Babys mit Kolostrum einen Startvorteil geben
Ein gut eingestellter Blutzucker ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Schwangerschaft und Geburt so schön und komplikationsarm wie möglich verlaufen. Aus diesem Grund werden Schwangere und Kind bei einem mütterlichen Diabetes engmaschig kontrolliert. Zusätzlich werden die betroffenen Frauen diabetologisch betreut – inklusive einer Lebensstilberatung und, wenn notwendig, einer zusätzlichen Behandlung mit Insulin. Denn eine Hyperglykämie in der Schwangerschaft kann unangenehme Konsequenzen haben (siehe Kasten).
Beim OGTT nicht tricksen
Ein Schwangerschaftsdiabetes (gestational diabetes mellitus, GDM) entsteht aufgrund hormonell bedingter Veränderungen der Stoffwechsellage in der Schwangerschaft, durch die ab der 20. Schwangerschaftswoche die Insulinsensitivität der mütterlichen Zellen sinkt (physiologische Insulinresistenz). Dadurch steigt der Insulinbedarf, den die Bauchspeicheldrüse bei jeder zehnten bis vierten Schwangeren nicht decken kann. Dann kann es dazu kommen, dass der Blutzucker im Nüchternzustand und nach den Mahlzeiten dauerhaft erhöht ist, und das Baby sich unter zuckerreichen, besonders wachstumsfördernden Bedingungen entwickelt. Ein besonderes Risiko für einen GDM haben ältere Schwangere, sowie Frauen mit Diabetes in der Familie. Aber auch Übergewicht und Adipositas spielen eine begünstigende Rolle.
In der Schweiz wird seit 2011 ein Screening nach Empfehlungen der International Association of Diabetes and Pregnancy Study Group (IADPSG) empfohlen. Damit soll allen Schwangeren geraten werden, sich zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche einem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) zu unterziehen. Durch die engmaschigere Kontrolle mit dem flächendeckenden OGTT, sowie strengeren Grenzwerten als vor der Novelle werden seit 2011 mehr Frauen mit einem GDM diagnostiziert als früher – was dem Test einige Kritik eingebracht hat.
Aufgrund des erhöhten Risikos von Schwangeren mit GDM sollte der OGTT dennoch nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt werden. Dazu gehört, dass sich Frauen in der Zeit vor einem OGTT normal kohlenhydrathaltig ernähren und keine Diät pflegen sollten. Auch exzessive Bewegung vor dem OGTT kann das Resultat verfälschen.
Risiken durch den erhöhten Blutzucker in der Schwangerschaft
- Makrosomie (geschätztes oder gemessenes Geburtsgewicht ≥ 4.000 g zum Geburtstermin, oder ein Fötus, der über der 95. - 97. Perzentilenkurve liegt)
- Komplikationen unter der Geburt (bei höherem kindlichen Geburtsgewicht durch den Schwangerschaftsdiabetes kann es zu längerer Geburtsdauer, Einsatz von Wehenmittel, Saugglocke, sekundärem Kaiserschnitt, höhergradigen Geburtsverletzungen und sehr selten auch zu einer Schulterdystokie kommen)
- Organische Unreife des Fötus (z.B. bei Lunge oder Leber)
- Postnatale Hypo- oder Hyperglykämien des Kindes
- Plazentainsuffizienz
- Hypertonie
- (Prä-)Eklampsie
- Wachstumsretardierung
- Polyhydramnium
- Frühgeburtlichkeit (v.a. bedingt durch vermehrte vaginale oder Harnwegsinfekte)
- Intrauteriner Fruchttod
- Bei präexistierendem Diabetes: Fehlbildungen (z.B. Herzfehler, Neuralrohrdefekte)
- Kinder von Frauen mit Diabetes in der Schwangerschaft haben ein erhöhtes Risiko, später an Übergewicht, Adipositas oder Diabetes zu erkranken.
Ein Diabetes in der Schwangerschaft bestimmt die Geburt mit
«Beim OGTT ein ‹besseres› Ergebnis erzielen zu wollen, schiesst am Ziel vorbei,» erklärt auch Yvonne Gruber-Traxler, Hebamme am Kepler-Universitätsklinikum Linz. «Bekommt man einen Diabetes in der Schwangerschaft nicht unter Kontrolle, besteht unter anderem die Gefahr, dass der Fötus ein zu hohes Gewicht entwickelt.» Dies führt leider immer wieder zu erhöhtem kindlichen Schätzgewicht bereits vor dem Geburtstermin – wodurch dann eine Einleitung der Geburt bereits vor dem Entbindungstermin empfohlen wird, um das Komplikationsrisiko unter der Geburt für Mutter und Kind so gering wie möglich zu halten. Aber auch bei normgerechtem Schätzgewicht sollten bei diabetischen Schwangeren spätestens ab dem Entbindungstermin engmaschigere Kontrollen durchgeführt werden, um eine Makrosomie oder schlechtere Versorgungslage des Kindes frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls die Geburt einzuleiten.
Wie streng dies gehandhabt wird, obliegt zwar den Vorgaben einzelner Spitäler, sowie dem Augenmass des betreuenden Arztes. Gibt es aber zusätzliche Risikofaktoren, wie etwa, dass das das Kind besonders gross ist oder die Blutzuckerwerte nur mit Insulin unter Kontrolle zu bringen sind, wird die Geburt meist spätestens am Geburtstermin eingeleitet. «Eine Geburtseinleitung birgt Risiken für weitere Interventionen. Oftmals benötigen die Frauen früher Schmerzmittel um mit den Wehen zurecht zu kommen, was wiederum zu einem häufigeren Einsatz von Wehenmittel führt,» klärt Frau Gruber-Traxler auf.
Auch die Wahl des Entbindungsortes wird durch die Diagnose eines Gestationsdiabetes eingeschränkt – so ist eine Hausgeburt nicht möglich bzw. überweisen kleinere Krankenhäuser Frauen mit einem insulinpflichtigen Diabetes an Kliniken mit einer neonatologischen Abteilung.
Frau Gruber-Traxler ist es aber wichtig zu betonen, dass es auch bei einem GDM die Schwangeren zu einem grossen Teil selbst in der Hand haben, wie die Dinge sich entwickeln: «Ist der GDM gut eingestellt, stehen die Chancen stehen sehr gut, dass sich das Kind trotz des Diabetes innerhalb der Norm entwickelt und dann nicht übermässig viele Interventionen notwendig sind. Dazu ist es essenziell, dass die Frau gute Hilfestellungen bekommt, und diese auch annimmt.»
Mit Kolostrum dem Baby einen Startvorteil geben
Nach dem Durchtrennen der Nabelschnur fällt auch die Versorgung mit Glukose über das mütterliche Blut abrupt weg. Bei einigen Kindern kommt es dadurch nach der Geburt zu einem Blutzuckerabfall. Der Körper des Babys – insbesondere das Gehirn – ist aber auf die kontinuierliche Blutzuckerversorgung angewiesen. Ist diese nicht gewährleistet, kann es etwa zu Zittrigkeit, Irritabilität, Atemproblemen, Trinkschwäche oder Krampfanfällen kommen. Treten solche Probleme beim Neugeborenen auf, muss das Kind medizinisch betreut und monitorisiert werden. Glucose-Infusionen sollen den Blutzucker stabilisieren.
Das Risiko für einen Unterzucker ist bei Neugeborenen von diabetischen Müttern deutlich erhöht. Um dem vorzubeugen, wird bei allen Kindern von Müttern mit einem GDM oder präxistenten Diabetes innerhalb der ersten zwei Stunden nach der Geburt, und zumindest noch zweimal in den Stunden danach, der Blutzucker mittels Fersenstich kontrolliert. Ist er nicht im Normbereich, werden üblicherweise weitere Kontrollen durchgeführt, und es wird versucht, den Blutzucker zu stabilisieren. Dabei spielt die perinatal gebildete Vormilch (Kolostrum) eine besondere Rolle: «Kolostrum stabilisiert den Blutzucker des Kindes dabei besser als jede Pre-Nahrung oder Glukose. Da ist die Natur der Hochleistungsmedizin weit voraus,» so Frau Gruber-Traxler.
Immer mehr Ärzte und Hebammen empfehlen daher seit einigen Jahren Schwangeren mit Diabetes kleine Mengen Kolostrum bereits zur Entbindung mitzubringen (siehe Kasten). Im Spital kann die mitgebrachte Vormilch dann – je nachdem wo es gebraucht wird – im Kreisszimmer, auf der Wochenbett oder der Neugeborenenstation eingesetzt werden.
Stillen hat viele wichtige Vorteile
Auch über die Zeit des Wochenbetts hinaus hat das Stillen wichtige gesundheitliche Funktionen für Mütter und Kinder (siehe Kasten). Bei Müttern mit Diabetes in der Schwangerschaft ist das Stillen besonders gesundheitsfördernd: Bereits eine dreimonatige Stillzeit senkt das 15-Jahres-Risiko von Frauen mit GDM, später einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, von 72 auf 42 Prozent. Auch Kindern von Müttern mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Übergewicht oder Diabetes im späteren Leben – dieses ist aber geringer, wenn sie im ersten Lebensjahr gestillt wurden.
«Studien belegen, dass Frauen mit einem Gestationsdiabetes seltener und kürzer stillen als Frauen ohne Diabetes,» beklagt Frau Gruber-Traxler. Einer der häufigsten Gründe dafür ist ein Übergewicht der Mutter sein. Ausserdem tritt die Laktogenese (Milchbildung) bei Müttern mit Diabetes etwas später ein. «Frauen verlässt dann bei grossen Anfangsschwierigkeiten oft die Motivation.» Frau Gruber-Traxler empfiehlt Diabetikerinnen, schon vor der Geburt eine Stillberatung aufzusuchen: «Wenn man den Frauen schon in der Schwangerschaft den Nutzen des Stillens für die eigene Gesundheit und die ihres Kindes begreifbar macht, und ihnen sagt, womit sie zu rechnen haben, geben sie nicht so schnell auf.» Mit einer guten Stillberatung, Hilfe beim Anlegen des Kindes bzw. beim Pumpen sowie ausreichend Ruhe im Wochenbett und Unterstützung der Mutter beim Versorgen des Kindes lässt sich dann oft trotzdem eine ausreichende Milchproduktion erreichen.
Vorteile des Stillens
- Das Risiko von Frauen für Mammakarzinome sinkt pro Kind um sieben Prozent pro Kind, und pro Stilljahr um weitere 4,3 Prozent
- Auch für Endometrium- und Ovarialkarzinome zeigen einige Studien einen positiven Zusammenhang mit dem Stillen
- Gestillte Kinder erkranken seltener an Typ-1-Diabetes
- Gestillte Kinder haben seltener chronische Atemwegserkrankungen oder Allergien
- Gestillte Kinder leiden seltener an Infekten der unteren Atemwege oder Mittelohrentzündungen
Betreuung von Schwangeren mit Diabetes hat auch Folgen für die Gesellschaft
«Es ist immer noch Glückssache, wie Frauen mit einem Gestationsdiabetes beraten werden,» so die Expertin. «Dabei gibt es natürlich viele Frauen, die sich selbst gut informieren. Es fallen aber auch nach wie vor Schwangere durch den Rost. Wie in vielen Bereichen sind das oft Personengruppen, die keinen guten Zugang zu Gesundheitsberatung haben, und denen vielleicht auch die Kompetenz fehlt, richtige und falsche Informationen zu unterscheiden.» Auch Frauen mit Adipositas erleben im Gesundheitsbereich nicht selten Stigmatisierung durch Ärzte und Pflegepersonen. «Eine verschenkte Gelegenheit, denn man weiss, dass die Bereitschaft von Frauen, etwas für ihre eigene Gesundheit und die ihres Kindes zu tun, in der Schwangerschaft besonders hoch ist,» sagt Frau Gruber-Traxler.
Die Hebamme empfiehlt daher, Frauen, bei denen ein Schwangerschaftsdiabetes festgestellt worden ist, nicht nur an eine Diabetes-Sprechstunde und zur Ernährungsberatung, sondern auch routinemässig an eine Stillberatung zu überweisen – idealerweise sollten die Kosten dafür über die Krankenversicherung gedeckt werden. Auch aus sozioökonomischen Gesichtspunkten: «Fördert man das Stillen, stellt man langfristig viele Weichen in die richtige Richtung. Davon profitiert auch das Gesundheitssystem.»
Wie das Kolostrum-Sammeln gelingt
- Das Kolostrum wird ca. ab der 16. Schwangerschaftswoche (SSW) gebildet
- mit der Entnahme kann ab der 37. SSW begonnen werden.
- Gewonnen wird das Kolostrum am besten durch sanftes Ausmassieren mit der Hand. Es ist dabei wichtig, dass die Frauen dabei keine Schmerzen haben. Am besten ist eine Einschulung durch eine Hebamme oder Stillberaterin.
- Die Milch wird in Spritzen mit Fassungsvolumen von 1-2 Millilitern gesammelt (eventuell mit Verschlusskappen) die Lebensmittelstandard aufweisen
- Mit Kolostrum befüllte Spritzen in einem Plastikbeutel aufbewahren
- Einzelne Spritzen mit Entnahmedatum und Namenskürzel versehen und einfrieren
- Das Kolostrum kann entweder direkt nach der Entnahme eingefroren werden, oder davor einige Stunden im Kühlschrank aufbewahrt werden. So kann Vormilch aus mehreren Abnahme-«Durchgängen» am selben Tag vor dem Einfrieren gesammelt werden.
- Die gefrorenen Spritzen werden, am besten in einer kleinen Kühltasche mit mehreren gefrorenen Kühl-Akkus, ins Spital mitgebracht
- Aufgetaut wird das gesammelte Kolostrum unter fliessendem warmem Wasser, wo es nach 1–2 Minuten genau die richtige Temperatur hat
- Das Kolostrum kann dem Kind mittels Spritzen oder speziellen Applikatoren in den Mund getropft werden
- Bei Problemen bei der Kolostrumgewinnung können Still-Sprechstunden oder ICBLC-zertifizierte Stillberaterinnen unterstützen
Referenzen
- Ryser Rüetschi J et al. Fasting glycaemia to simplify screening for gestational diabetes. BJOG. 2016 Dec;123(13):2219-2222. doi: 10.1111/1471-0528.13857.
- Fischer T et al. Maternale Erkrankungen in der Schwangerschaft. Facharztwissen Geburtsmedizin. 2016:347–618. German. doi: 10.1016/B978-3-437-23752-2.00017-1. Epub 2016 Aug 26. PMCID: PMC7158353.