Medical Tribune
9. Nov. 2022Multisystematrophie

Schrittmacher wirkt orthostatischer Hypotonie entgegen

Manche Patienten mit einer Multisystematrophie bremst eine Orthostase so aus, dass sie bettlägerig werden. In solchen Extremfällen kann ein Stimulator Abhilfe schaffen.

Nachweis alpha-Synuclein-positiver glialer EInschlüsse (braun) im Autopsiepräparat eines Patienten mit MSA
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Nachweis alpha-Synuclein-positiver glialer Einschlüsse (braun) im Autopsiepräparat eines Patienten mit MSA.

Durch die Wiederherstellung des Geh- und Stehvermögens mittels Neurostimulation bessert sich sich die gestörte Blutdruckregulation durch eine epidurale Reizung am thorakalen Rückenmark. Das Potenzial dieser Technik demons­trieren Wissenschaftler aus Lausanne am Beispiel ihrer ersten MSA-Patientin, der sie ein solches System implantierten (1).

Täglich ein bis drei Synkopen im Stand

Bei der 48-jährigen Frau war aufgrund typischer motorischer Zeichen zunächst ein Morbus Parkinson vermutet worden. Nach anfänglichem partiellem Ansprechen auf Levodopa/Benserazid entwickelte sie jedoch eine orthostatische Hypotonie mit Hypertension in Rückenlage, postprandialem Schwindel und Inkontinenz.

Daraufhin wurde eine Multisystematrophie vom Parkinsontyp diagnostiziert. Die Bildgebung zeigte eine erhaltene sympathische Innervation, was zu einem MSA-typischen Verlust postganglionärer Neuronen (s. Kasten) passt, schreibt ein Team um Dr. Jordan­ Squair vom Swiss Federal Institute of Technology (EPFL) und CHUV Lausanne.

Die autonomen Funktionen verschlechterten sich zusehends. Ein knappes Jahr später konnte die Patientin nur noch wenige Minuten stehen, kaum noch gehen. Schliesslich erlitt sie täglich innerhalb von 60 Sekunden ein bis drei Synkopen im Stand. In der Kipptischuntersuchung zeigte sich in 70°-aufrechter Position ein Blutdruckabfall von 120 mmHg auf weniger als 50 mmHg.

Epidurale Implantation in Höhe Th10 und Th11

Aufgrund des Scheiterns einer medikamentösen Behandlung bei der inzwischen bettlägerigen Frau entschlossen sich die Kollegen zu einem interventionellen Blutdruckmanagement via Rückenmark­stimulation.

Dafür implantierten sie ihrer Patientin einen Pulsgenerator mit integriertem Akzelerometer zur Detektion der Körperposition subkutan in Höhe des Nabels. Die zugehörige Reizelektrode wurde nach einer bilateralen Laminektomie in Höhe Th10 und Th11 epidural eingebracht und über dem Eintritt der Dorsalwurzel positioniert. Die Verbindung zwischen den Geräten erfolgte über subkutan verlegte Kabel.

Bereits in den ersten sieben Tagen nach der Intervention liess sich eine Verlangsamung des Blutdruckabfalls in aufrechter Position nachweisen. Nach sieben Wochen konnte die Patientin wieder ohne Synkopen oder entsprechende Warnsymptome stehen. Drei Monate nach dem Einsetzen des Neurostimulators schaffte sie es, mit Rollator eine Gehstrecke von mehr als 250 Metern zu laufen.

So entsteht die ­orthostatische Hypotonie

Die orthostatische Hypotension wird bei der Multisystematrophie durch zwei Mechanismen ausgelöst. Es kommt zu einer Degeneration katecholaminerger Neuronen in der rostralen ventrolateralen Medulla und zu einer partiellen Degeneration sympathischer prägang­lionärer Neuronen im thorakalen Rückenmark. Dabei bleiben die Neuronen in den sympathischen Ganglien erhalten. Die Folge des neuronalen Untergangs ist eine Störung der Regulation von Blutdruck und Herzfrequenz in aufrechter Körperhaltung.

Referenz
  1. Sqair JW et al. Implanted System for Orthostatic Hypotension in Multiple-System Atrophy. N Engl J Med. 2022 Apr 7;386(14):1339-1344. doi: 10.1056/NEJMoa2112809