Medical Tribune
22. Apr. 2022Evidenz spricht dafür

Antidepressiva gegen den vorzeitigen Samenerguss

Jeder dritte Mann leidet an einer Ejaculatio praecox, die das Sexualleben empfindlich stört. Zur Therapie werden häufig selektive Serotonin-Wiederaufnahme­hemmer (SSRI) eingesetzt. Auch frei verkäufliche Mittel können helfen.

Antidepressiva können manchen Männern mit vorzeitiger Ejakulation helfen. Die Dosierung sollte dabei allerdings nicht zu hoch gewählt sein.
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Antidepressiva können manchen Männern mit vorzeitiger Ejakulation helfen. Die Dosierung sollte dabei allerdings nicht zu hoch gewählt sein.

Hinter der SSRI-Rationale steht die Vorstellung, dass eine Erhöhung des Serotoninspiegels im synaptischen Spalt den Ejakulationsreflex verzögert. Ein Review hat nun das Ausmass der Effektstärke analysiert (1).

Dabei berücksichtigten die beiden deutschen Autoren 31 placebokontrollierte Arbeiten mit insgesamt mehr als 8.200 Teilnehmern. In sieben Analysen hatte man eine Bedarfsmedikation mit Dapoxetin geprüft, in den übrigen eine tägliche Therapie mit lang wirksamen Vertretern dieser Substanzgruppe. Im Vergleich zur Scheintherapie erreichten die mit SSRI behandelten Patienten fast doppelt so häufig eine subjektive Symptomlinderung. In ähnlichem Ausmass verbesserte sich die sexuelle Zufriedenheit. Demgegenüber stand eine höhere Nebenwirkungsrate.

Bessere Nebenwirkungs-Bilanz mit 30-mg-Dosierung

Hierzulande ist bisher nur Dapoxetin zur Bedarfstherapie der Ejaculatio praecox zugelassen. Der kurz wirksame SSRI (30 oder 60 mg) soll ein bis drei Stunden vor dem geplanten Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Die höher dosierte Gabe führte bei den untersuchten Studien nicht zu einer verbesserten Wirksamkeit. Die nebenwirkungsbedingte Abbruchrate aber lag bei der 60-mg-Dosierung 6,5-fach höher als unter Placebo, mit 30 mg war sie lediglich 2,5-fach gesteigert. Ausserdem fiel auf, dass etwa 60 Prozent der mit Dapoxetin behandelten Patienten keine Verbesserung ihrer Symptomatik erreichten. Gleichzeitig ist mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopfschmerz, Schwindel und Diarrhö zu rechnen.

Als Therapiealternative kommen vor allem Lokalanästhetika in Betracht, die rezeptfrei als Spray oder Salbe erhältlich sind. Sie werden etwa 10–15 Minuten vor der sexuellen Aktivität auf die Glans penis aufgetragen, und müssen gründlich abgewaschen werden, um eine Übertragung auf die Partnerin zu verhindern. Eine Alternative sind entsprechend vorbehandelte Kondome.

In einer Cross-over-Studie verlängerte ein zehnprozentiges Lidocain-Spray die Latenzzeit bis zur intravaginalen Ejakulation von 22 Sekunden auf ca. drei Minuten. Dapoxetin (60 mg) erreichte nur eine Erhöhung auf etwa eine Minute. An Nebenwirkungen wurde unter dem Lokalanästhetikum eine schwächere, aber für den Verkehr ausreichende Erektion beobachtet (34 von 55 Patienten), ausserdem Hautreaktionen an der Glans (4 Patienten).

Weitere Methoden: Start-Stopp und Squeeze

Auf Basis der hohen Qualität der ausgewerteten Studien liess sich für SSRI wie Dapoxetin «on demand» ein günstiger Einfluss auf die Ejaculatio praecox zeigen, resümieren die Autoren. Allerdings sollte primär nur die 30-mg-Dosierung zur Anwendung kommen. Als Alternative eignen sich rezeptfreie Lokalanästhetika. Bei mangelndem Ansprechen kommt eine Kombination beider Wirkprinzipien oder die Hinzunahme verhaltenstherapeutischer Ansätze zur Verzögerung der Ejakulation (Start-Stopp-Methode, Squeeze-Technik) in Betracht.

Referenz
  1. Schreen W, Zengerling F. Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox) bei erwachsenen Männern. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Urologe 2021; 60: 1586–1590; doi: 10.1007/s00120-021-01714-2.