Medical Tribune
5. Mai 202211. DRG-Forum Schweiz-Deutschland

Hartes Ringen um «faire» ambulante Pauschalen

Im Gegensatz zu den Fallkostenpauschalen im Spital (DRG) kommen im ambulanten Bereich Einzelleistungstarife zum Tragen. Doch das soll sich zumindest partiell ändern. Die grundsätzliche Akzeptanz für eine Einführung von ambulanten DRG scheint gross zu sein. Allerdings steckt der Teufel noch wie so oft im Detail, wie sich am 11. DRG-Forum Schweiz-Deutschland zeigte.

Am diesjährigen DRG wird das Thema Pauschalen behandelt.
iStock/AndreyPopov

Sachgerechte und faire Abgeltungen für medizinische Leistungen zu definieren, sorgt unter den betroffenen Akteuren immer wieder für rege Diskussionen. Kein Wunder, dass etwa die Ausarbeitung eines neuen Tarifwerks wie Tarmed oder der Nachfolger Tardoc angesichts divergierender Interessen und der Komplexität des Themas Jahre in Anspruch nimmt, bevor ein Konsens erzielt werden kann. Schliesslich geht es um viel Geld.

Die 11. Auflage des traditionell von der Firma MediCongress (Dübendorf) durchgeführten DRG-Forums Schweiz-Deutschland drehte sich um eine neue Abgeltungsform, nämlich um Pauschalen im ambulanten und teilstationären Bereich. Während Fallpauschalen (DRG) im Spital in der Schweiz bereits eine zehnjährige Tradition haben, in Deutschland sogar noch länger, befinden sie sich im ambulanten und teilstationären Teil erst im Aufbau.

Manche Patienten gehen nicht mehr ins Spital

Nicht nur wegen der Pandemie sinken die Fallzahlen in den Spitälern, wobei sich der Rückgang unterschiedlich bemerkbar macht. «Der Effekt ist stärker bei den Diagnosen, bei denen es Zweifel gibt, ob sie überhaupt im Krankenhaus behandelt werden sollen», zitierte Tagungsleiter Dr. Willy Oggier, Gesundheitsökonomische Beratungen AG, Küsnacht, am virtuell durchgeführten DRG-Anlass aus dem deutschen Ärzteblatt. Als Beispiele für Diagnosen nannte der Gesundheitsökonom COPD, Diabetes und Herzinsuffizienz. Und zudem: Ein Grossteil des Rückgangs bei den Fallzahlen sei auch patientengetrieben. «Das heisst, die Patienten entscheiden sich dafür, nicht ins Krankenhaus zu gehen.»

zitierte Tagungsleiter Dr. Willy Oggier, Gesundheitsökonomische Beratungen AG, Küsnacht,am virtuell durchgeführten DRG-Anlass aus dem deutschen Aerzteblatt.
zVG

«Der Rückgang in den Spitälern ist stärker bei den Diagnosen, bei denen es Zweifel gibt, ob sie überhaupt im Krankenhaus behandelt werden sollen», zitierte Tagungsleiter Dr. Willy Oggier, aus dem deutschen Ärzteblatt.

Bei der Einführung von Tarmed vor rund 20 Jahren sei er noch von Kliniken belächelt worden, erinnert sich Christoph Schöni, Leiter Tarife beim Spitalverband H+. Über Tarife mussten sich die Spitalverantwortlichen nicht gross die Köpfe zerbrechen, weil die Spitäler über eine Defizitgarantie verfügten. In der Zwischenzeit haben sich die Zeiten stark geändert. Die Spitäler agieren selbstständig, der ökonomische Druck ist da und wird erst noch immer grösser.

Zudem hat der ambulante Bereich in den Spitälern enorm an Bedeutung gewonnen. Rund ein Drittel der Behandlungen in den Spitälern werde heute ambulant durchgeführt. Wichtig sei es, diese Versorgung adäquat in den Tarifen abzubilden; nämlich in Form einer gleichen Bewertung von Leistungen, unabhängig davon, wo sie durchgeführt werden. Eine Vereinfachung der Tarifstrukturen tut Not. Allerdings könne man nicht den gesamten ambulanten Bereich pauschalisieren.

Grundsätzlich grosse Akzeptanz

Ein Grundkonsens zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesen ist vorhanden: Ambulante Paschaulen stossen auf eine grosse Akzeptanz. Doch bei der konkreten Ausgestaltung bleibt weiterhin einiges ungeklärt. Der «Reifegrad" der ambulanten DRG-Pauschalen sei nicht gegeben und befinde sich noch in einem frühen Projektstadium, monierte etwa kürzlich die FMH. Mit dieser Kritik reagierte die Ärztevertretung auf Vorschläge, welche die «solutions tarifaires suisses sa» gemacht hatte. Diese Tariforganisation war im Mai 2021 vom Spitalverband H+, dem Krankenversicherungsverband santésuisse und FMCH, dem Verband der invasiv und chirurgisch tätigen Spezialärztinnen und -ärzte gegründet worden. Stein des Anstosses ist aus Sicht der FMH, dass die Datenbasis dieser ambulanten Pauschalen ausschliesslich auf Spitaldaten basiere, obwohl rund die Hälfte des Leistungsvolumens ausserhalb von Spitalstrukturen und der freien Praxis und in ambulanten Operationszentren erbracht würden.

Als eine Herkulesaufgabe – der Begriff fiel an der DRG-Tagung mehrmals –entpuppt sich, einen Tarif zu kreieren, der allen Anforderungen Genüge leistet. Klar kristallisierte sich heraus, dass ein sachgerechter Tarif mit der Qualität der Daten steht und fällt. Aller Anfang ist schwer. Zu Beginn der DRG-Regelungen hätten in der Schweiz zuerst noch deutsche Daten «helvetisiert» werden müssen.

Gleicher Preis für gleiche Arbeit

Auch für Professor Dr. Michele Genoni, Präsident FMCH, Dachverband der Spezialärzte, braucht es eine Kombination: Ambulante Pauschalen können und und sollen den Einzelleistungstarif nicht ersetzen. Ein Kernelement bei den Pauschalen sei die Devise «Gleicher Preis für gleiche Arbeit». Mit ambulanten, leistungsorientierten Pauschalen sollen gleiche standardisierte Operationen sowie gleiche medizinische Abklärungen und Interventionen pauschal und damit immer gleich bewertet werden. Die Vorteile lägen auf der Hand: Rechnungsstellung und –Kontrolle werden einfacher und auch für Patientinnen und Patienten transparenter. Via Pauschalen könnten je nach Fachgebiet bis zu 70 Prozent der Eingriffe abgegolten werden. Die Pauschale soll übrigens «all inclusive» für den «Interventionstag» gelten.

Schon seit geraumer Zeit lautet die Doktrin im Gesundheitswesen «ambulant vor stationär». Um diesen Trend zu fördern, hat auch der Bundesrat schon einige Massnahmen ergriffen. Demnach wird bei mehreren Gruppen von Eingriffen in der Zwischenzeit nur noch eine ambulante Durchführung vergütet, es sei denn, es lägen besondere Umstände vor, die eine stationäre Durchführung erfordern.

Räumliche Distanz zum Spital unterschiedlich

Ambulant bedeutet, dass man das Spital noch am Tag des Eingriffs verlassen kann, also nicht im Spital übernachten muss. Viele Patientinnen und Patienten wissen das zu schätzen. Einige Spitäler bieten ambulante Leistungen in unmittelbarer Umgebung des eigenen Spitals an, andere entscheiden sich für eine räumliche Abgrenzung. Die Nähe zum eigenen Spital habe den Vorteil, dass im Notfall der Weg zum Spital kurz ist, hiess es. Für eine gewisse Distanz des eigenen OP-Zentrums vom Spital spreche dagegen der Umstand, dass sich dann die Frage, ob der Patient im Spital übernachten soll, gar nicht erst stellt.