Schwindel: Periphere versus zentrale Ursache unterscheiden
Ein zentraler Schwindel hat seine Ursache im Gehirn, die periphere Variante entsteht hingegen im Gleichgewichtsorgan. Ein Experte beschreibt, wie ein Schwindel optimal diagnostiziert wird, und die Ursache identifiziert werden kann.
«Klagen Patienten in der Hals-Nasen-Ohren-Praxis über Schwindel, handelt es sich in den allermeisten Fällen um einen Drehschwindel», sagt Dr. Nikos Kastrinidis, Facharzt FMH ORL vom Ärztezentrum Sihlcity Zürich (1). Wie bei der Ohruntersuchung sollte dann nach den sogenannten 5 S (Schmerzen, Schwerhörigkeit, Sekretion, Sausen, Schwindel) gefragt werden, diese dienen, zusätzlich zur gründlichen sonstigen Anamnese und Untersuchung des Patienten, als Leitsymptome bei Ohrbeschwerden und können auch beim Schwindel Hinweise auf die Ursache ergeben.
BPLS ist die häufigste Ursache
In den meisten Fällen steckt hinter diesen Schwindel-Attacken ein benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS). Als Ursache wird die Ablösung intakter oder degenerierter Otokonien aus dem im Innenohr gelegenen Utriculus des Gleichgewichtsorgans angenommen. In den Bogengängen bewegen sie sich, und reizen die Bogengangsrezeptoren, wodurch es zu einem vestibulären Mismatch und Schwindel kommt.
Aber auch Medikamentennebenwirkungen, ein Morbus Menière, eine Neuritis vestibularis und die vestibuläre Migräne spielen häufig eine Rolle (siehe Kasten). Daneben gibt es noch Raritäten wie die akute Otitis media mit Innenohrbeteiligung oder retrocochleäre Pathologien.
Die fünf gängigsten Schwindelarten
- Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS): Der BPLS ist ein anfallsartiger, lageabhängiger Drehschwindel. Betroffene beschreiben den Schwindel wie im Karusell, Sekunden bis Minuten lang andauernd. In Ruhe lassen die Schwindelgefühle meist nach. In 80 bis 90 Prozent der Fälle ist der posteriore Bogengang betroffen. Oft zeigt sich ein Nystagmus (rotatorisch, upbeat). Ist hingegen der horizontale Bogengang betroffen, zeigt sich der Nystagmus horizontal. Die Therapie des BPLS ist die Lagerung (wie z.B. hier beschrieben).
- Morbus Menière: Dieser Schwindel ist lageunabhängig, er zeigt sich als plötzlicher, attackenartiger Schwindel, der bis zu 24 Stunden lang anhalten kann. Typisch ist die Trias Drehschwindel, Hörminderung mit Tinnitus oder Ohrdruck. Nystagmen können vorkommen, sind aber nicht obligat. Die Therapie besteht aus Betahistin.
- Neuritis Verstibularis: Hier kommt es zu einem lageunabhängigen, heftigen Drehschwindel, der bis zu 24 Stunden anhalten kann. Oft ist eine Mobilisation in diesem Zustand unmöglich - die Patienten kommen mit der Ambulanz. Betroffene haben einen horizontalen Ausfallnystagmus. Therapiert wird hier hochdosiert mit Steroiden und schnellstmöglich mittels Physiotherapie.
- Verstibuläre Migräne: Bei 30 bis 50 Prozent treten neben der Migräne auch Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen auf. Es handelt sich um einen diffusen Schwindel oder um einen Drehschwindel. Bei der vestibulären Migräne fällt oft eine Photo- oder Phonophobie auf. Hochdosiertes Magnesium und Riboflavin sind die Therapie der Wahl.
- Raritäten: Akute Otistis media mit Innenohrbeteiligung oder retrocochleäre Pathologien: Sie sind sehr selten, es kommt zum Reiznystagmus zur kranken Seite, dieser ist immer horizontal. Der Stimmgabeltest zeigt sich pathologisch. Die akute Otitis media mit Innenohrbeteiligung sowie retrocochleäre Pathologien sind absolute Notfallsituationen.
HINTS zur Unterscheidung zwischen zentralem und peripherem Schwindel
«Ein HINTS (Head Impulse, Nystagmus, Test of Skew) sollte bei allen Patienten mit einem Schwindel gemacht werden», empfiehlt Dr. Kastrinidids. Wie der Name schon sagt, besteht er aus einem Kopfimpulstest, Bestimmung des Nystagmus, und alternierendem Abdecktest (siehe Kasten). Durch die Untersuchung kann zwischen zentraler und peripherer (vestibulärer) Ursache unterschieden werden. Auffällige HINTS haben eine Sensitivität von 98 Prozent (2). Ein Anleitungsvideo zum Test gibt es hier.
Zusätzlich sollte bei Patienten mit Schwindel eine grobe neurologische Untersuchung (Finger-Nase-Versuch, Knie-Hacken-Versuch, Eu- und Dysdiadochokinese, Rhomberg- und Unterberger-Test, Sprache etc.) vorgenommen werden. Auch dies dient der Unterscheidung, ob es sich um ein zentrales oder rein peripheres Problem handelt - zusätzlich können so etwaige weitere neurologische Auffälligkeiten entdeckt werden.
HINTS
Kopf-Impuls-Test
Beim Kopfimpulstest sitzt der Patient dem Arzt gegenüber und schaut dem Arzt während der Untersuchung auf die Nase. Der Arzt fasst mit beiden Händen rechts und links den Kopf des Patienten, bewegt diesen langsam nach rechts und links und oben und unten – in jeweils einer Ebene – und bringt dann durch eine kurze ruckartige Bewegung den Kopf des Patienten in die Mitte. Die ruckartige Bewegung zur Mitte des Kopfes löst den vestibulookulären Reflex (VOR) aus, so dass der Blick des Patienten dank des VOR normalerweise unverändert auf den zuvor anvisierten Punkt gerichtet bleibt. Pathologisch ist der Kopfimpulstest hingegen bei einer peripheren vestibulären Störung. Hat die Störung zentrale Ursachen, ist dieser unauffällig.
Nystagmen
Der zentrale Nystagmus ist ein Blickrichtungsnystagmus, das heisst er wechselt die Seite, je nachdem, wohin der Patient schaut. Der periphere Nystagmus hingegen ist ein unidirektionaler Nystagmus, egal wohin der Patient schaut. Dies ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Übrigens: Der rein vertikale Nystagmus ist immer zentraler Ursache.
Test of Skew
Die vertikale Divergenz der Augen beim alternierenden Abdecktest zeigt ein Abweichen des Auges nach unten, nach Aufdecken im Abdecktest. Bei der vertikalen Divergenz handelt es sich um eine asymmetrische, vertikale Schielstellung, die durch eine Störung der Okulomotorik verursacht wird.
* WebUp «Updates für Hausärztinnen und Hausärzte - 6 Highlights in 60 Minuten » des Forums Medizin Fortbildung (FOMF)
Referenzen
- Medix. Guidelines Schwindel (abgerufen am 02.09.2022).
- Youtube. The HINTS exam (abgerufen am 02.09.2022).