autoimmunerkrankung. Finden sich Antikörper gegen Glutamatdecarboxylase, spricht man auch von einem schweren autoimmunen Diabetes (severe autoimmune diabetes, SAID).
Beim bisherigen Typ 2 gibt es inzwischen Clustereinteilungen, die sich am Phänotyp orientieren:
- schwerer insulindefizienter Diabetes (severe insulin-deficient diabetes, SIDD)
- schwerer insulinresistenter Diabetes (severe insulin-resistant diabetes, SIRD)
- milder/moderater altersabhängiger Diabetes (mild/moderate age-related diabetes, MARD)
- milder/moderater übergewichtsabhängiger Diabetes (mild/moderate obesity-related diabetes, MOD)
SAID-Patienten haben das geringste kardiale Risiko
In der Deutschen Diabetes-Studie werden Faktoren untersucht, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen. Die Teilnehmer sind sowohl frisch diagnostizierte Patienten mit Diabetes als auch gesunde Kontrollpersonen. Ziel ist es, sie metabolisch zu phänotypisieren (z.B. über Tests zu Insulinsekretion/-sensitivität, Glukosetoleranz), Komplikationen zu identifizieren und das Risiko für einen Progress zu erfassen.
In einer Zwischenauswertung von 1.105 Patienten dominierte mit 35 Prozent der Typ MARD, gefolgt vom MOD mit 29 Prozent. 22 Prozent hatten einen SAID, 12 Prozent einen SIRD und nur zwei Prozent einen SIDD.
Die Analyse von Komplikationen im ersten Jahr ergab, dass Nephropathien vor allem Patienten mit SIRD und MARD betrafen, distale sensorimotorische und kardiale autonome Neuropathien in erster Linie diejenigen mit SIDD. Unter einer erektilen Dysfunktion litten vor allem Männer mit SIRD, SIDD und MARD. Im Vergleich zu allen anderen Gruppen hatten SAID-Patienten das geringste kardiovaskuläre Risiko. Bei Menschen mit SIRD liess sich eine genetische Veranlagung für lipotoxische Vorgänge und eine erhöhte Neigung zur nichtalkoholischen Fettlebererkrankung nachweisen. Die Forscher hoffen, dass diese Ergebnisse zu einer Präzisierung der individuellen Therapieoptionen beitragen.
Es gibt auch laborchemische Unterschiede zwischen den Subgruppen, berichtet Professor Dr. phil. nat. Christian Herder, Institut für Klinische Diabetologie am Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf. SIRD-Patienten haben z.B. die höchsten Werte für Biomarker der Inflammation, Leukozyten, Neutrophilen/Lymphozyten-Ratio und CD4-/CD8-T-Zell-Verhältnis. Die Unterschiede in den inflammatorischen Prozessen können sich auf das Risiko für Folgeerkrankungen auswirken.
Von den sechs Clustern beim Prädiabetes sind drei riskant
Die Einteilung in Cluster hat schon im prädiabetischen Stadium Bedeutung, erklärt Professor Dr. Andreas Fritsche, Innere Medizin IV, Universitätsklinikum Tübingen. Für diese Phase wurden abhängig von Gewicht und Stoffwechselsituation sechs Cluster definiert (3). Aber nur drei gehen mit erhöhten Risiken einher:
Cluster 3 ist gekennzeichnet durch Betazellversagen, Übergewicht, mässig erniedrigte Insulinsensitivität, niedrige Insulinsekretion und hohes genetisches Risiko. Betroffene tragen ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und die Entwicklung eines Diabetes.
Cluster 5 ist charakterisiert durch Insulinresistenz, Fettleber, Adipositas, sehr niedrige Insulinsensitivität und niedrige Sekretion. Er geht ebenfalls mit hohem kardiovaskulärem und Diabetesrisiko einher sowie einer hohen Mortalitätsgefahr.
Cluster 6 weist viel viszerales und renales Fett, Adipositas, eine geringe Insulinsensitivität und mässig verminderte Sekretion auf. Betroffene entwickeln sehr viel seltener einen Diabetes, dafür aber gehäuft Nephropathien, das Mortalitätsrisiko ist hoch. Die Niere gerät also in Gefahr, ohne dass ein Diabetes besteht. Prof. Fritsche rät, Insulinresistenten frühzeitig nephropathievorbeugende Massnahmen anzubieten, z.B. über intensive Lebensstilinterventionen.
Sechs Cluster kennzeichnen den Charakter des Prädiabetes (2)
- Cluster 1: Niedrigrisiko
- Cluster 2: Sehr niedriges Risiko
- Cluster 3: Betazell-Versagen
- Cluster 4: Niedriges Risiko, Adipositas
- Cluster 5: Hochrisiko, Insulinresistenz und Fettleber
- Cluster 6: Hohes Risiko, viszerales Fett, Nephropathie
Fettanlagerungen um Leber, Niere und Pankreas beeinflussen Risikoprofil
Grossen Anteil am Risikoprofil haben Fettanlagerungen um die Organe. Bei Cluster 5 scheitern bspw. präventive Bemühungen, die Insulinsekretion zu verbessern, am hohen Leberfett. Renales Fett ist mit einer Albuminurie assoziiert, viel Pankreasfett trägt zum erhöhten Diabetesrisiko bei.
Und es gibt eine Kommunikation zwischen den Organen: Die Nephropathie durch die Fettniere spielt mit Inflammation und Insulinresistenz aus der Fettleber zusammen, die Insulinsekretionsstörung aus dem Fettpankreas rundet das Ganze ab. In der Gesamtheit mündet es in Hyperglykämie und schlussendlich in den Diabetes.
Referenzen
- Diabetes Herbsttagung 2022
- Wagner R et al. Pathophysiology-based subphenotyping of individuals at elevated risk for type 2 diabetes. Nat Med. 2021 Jan;27(1):49-57. doi: 10.1038/s41591-020-1116-9. Epub 2021 Jan 4. PMID: 33398163.