Prof. Dr. Thomas Szucs: «Die Zukunft gehört der massgeschneiderten Medizin»
Einer individuell auf Patienten und Patientinnen abgestimmten Arzneimitteltherapie gehört die Zukunft: Davon ist Professor Dr. Thomas Szucs aus Zürich überzeugt. Der 61-jährige Fachmann für Pharmakogenetik setzt sich mit Herzblut dafür ein, dass Erkenntnisse aus der individuellen DNA in der Medizin zum Standard gemacht werden: «Für spezifischere Diagnosen und wirksamere Therapien sind sie unabdingbar», ist er überzeugt.
Zürcher Dialekt ist in keiner Faser seiner Stimmbänder zu hören. «Ich bin ein Stadtbasler Kind», begrüsst Prof. Szucs den Journalisten. Als Basler habe er quasi automatisch eine grosse Nähe zur Pharma, gesteht er unumwunden und offen ein, und marschiert strammen Schrittes in sein Büro im 4. Stock der Klinik Hirslanden in Zürich. «Praxis für Personalisierte Medizin» steht an der Glastür. Seit fast schon zehn Jahren führt er hier in Zürich Sprechstunden durch.
Seit 2021 hat er zudem gemeinsam mit Professor Dr. Sabina Gallati die medizinische Co-Leitung von Hirslanden Precise inne – dem neu geschaffenen Kompetenzzentrum für genomische Medizin der Hirslanden-Gruppe. «Das Team bietet sämtliche Schritte einer genetischen Untersuchung an: Von der genetischen Beratung, über die Analyse gemäss dem neusten Stand der Technik und Medizin inkl. Handlungsempfehlungen für praktizierende Spezialistinnen und Spezialisten», listet Prof. Szucs auf.
Personalisierte Medizin in ein paar Jahren Standard
Eine Praxis mit der Bezeichnung «Personalisierte Medizin» ist in der Schweiz (noch) ein Unikum. Prof. Szucs zeigt sich von deren grossem Potenzial aber restlos überzeugt. «In ein paar Jahren wird diese Behandlung in der Schweiz Standard sein», prognostiziert er.
Die Basis für das neue moderne Zeitalter in der Medizin haben zahlreiche Forschungserfolge gelegt. «Wir wissen heute viel mehr über die Ursachen und das Entstehen zahlreicher Krankheiten.» Dank neuer Verfahren wie die Genomanalyse kann inzwischen gezielt nach genetischen Veränderungen im Erbgut von Erkrankten gefahndet werden. Genvarianten konnten identifiziert werden, die bei der Verarbeitung von Medikamenten und anderen Substanzen durch den menschlichen Körper eine grosse Relevanz haben. Auch die Digitalisierung hat einen wertvollen Beitrag geleistet, weil inzwischen riesige Datensätze ausgewertet werden können.
In Kürze
Alle Funktionen und Titel von Thomas Szucs aufzuzählen, würde wohl hier den Rahmen sprengen. Der Professor mit Basler Wurzeln besitzt zwei Doktorhüte (Medizin und Recht), einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaft sowie einen Master in Public Health aus Harvard. Seit 2013 praktiziert er personalisierte Medizin in der Hirslanden Klinik in Zürich und forscht auf dem Gebiet der Pharmakogenetik. Thomas Szucs ist verheiratet, hat eine Tochter und wohnt in Zollikon.
Interesse an Medizin, Pharma und Ökonomie
In seiner Freizeit dirigiert Prof. Szucs des öfteren gerne ein Orchester. Beruflich ist er Spezialist für Pharmakogenetik, ein noch relativ junger Forschungsbereich. Er befasst sich mit dem Einfluss fallspezifischer Wirkungen von Medikamenten.
Medizin, Pharma und Ökonomie: Diese eng verzahnten Bereiche interessierten Prof. Szucs schon immer stark. Seine vielfältigen Funktionen und Titel zeugen davon. Mit zwei Facharzttiteln (Pharmazeutische Medizin und Prävention) schuf er die Basis für seine spätere weitverzweigte berufliche Karriere; er gründete unter anderem das Zentrum für Pharmaökonomie an der Universität Mailand, ist ferner nicht nur Direktor des Instituts für pharmazeutische Medizin an der Universität Basel, sondern ebenso Verwaltungsratspräsident des Krankenversicherers Helsana.
Kongress in Nairobi war Auslöser
Und speziell gilt es noch die Firma Hoffmann La Roche (heute Roche) zu nennen, seinen ersten Arbeitgeber. Prof. Szucs baute dort die Gesundheitsökonomie auf und wurde deren weltweiter Leiter. Das Basler Unternehmen war auch Ausgangspunkt dafür, dass er sich für die personalisierte Medizin zu begeistern begann.
Auslöser war ein Kongress in Nairobi vor rund 30 Jahren, wie er sich erinnert. Thematisiert worden sei Bluthochdruck bei unterschiedlichen Ethnien. «Es zeigte sich, dass farbige Menschen anders auf solche Medikamente reagierten als andere», bilanzierte Prof. Szucs. Als Grund dafür wurde der unterschiedliche Salzhaushalt im Körper ausgemacht. Genauer gesagt: Die Salzsensitivität bei Dunkelhäutigen war genetisch bedingt anders.
«Mir wurde bewusst, dass der genetische Bauplan eines Menschen, also seine DNA, in der Diagnose und der Therapie stärker berücksichtigt werden müssten.» Um Erkrankte optimal behandeln zu können, sei eine personalisierte Therapie unumgänglich. Diese umfasst nicht nur die genetische Veranlagung eines Menschen, sondern auch äussere Faktoren wie den Lebensstil sowie Umwelteinflüsse.
Mit Gen-Test DNA-Schreibfehler erkennen
«Es gibt Patienten und Patientinnen, die zum Beispiel ein Schmerzmedikament, ein Antidepressivum oder ein Narkosemittel nicht oder schlecht vertragen», so Prof. Szucs. Ein Gen-Test kann darüber Aufschluss geben, ob irgend ein «DNA-Schreibfehler» vorliegt. Ist das der Fall, gibt es Alternativen zu den herkömmlichen Mitteln, bei einer Narkose-Unverträglichkeit etwa in Form einer opiatfreien Narkose.
Ein anderes Beispiel ist die Behandlung von Menschen mit erhöhtem Cholesterin. Auch hier haben Gen-Abklärungen Misserfolge bei der herkömmlichen Therapie erklären können. «Zwei bis drei Prozent der Behandelten haben ein Problem mit dem Statin, weil es nicht in die Leber, sondern in die Muskeln geht.» Die Folge: Muskelschmerzen, aber kein Behandlungserfolg.
Auch in der Krebstherapie zeichnen sich laut Prof. Szucs dank einer personalisierten Medizin nennenswerte Fortschritte ab. Individualisierte Krebstherapie bedeutet, dass in der Therapie individuellen Merkmalen eines Tumors Rechnung getragen werden. Krebsmedikamente können dadurch gezielter und bedeutend wirkungsvoller eingesetzt werden. Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, erhalten etwa nur dann den dem Wirkstoff Herceptin, wenn die Tumore ein bestimmtes genetisches Merkmal aufweisen. Ohne dieses Merkmal wirkt Herceptin nicht.
Ein Recht auf Wissen – und auf Nichtwissen
Manchmal klafft allerdings eine Lücke zwischen Diagnose und Therapie: Macht es wirklich Sinn, eine Krankheit aufgrund eines Gentests zu diagnostizieren und dem Patienten oder der Patientin mitzuteilen, ohne aber eine Therapie anbieten zu können? Gerade im Bereich der prädiktiven genetischen Forschung gibt es ein Recht auf Wissen. So hätten bei erblichen Krankheiten Familienmitglieder ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, ob sie selbst von einer Krankheit betroffen sein könnten, betont Prof. Szucs. Genauso gibt es aber auch ein Recht auf Nichtwissen.
Trotz unübersehbarer Fortschritte scheint sich in gewissen Ärztekreisen die Begeisterung für die Molekulargenetik noch immer in Grenzen zu halten. Prof. Szucs ist das nicht entgangen. «Die jungen Mediziner wachsen damit auf, die Älteren tun sich teilweise noch schwer.» Im Grunde genommen sollte im Hinblick auf spätere Behandlungen schon bei Kleinkindern ab drei Monaten ein Gentest durchgeführt und in den Akten hinterlegt werden, empfiehlt er. «Das Testbild wird mit 95 Jahren übrigens noch das Gleiche sein wie kurz nach der Geburt», sagt er.
Auch in die Pharmaindustrie kommt Bewegung. Sie trägt differenzierten Krankheitsbildern vermehrt Rechnung – muss es auch. «Als ich in den 1980er-Jahren Medizin studiert habe, gab es drei bekannte Formen von Lungenkrebs. Heute spricht man von 14 verschiedenen Typen.» Massenproduktionen von Medikamenten würden immer mehr durch kleinere Einheiten abgelöst, die den individuellen Krankheitsbildern besser Rechnung tragen könnten. Das hat alles seinen Preis, aber eben auch den Vorteil von viel wirksameren Behandlungen und möglichst wenig Nebenwirkungen.
Die Augen nicht vor der Genetik verschliessen
«Wir dürfen die Augen nicht verschliessen und behaupten, die Genetik spiele bei Medikamenten keine Rolle», warnt Prof. Szucs zum Abschluss. Als Beleg legte er eine eindrückliche Statistik vor: 1347 von 4927 Medikamenten beinhalten eine genetische Information. Ärzte, die diesen Umstand nicht beachten, verstossen seiner Meinung nach gegen die Sorgfaltspflicht.
Im Gespräch mit Ärzten und Ärztinnen in der Forschung
Welchen Stellenwert die medizinische Forschung hat, und welche (hohen) Erwartungen die Bevölkerung in die medizinische Forschung setzt, hat man am Beispiel Covid-19 eindrücklich gesehen. Medical Tribune portraitiert hier in loser Folge Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz, die auf einem interessanten medizinischen Gebiet Forschungsarbeit im Dienste von Patientinnen und Patienten leisten.