Klimawandel und sein Einfluss auf die Psyche
Das Wetter beeinflusst unsere Befindlichkeit. Welchen Einfluss hat aber der Klimawandel auf unsere Psyche? Dieser Frage ging Professor Dr. Thomas Müller, ärztlicher Direktor und Chefarzt Privatklinik Meiringen, kürzlich in einem Vortrag nach.
Über den Zusammenhang zwischen Wetter und Psyche wird schon länger geforscht. Eine US-Studie (1) untersuchte beispielsweise den Zusammenhang zwischen Temperatur und Verhalten. «Sie zeigt, dass bei Hitze deutlich mehr Hasskommentare auf dem Social-Media-Kanal Twitter gepostet werden», erklärte Prof. Müller.
Dieser Trend besteht auch in einkommensstarken Ländern, wo sich Leute Klimaanlagen leisten können.
Manches Wetter macht aggressiv
Die Beziehung zwischen Hitze und der Anzahl Hass-Tweets verläuft allerdings nicht ganz linear: So gibt es in einem bestimmten Temperaturbereich nicht mehr Hass-Tweets. Erst unter 5 Grad und vor allem über 11 Grad nehmen diese Hass-Kommentare zu.
Auch Wetterphänomene wie der Föhn beeinflussen die Psyche. So ging eine Forschergruppe aus der Klinik Meiringen der Frage nach, ob sich die Befindlichkeit von Patienten ändert, wenn sie an einem Föhntag in die Klinik eintreten. «Tatsächlich kommt es bei diesen Menschen an den Folgetagen nach der Aufnahme zu einer Verschlechterung der Befindlichkeit», sagt der Referent. Diese Patienten sind zwanghafter, unsicherer, depressiver, phobischer, ängstlicher. Auch das paranoide Denken nimmt zu.
Keinen Einfluss auf die Befindlichkeit hat der Föhn am Tag des Klinik-Austritts. «Vermutlich sind die Patienten bei der Klinikaufnahme noch so vulnerabel, dass ein Wetterphänomen wie der Föhn noch Einfluss nehmen kann», sagte Prof. Müller
Einige Medikamente verstärken das Hitzeempfinden
Laut Studien nimmt bei Bauern in Kenia, Indien und Australien die Anzahl Suizide während Hitze, Dürre, Überschwemmungen zu. Diese Umweltkatastrophen sind auch oft Grund für Landflucht, Entwurzelung sowie für posttraumatische Belastungsstörungen und andere psychiatrische Probleme. «Solche Krisen können also durchaus auch etwas mit dem Klimawandel zu tun haben», betont Prof. Müller.
Auch in der Schweiz nimmt das suizidale Verhalten bei hohen Temperaturen zu. So steigt laut aktuellen Daten das Risiko für einen Suizid an Hitzetagen beispielsweise im Schweizer Mittelland um 92 Prozent (3). Der Referent wertet daher Hitze als einen möglichen zusätzlichen Faktor, der bei vulnerablen Menschen ein erhöhtes Suizidrisiko auslöst.
Besonders vulnerabel sind psychiatrische Patienten. Sie leiden noch mehr unter Hitze als andere Menschen, auch weil sie Medikamente – zum Beispiel Olanzapin oder andere Antipsychotika – bekommen, die teilweise die Thermoregulation verändern und die Hitzeempfindlichkeit erhöhen.
Viele Junge fühlen sich ohnmächtig
Aufgrund des Klimawandels rechnen Experten in der Schweiz bereits heute mit einer Zunahme der psychiatrischen Erkrankungen um 20 Prozent und einem entsprechenden Kostenschub. Gemäss Hochrechnungen generiert die Aufnahme von jährlich zusätzlich 1000 Patienten auf eine psychiatrische Station aufgrund von Klimaangst Mehrkosten von 21 Mio. Franken.
«Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene beschäftigt der Klimawandel», sagt Prof. Müller. Er mache vielen von ihnen Angst, die zusätzlich noch durch die viele Berichterstattung in sozialen Medien geschürt werde. Diese jungen Leute fühlen sich dem Klimawandel oft hilflos ausgeliefert. «Das ist problematisch, da das Gefühl, ein Problem nicht managen zu können, ein Risikofaktor für die Entwicklung einer psychiatrischen Störung ist», erklärte der Psychiater. Umgekehrt haben Jugendliche und junge Erwachsene, die sich aktiv für mehr Klimaschutz einsetzen und dadurch das Gefühl haben, etwas gegen das Problem zu unternehmen, ein geringeres Risiko, psychiatrisch zu erkranken.
Psychoedukation, Aufklärung und die Förderung der Resilienz sind laut Prof. Müller deshalb auch wichtige Massnahmen, um auf Patientenebene die psychischen Folgen von Klimaangst entgegenzuwirken. Doch auch die Politik ist gefordert. «Sie muss die Gefahren des Klimawandels für die psychische Gesundheit ernst nehmen und handeln», betonte er. So könnten städtebauliche Massnahmen wie etwa mehr Grünflächen in Ballungszentren oder die Installation von Klimaanlagen in den psychiatrischen Kliniken dazu beitragen, die psychischen Folgen von Hitzewellen abzufedern, führt der Experte weiter aus.
Quelle
Mepha-Symposium Psychiatrie und Somatik im Dialog 2022
Referenzen
- Stechemesser A et al. Temperature impacts on hate speech online: evidence from 4 billion geolocated tweets from the USA. Lancet Planet Health. 2022 Sep;6(9):e714-e725. doi: 10.1016/S2542-5196(22)00173-5
- Mikutta CA et al. The Impact of Foehn Wind on Mental Distress among Patients in a Swiss Psychiatric Hospital. Int J Environ Res Public Health. 2022 Aug 30;19(17):10831. doi: 10.3390/ijerph191710831.
- Bundo M et al. Ambient temperature and mental health hospitalizations in Bern, Switzerland: A 45-year time-series study. PLoS One. 2021 Oct 12;16(10):e0258302. doi: 10.1371/journal.pone.0258302.