Medical Tribune
26. Dez. 2022Riechtraining hilft bei Anosmien

Was tun, wenn der Geruchssinn weg ist?

Tritt plötzlich eine Riechstörung auf, ist das für Betroffene oft unangenehmer als es auf den ersten Blick erscheint. Zum Glück lässt sich die Rückkehr des normalen Geruchssinnes aber mittels Riechtraining beschleunigen, und das einstweilen geruchlose Leben mittels kleiner Veränderungen sicherer und freundlicher machen.

Gegen den Riechverlust hilft täglich zweimal an Aromaölen zu riechen
Yue_/gettyimages

In den letzten drei Jahren häuften sich die Fälle von Anosmie (Verlust des Geruchssinnes) massiv – denn die Schädigung des Geruchssinnes ist eines der charakteristischsten Symptome von Covid-19 (siehe Kasten).

Wenn nach der Virusinfektion der Riechverlust bleibt

«Wir kannten den Verlust des Geruchssinns durch Virusinfektionen auch schon vor der COVID-Pandemie », erklärt PD Dr. Sophia Poletti, Oberärztin an der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen, Kopf- und Halschirurgie am Inselspital Bern. «SARS-CoV-2 hat sich jedoch scheinbar darauf spezialisiert, nicht direkt den Riechnerv, sondern die umgebenden Stützstrukturen anzugreifen».

In den allermeisten Fällen ist der Riechverlust infolge einer Atemwegserkrankung innert der ersten sieben bis vierzehn Tage rückläufig, erklärt die Expertin. Nur bei wenigen Patienten bleibt er bestehen. «Solchen Menschen empfehlen wir, es mit einem Riechtraining zu versuchen.» Dabei wird durch Riechen an Duftölen der Riechnerv stimuliert, und damit die Regeneration des Geruchssinnes unterstützt.

Das Riechtraining in der Praxis

«Grundsätzlich sollte man mit dem Riechtraining innert des ersten Jahres anfangen – je früher man es beginnt, desto besser», so Dr. Poletti. Konkret sollten Patienten sich zu Beginn vier Düfte auswählen, an denen sie dann regelmässig schnuppern. «Im Grunde spielt es nur eine untergeordnete Rolle, um welche Düfte es sich dabei handelt. Viel wichtiger ist die Vielfalt. Die Düfte sollten so unterschiedlich wie möglich sein, um möglichst viele Riechrezeptoren in der Nase zu stimulieren.» Eine Kombination, die sie und ihre Kollegen immer wieder empfehlen ist die Kombination Rose, Nelke, Eukalyptus und Zitrone. Dr. Poletti empfiehlt, nach drei Monaten ein neues Duft-Set zu wählen, um möglichst viele verschiedene Riechrezeptoren zu stimulieren.

Von diesen Düften sollte sich der Patient Duftöle besorgen, etwa in Apotheke oder Drogerie, und regelmässig jeweils zehn Sekunden lang riechen. Um die Regelmässigkeit möglichst beizubehalten, rät sie, das Riechtraining in den Tagesablauf zu integrieren – etwa, es zweimal am Tag, morgens und abends vor dem Zähneputzen – durchzuführen. Tut sich dann erst einmal nichts, soll man nicht gleich aufgeben, ermutigt die Expertin. «Das Riechtraining muss typischerweise über einen längeren Zeitraum von 6-9 Moanten durchgeführt werden – der Erfolge zeigt sich manchmal erst im Verlauf.»

Riechtraining funktioniert vor allem bei viral bedingter Anosmie

«Wir sehen, dass die Durchführung des Riechtrainings der spontanen Heilung überlegen ist», sagt Dr. Poletti. Wie schnell der Geruchssinn zurückkommt, und ob er vollständig wiederhergestellt werden kann, hängt zu einem grossen Teil von der jeweiligen Ursache für die Anosmie ab. Postvirale Riechstörungen haben dabei eine bessere Prognose, eine Riechverbesserung zu erzielen. Liegt der Grund für eine Riechstörung in anderen Bereichen, etwa infolge eines Schädel-Hirn-Traumas, ist die Prognose hingegen eher schwierig. «Gelegentlich kann es aber auch dann durch das Training zu einer Besserung kommen,» so Dr. Poletti.

Nur bedingt empfiehlt die Expertin Cortison-Nasensprays. «So richtig gute Daten gibt es derzeit nicht dafür, dass diese bei der Wiedererlangung des Geruchssinnes nach Trauma dienlich sein können. Die einzigen Hinweise darauf kommen aus dem Tiermodell.»

Bevor alles wieder normal riecht, riecht es oft seltsam

«Vor allem bei Riechstörungen infolge von viralen Infekten geht die Wiedererlangung des Geruchssinnes oft mit Parosmien einher», erklärt Dr. Poletti. Dabei handelt es sich um eine veränderte Wahrnehmung von bekannten Düften, die plötzlich anders riechen als früher. Wie stark eine Parosmie die Lebensqualität von Betroffenen beeinträchtigt, ist dabei von Fall zu Fall unterschiedlich.

Treten Parosmien auf, kann das aber eventuell sogar ein gutes Zeichen für ein Wiedererstarken des Geruchssinnes sein. «Parosmien werden derzeit häufig in Zusammenhang mit einer Regeneration des Geruchssinnes gebracht.» In den meisten Fällen verschwinden die Missempfindungen mit der Zeit. «Bei vielen ist das eine Frage der Geduld», beruhigt Dr. Poletti.

Mehr Vergiftungen, mehr Haushaltsunfälle

Eine Anosmie hat weitreichende Konsequenzen, die vielen von vornherein vielleicht noch nicht bewusst sind. «Wir wissen etwa, dass bei Patienten mit Riechverlust oder -störungen das Risiko für Haushaltsunfälle grösser ist», sagt Dr. Poletti. Eine wichtige erste Massnahme, die sie jedem Patienten mit eingeschränktem Geruchssinn empfiehlt, ist, zuhause einen Rauchmelder anzubringen, da Brandgeruch ansonsten nicht wahrgenommen würde.

Mit der Zeit, so die Expertin, entwickeln die Patienten Strategien, um sich im neuen, geruchlosen, Alltag zurechtzufinden. Dazu gehört auch, sich statt der Nase mehr auf das Auge oder andere Menschen zu verlassen. So sollten Lebensmittel weggeworfen werden, wenn das Verfallsdatum überschritten ist, um zu vermeiden, dass man Verdorbenes zu sich nimmt. «Alternativ kann man auch den Partner bitten, ein Lebensmittel zu kosten oder daran zu riechen.» Eine gewisse Regelmässigkeit bei der Körperhygiene kann helfen, Menschen die Verunsicherung zu nehmen, wenn sie ihren eigenen Körper nicht mehr riechen. Das T-Shirt, das man einmal getragen hat, sollte beispielsweise gleich in die Wäsche, und auch der Wohnraum regelmässig gelüftet werden.

Auch auf die Psyche kann sich der Geruchsverlust niederschlagen; «vor allem wenn man schon einmal wusste, wie sich Riechen anfühlt», so die Expertin. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei der Genuss beim Essen, bei dem die Aromenwahrnehmung von wesentlicher Bedeutung ist. «Leidet man an einer Anosmie, schmeckt man zwar noch die Qualitäten süss, sauer, salzig, bitter und umami auf der Zunge, aber die Wahrnehmung der Aromen oder das feine Schmecken ist weg. Dann können wir einen Apfel beispielsweise nicht mehr als Apfel wahrnehmen, sondern nur mehr als süss und sauer.» Viele Patienten ändern dann ihr Essverhalten indem sie das Essen beispielsweise stärker salzen oder würzen, andere nehmen ab.

Ohne Geruchssinn öfter mit Freunden essen

Leiden Patienten beim Essen unter ihrem Riechverlust, empfiehlt Dr. Poletti, bei der Essenszubereitung neue Aspekte in den Vordergrund zu rücken, z.B. mehr Wert auf die Optik zu legen, oder verstärkt das gemeinsame Essen mit anderen zu pflegen. «Ausserdem haben wir auch ohne den Geruchssinn weiterhin intakte Signale vom trigeminalen Nerv, der Konsistenzen und Wärme detektiert. Dadurch, dass man das Hühnchen etwa leicht kross herausbäckt oder einen Orangensaft mit Fruchtfleisch trinkt, verstärkt man die Komponente der Essenskonsistenz.»

Warum der Geruchssinn schwächelt

Dr. Karl Frontzek und Dr. Daniel Kirschenbaum, Oberärzte am Institut für Neuropathologie am Unispital Zürich waren weltweit eine der Ersten, die dem auf die Spur kamen, wie eine Coronavirusinfektion den Geruchssinn beeinträchtigt. Während der ersten Infektionswelle von SARS-CoV-2, als in Europa fast alle Autopsien pausiert wurden, hatten sie den Vorteil, dass sie im Hochsicherheits-Autopsiesaal der Universität Zürich ungestört weiterarbeiten konnten. Zusammen untersuchten sie zwei Patienten, die an der akuten Covid-19-Erkrankung verstorben waren. Bei einem der beiden war bekannt, dass er seinen Geruchssinn verloren hatte (1). «Unter dem Mikroskop fanden wir bei beiden Patienten ein entzündetes Riechepithel, sowie zerstörte Nervenfasern. Die gute Nachricht war dabei aber, dass sich die neuronale Inflammation auf die Nasenschleimhaut beschränkte», erklärt der Neuropathologe.

Mittlerweile weiss man, dass das Virus nicht die Nervenzellen selbst infiziert und schädigt, sondern epitheliale Stützzellen (Sustentakularzellen), die auch den Virusrezeptor ACE2 exprimieren. Infolge einer Covid-19-Infektion werden die Sustentakularzellen beschädigt, und bei manchen Infizierten sogar kurzfristig stark reduziert. Für die Geruchsfunktion der sensorischen Neuronen sind die Sustentakularzellen aber notwendig: Werden sie durch die Virusinfektion beschädigt, wird die Umgebung der sensorischen Neuronen unwirtlich (2). Aufgrund einer genetischen Veränderung können sie in der Folge die für die Wahrnehmung von Gerüchen zuständigen Geruchsrezeptoren nicht mehr richtig zusammenbauen.

Können die Neuronen die Ablesung der Geruchsrezeptor-Gene nicht wiederherstellen, kommt der Geruchssinn der Patienten erst wieder zurück, wenn die betroffenen Neuronen nach mehreren Wochen und Monaten durch neue Zellen ersetzt sind.

Manchmal organisieren sich im Zuge der Anosmie auch Nervenbahnen von bestehenden Neuronen um und aktivieren einen anderen Geruchsrezeptor als zuvor. Dadurch kommt es vermutlich zur Parosmie – gewohnte Gerüche riechen seltsam.

Referenzen
  1. Kirschenbaum D et al. Inflammatory olfactory neuropathy in two patients with COVID-19. Lancet. 2020 Jul 18;396(10245):166. doi: 10.1016/S0140-6736(20)31525-7.
  2. Zazhytska M et al. Non-cell-autonomous disruption of nuclear architecture as a potential cause of COVID-19-induced anosmia. Cell. 2022 Mar 17;185(6):1052-1064.e12. doi: 10.1016/j.cell.2022.01.024.